19:15 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16
Johann Sebastian Bach – Messe h-Moll BWV 232
(Solisten aus dem Balthasar-Neumann-Chor)
Bachs h-Moll Messe. Bei diesem Werk jagt ein Superlativ den nächsten. „Das wichtigste, das größte Werk Bachs, ja wahrscheinlich das größte Kunstwerk überhaupt“ tönt es einem in der Einführung aus Ehrfurcht gemahnendem Zitatefundus entgegen. Ich möchte gern eine weitere Höchststufe ergänzen: Größte Langeweile, die mich beim Erdulden dieses recht ausgedehnten Gipfelpunktes abendländischer Kultur gleich von Beginn an überkam und die bis auf wenige gnädige Ausnahmen auch nicht wieder von mir abzulassen gedachte. Nach den ersten Minuten kehrt die staubtrockene Erinnerung zurück, daß ich mich bereits vor einigen Jahren einmal durch jenes Wunderwerk quälen mußte, in der Kölner Philharmonie war das, Anno 2010. Aber Abo ist Abo und Bach gebührt nun wirklich jedes Recht auf eine zweite Chance. Umso ernüchternder, daß die Neuauflage zur gut zweistündigen Reminiszenz des faden Erlebnisses in der Domstadt geriet – ein anderer Ort, andere Umstände, andere Mitwirkende, gleiches Ergebnis. Seinerzeit waren Eitelkeit und Selbstüberschätzung noch nicht so weit in mir gediehen, als daß ich mein Frönen der Subjektivität bereits an dieser (Internet-)Adresse auf die Menschheit losgelassen hätte, aber nichts desto trotz finden sich nach kurzer Suche in einem Notizbüchlein von 2010 folgende Zeilen:
„Reihe 22: deutlich höher als bei Martin/Tippett, dennoch famose Akustik. Etwas leiser, aber tadellos durchhörbar und klangschön. Man vernimmt selbst das „Spuckepusten“ der Trompeten. Chor, Orchester und Solisten lieferten eine gute, professionelle Leistung, Dirigat wie’s sein soll, vielleicht eine Spur zu kuschelig. Von den Solisten bleibt nur die Altistin im Langzeitgedächtnis (Agnus Dei!). Hornist mit Naturhorn zweifelhaft. Das Werk: ich spreche es einfach mal aus: bis auf wenige Stellen haut mich die Messe nicht um. Es zieht sich gewaltig, vieles hört sich für mich (aufs erste Hören) gleich an. Ich hoffe, ich tue dem Werk Unrecht und harre auf einen weiteren Versuch. Schade.“
Besonders erschreckend ist der Hinweis auf das Agnus Dei, weil dieser Teil auch dieses Mal der einzige wirkliche Lichtblick der gesamten Aufführung für mich darstellte – ohne daß ich mich etwa an mein Geschreibsel von vor vier Jahren erinnert hätte. Herr Potters Vortrag ließ mich – auch Kraft seiner ungemein klangschönen und ausdrucksstarken Stimme – kurz vor Toresschluß einmal die Art von Intensität erleben, wie ich sie ansonsten schmerzlich vermisst habe. Was rein gar nichts mit dem Vortrag und den Fähigkeiten der anderen Beteiligten zu tun hatte, davon gehe ich mittlerweile aus. Der schwarze Peter lag nicht beim Chor oder den Solisten, weder beim Orchester oder Herrn Hengelbrock, auch nicht bei der Raumtemperatur im Saal oder der Mondphase, sondern einzig und allein bei Bach selbst – oder eben meinem Banausentum, das vor dergestaltiger Vollkommenheit auch im zweiten Versuch kapitulierte.
Doch halt, ich lasse mir meinen Bach nicht durch die eigene Blödheit madig machen. Den Bach der Passacaglia und Fuge in c-Moll, den Bach der Sonaten und Partiten für Violine, den Bach der Suiten für Cello, den Bach über den mich ein Glenn Gould immer wieder staunen läßt. Aber vielleicht hänge ich auch einfach nur im instrumentalen Bach fest und es besteht noch Hoffnung. Ob größtes, allergrößtes oder am Ende doch nur halb- oder mittelgrößtes – es wird schon was dran sein. Ich bleibe auf der Suche und offen für Anregungen Angekommener.