28. April 2017

Philharmonisches Staatsorchester
Hamburg – Eliahu Inbal.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 16, Bereich S, Reihe 2, Platz 7



Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 8

Chor der Staatsoper (Eberhard Friedrich)
Staatschor Latvija (Māris Sirmais)
Hamburger Alsterspatzen (Jürgen Luhn)

Magna peccatrix – Sarah Wegener (Sopran)
Una poenitentium – Jacquelyn Wagner (Sopran)
Mater gloriosa – Heather Engebretson (Sopran)
Mulier samaritana – Daniela Sindram (Alt)
Maria aegyptiaca – Dorottya Láng (Alt)
Doctor marianus – Burkhard Fritz (Tenor)
Pater ecstaticus – Kartal Karagedik (Bariton)
Pater profundus – Wilhelm Schwinghammer (Bass)

Lichtskulptur – rosalie



Der Einspringer macht seine Sache besser als vermutet. Mit Inbals strukturellen Präsentation des Hymnus hatte ich hier und da meine Probleme, da er über die einzelnen Formanschnitte und Bögen tendenziell eher hinwegrauscht, was dem Ganzen bisweilen etwas Schwammiges gibt. Andererseits geht er den ersten Satz mit Schwung und flottem Tempo an, so daß der Schöpfergeist tatsächlich mit Energie und Frische angerufen wird. Finde ich persönlich gut, damit der Satz als festliches Präludium funktioniert, und nicht so im betulich Weihevollen vor sich hinschleppt.

Eine wirkliche Gestaltungsmotivation ist bei Inbal aber erst mit Beginn des zweiten Satzes zu erkennen – ok, seine Linke hat doch eine Funktion. Beschränkte sich seine Tätigkeit bis dahin weitestgehend auf die Basics – Taktschlagen und Organisation durch Einsätze – nutzt er bei der in Musik gesetzten Szene aus Goethes Faust II viel häufiger die Gelegenheit, dem dramaturgischen Konzept Mahlers mit entsprechenden Ausdrucksmitteln Rechnung zu tragen. Der Beginn gelingt schön mysteriös-knorrig, hier ist bei Inbal keine Spur von Hast, der Spannungsbogen wird mit der nötigen Geduld und Konsequenz gespannt. Es ist sicher keine extreme, radikale Lesart, die Inbal hier präsentiert, aber eine, die die beeindruckende Anlage des Satzes durchaus zur Entfaltung kommen lässt. Es bleibt Spekulation, was Nagano mit seinem Orchester aus dem Werk geholt hätte, es zeigte sich allerdings auch, dass das Philharmonische Staatsorchester insbesondere in Bezug auf Klangfarben in letzter Konsequenz nicht über jenen Facettenreichtum verfügt, um die Feinheiten und Klangwirkungen der Partitur zur Gänze vermitteln zu können.

Auch für ein derart groß besetztes Dickschiff wie dieses ist mir die Vogelperspektive aus Ebene 16 zu wenig involvierend. Die Chöre dominieren im Forte und Fortissimo, selbst die komplette Blechbatterie inklusive auf Ebene 15 postierten Fernfiliale entwickelt nicht den Druck, der mir für die äußersten Ausschläge der Steigerungskurven vorschwebt. Ein Anhänger anderer ästhetischer Vorlieben könnte aber genauso gut jene damit einhergehende Transparenz und Fasslichkeit bewundern, die selbst bei diesen extremen dynamischen Spitzen herrscht. Die Orgel ist für sich genommen deutlich präsenter als ihre Schwester in der Laeiszhalle und sorgt mit jedem Einsatz für ein sattes Fundament. Auf der anderen Seite bleiben Details wie die zarten Mandolinen auch im Tutti durchhörbar, zudem bestätigt sich das Phänomen der Faszination des Leisen in dieser Halle aufs Neue.

Zur Solistenriege kann ich mangels Live-Vergleiche nicht so viel sagen. Meine letzte Achte war vor zehn Jahre in der Berliner Philharmonie, ebenfalls aus hinterletzter Perspektive, einziger hängengebliebener Name der leider viel zu früh verstorbene Johan Botha. Abgesehen vom hiesigen Doctor marianus, Burkhard Fritz, der wie schon in diversen Bühnenauftritten einen guten Eindruck machte, hinterließen seine Sängerkollegen, mir teilweise aus der Hamburgischen Staatsoper bekannt, aufgrund der räumlichen Distanz kein wirklich merkfähiges Ergebnis, wobei ich die Damen insgesamt stärker als ihre männlichen Mitstreiter einzuschätzen glaube. An den drei Chören gab es nichts zu mäkeln, schon verblüffend, wie gut die Textverständlichkeit selbst bei diesen Massen über weite Strecken gegeben ist. In gleichem Maße wie die immer wieder den Saal durchströmenden Wellen gesanglicher Wucht, waren es gerade die intimeren Momente, wie der in äußerster Zurückhaltung intonierte Beginn der Schlußaussage („Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis ...“), welche ihre Wirkung nicht verfehlten und dazu beitrugen, ein mit enormem Aufwand vollzogenes Konzert zu einem berührenden Erlebnis werden zu lassen.