25. November 2012

Die Schneekönigin – David T. Heusel.
Opernhaus Halle.

15:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 13



Zwischenstopp in Halle. Auch ganz nett hier. Ein Café in Opernnähe verkürzt die Wartezeit bei durchwachsenem Wetter. Heute also Ballett – eine Inszenierung des hiesigen Ballettchefs, der im Anschluß an die Aufführung noch zu einer kleinen Nachbesprechung mit Ensemblemitgliedern lud.

Orchester und Dirigat wissen zu überzeugen, vor allem die Streicher klingen sehr gut. Die Akustik scheint mir gut, generell ist die musikalische Komponente mehr als brauchbar. Nicht zuletzt auch aufgrund der umsichtigen Verarbeitung und Verzahnung der Dvořák- und Schostakowitsch-Bruchstücke zu einem stringenten Fluß im Dienste der Handlungsentwicklung. Verblüffend: Ein bestimmter Abschnitt – wohl von Schostakowitsch – klang in meinen Ohren regelrecht nach einer Schwanensee-Kopie – aus welchem Werk mag das wohl stammen und welche Funktion nimmt es dort ein?

Bis auf ein, zwei technische Probleme lief die Vorstellung reibungslos. Einmal verhakte sich der Schlitten der Königin auf der Bühne und vereitelte ihren schwungvollen Abgang, zum anderen – und vielleicht nicht ungefährlich – versagte die Schnürboden-Aufhängung einer überdimensionalen Blüte, die dann mit einem Ruck einige Schrauben-Pollen auf die (belebte!) Bühne regnen lies.

Die Inszenierung an sich wartete mit starken Momenten auf – etwa die Steigerung zum Ende des ersten Aktes oder der unheilvolle Tanz der Schneekönigin mit ihren Sklaven – dennoch hat mir persönlich der ganz große Bogen gefehlt, der alle einzelnen Einfälle und Szenen zusammengehalten hätte. Zwischendurch war ich immer wieder nicht wirklich bei der Sache, zudem kam das Ende für meine Begriffe sehr unvermittelt. Und der brave Bursche hat die Episode als Eis-Schoßhündchen wohl doch nur mit Gefrierbrand überstanden. Naja, ich hätte den Herrn Regisseur ja darauf ansprechen können – hab’s dann aber gelassen. Miesmacher nach getaner Arbeit braucht eh kein Mensch.

Wobei das Hallenser Publikum sich generell eher frostig zeigte. Man wußte nicht so recht, wann und was zu beklatschen, Ankommer waren weniger die zauberhaft sensibel dargebotenen Passagen, sondern eher wenn es laut und bunt wurde auf der Bühne. Auch der Schlußapplaus wirkte irgendwie bemüht, unstimmig, zäh. Kann natürlich auch Einbildung gewesen sein.

Ganz und gar keine Einbildung war leider die nervige Familie hinter mir. Kinder im Theater. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, etwas Nettes, Verständnisvolles zu schreiben. Sowas in der Richtung: Die Kinder sind die Zukunft der Oper. Nur: Dazu fehlt mir der Nerv. Selbiger ist mir nämlich im dummdreisten Gebrabbel desinteressierter Blagen, deren bildungsbürgerliche Eltern ihrem Sproß geflissentlich die Handlung beipulen müssen, ohne zu realisieren, daß wir uns gerade nicht im Telekolleg Gefährliches Halbwissen befinden, abhanden gekommen. Dann doch lieber den ganzen Verein in Würde aussterben lassen. Oder Tablettenabgabe bei Einlaß. Ach was weiß denn ich.

Fazit: Ich hab noch vergessen, den Spruch „sich freuen, wie ein Schneekönig“ unterzubringen – nun denn, es war gut aber man muß ja auch nicht übertreiben.


Die Schneekönigin – Ballett von Ralf Rossa
Musik von Antonín Dvořák und Dmitri Schostakowitsch
Musikalische Leitung – David T. Heusel
Choreografie und Inszenierung – Ralf Rossa
Bühne und Licht – Matthias Hönig
Kostüme – Heike Becker

Die Schneekönigin – Michal Sedláček
Kay – Zdenko Galaba
Gerda – Hyona Lee
Die Fee im Garten – Markéta Šlapotová
Die Krähe – Dalier Burchanow
Die Hure – Denise Dumröse
Das Räubermädchen – Paloma Figueroa
Die Mutter – Johanna Raynaud
Prinz und Prinzessin – Andriy Holubovskyy, Marion Schwarz
Freunde von Kay und Gerda – Tobias Almási, Jonathan dos Santos, Pietro Chiappara

Staatskapelle Halle

24. November 2012

Kleider machen Leute – Ulrich Kern.
Theater Görlitz.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 102



Eine neue Stadt, ein neues Haus, ein neues Werk. Görlitz ist eine Reise wert! Wo andere Städte aus ein paar Vorkriegsüberbleibseln eine Altstadt halluzinieren, bleibt man hier Straßenzug um Straßenzug, Platz für Platz von der sogenannten Moderne verschont. Mit dem Material könnte man das halbe Ruhrgebiet wieder passabel herrichten – Kleider machen vielleicht Leute, aber Häuser eben auch Städte.

Warum nun dies seltene Werk in Görlitz? Nach der Konsultation der Inhaltsangabe fügt sich die Wahl in die deutsch-polnische Ausrichtung des Hauses (z.B. zweisprachige Übertitel) – offenbar wird über Wasserpolaken-Witze beiderseits der Neiße geschmunzelt. Die Oper hat mich musikalisch sehr überzeugt, auch wenn die Geschichte von eher leicht verdaulicher Art ist. Muß ja auch nicht immer Menschheitserlösung oder Weltenbrand sein. Das gesamte Ensemble zeigte sich in jedem Fall bestens aufgelegt, um das heitere Verwirrspiel um den falschen Grafen lebendig werden zu lassen.

Besonders gelungen geriet die phantasievolle Einbindung der Tänzergruppe, vor allem bei der Visualisierung der Zwischenmusik der langen Reise. Was man nicht alles mit ein paar Koffern anstellen kann. Der in stetigem Fluss vollzogene Wechsel von Stadt zu Stadt, bzw. von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zeugte gleichermaßen von Witz und Kreativität. Generell hielt die Inszenierung eine Fülle humorvoller Seitenhiebe bereit. Beispielsweise die Charakterisierung der „feinen Gesellschaft“, die sich um den fremden Grafen scharrt. Erwähnt sei stellvertretend die Wandlung der Zigarre paffenden Würdenträger-Klone in ihren unförmigen Gummisesseln in hemmungsloses Partyvolk, oder ein Detail wie das allzu gut bekannte ignorante Bonbongeraschel des „Kunstfreundes“ bei der Konzertdarbietung in erlauchtem Kreise.

Die Einteilung der verschiedenen Gruppen durch mehr oder weniger uniforme Kostüme unterstreicht dabei das Beispielhafte und Kleinbürgerliche der parodierten Gesellschaft. Zudem spielt es mit dem Kern des Stückes, daß Menschen (scheinbar) über ihr Erscheinungsbild definiert werden können, bzw. eben doch nur wollen.

Fazit: Eine musikalische Entdeckung aus der Feder Zemlinskys, liebevoll und kurzweilig auf die Bühne gebracht.


Alexander von Zemlinsky – Kleider machen Leute
Musikalische Leitung – Ulrich Kern
Inszenierung – Klaus Arauner
Ausstattung – ÄNN
Choreografie – Dan Pelleg, Marko E. Weigert
Dramaturgie – Sebastian Ritschel
Choreinstudierung – Manuel Pujol
Musikalische Einstudierung – Olga Pujol, Tobias Kruse

Wenzel Strapinski – Jan Novotny
Erster Schneidergeselle – Tommaso Randazzo
Zweiter Schneidergeselle – Carsten Arbel
Der Kutscher / Der Amtsrat – Dieter Goffing
Nettchen – Audrey Larose Zicat
Melchior Böhni – Tim Stolte
Adam Litumlei – Won Jang
Frau Litumlei / Die Köchin – Patricia Bänsch
Polykarpus Federspiel – Michael Berner
Frau Häberlein / Die Wirtin – Özgecan Gencer
Sohn Häberlein – Tommaso Randazzo
Sohn Pütschli – Hans-Peter Struppe
Der Wirt „Zur Waage“ – Stefan Bley
Der Kellner – Keon Lee
Der Kellnerjunge – Laura Scherwitzl
Wenzels Meister – Niko van Harlekin, Dan Pelleg, Marko E. Weigert
Pianistin – Olga Dribas

Tanzcompany des GHT Görlitz-Zittau
Chor des GHT Görlitz-Zittau
Neue Lausitzer Philharmonie