5. September 2022

Wiener Philharmoniker – Esa-Pekka Salonen. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Olivier Messiaen – Turangalîla-Sinfonie für Klavier,
Ondes Martenot und Orchester
(Bertrand Chamayou – Klavier, Cecile Lartigau – Ondes Martenot)


Das zweite Konzert nach meiner Pause und alles ist wieder da: meine Liebe zur Musik, mein Hass auf die Menschheit. Nein, nein, ich hab ja alle lieb – vor allem wenn es Zeitgenossen mit besonders kreativen Ansätzen sind. Wie beispielsweise seine schätzungsweise dreijährige Tochter in ein klassisches Konzert zu schleppen, noch dazu wenn dessen einziger Programmpunkt ein anderthalbstündiges Klanggewitter moderner Handschrift darstellt, welches mangels jeglicher Pause sicher selbst manch erwachsenem, ungeschulten Ohr alles abzuverlangen dürfte. Bravo, welch geniale Idee.

Einfach mal einen ganzen Saal durch die eigene Ignoranz (oder schlichte Blödheit) in Geiselhaft nehmen und das Konzerterlebnis für Ausführende wie Besucher durch ein ständig brabbelndes, quengelndes, schließlich weinendes Kleinkind zu verhageln. Von dem armen Würmchen ganz zu schweigen, dass um die Uhrzeit besser im Bettchen aufgehoben gewesen wäre, statt zwischen Langeweile und Überforderung sowie Vatis und Muttis Schoß hin und hergerissen. Erst kurz vor Schluss, als das Geschrei den Klangwogen immer mehr Paroli bot, fiel der Groschen und man verließ den Saal. „Leider“ saß ich in beträchtlicher Entfernung zu besagtem Block. Die Phantasien, das Mädel in den Waisenstatus zu überführen, kamen dennoch reflexhaft in den Sinn.

So begab es sich also, dass an diesem Abend die wunderbare Turangalîla-Sinfonie für Orchester, Klavier, Ondes Martenot und obligates Kleinkind zu erleben war. Die für den Klavierpart vorgesehene Yuja Wang musste krankheitsbedingt leider absagen, so dass sich mein erster Live-Eindruck dieser Künstlerin noch weiter vertagen wird. Herr Chamayou zeigte sich in jedem Fall als glänzender Einspringer. Überhaupt ist Glanz ein gutes Stichwort. Der Klang der Wiener Philharmoniker erwies sich – zum wiederholten Male – als Idealbetankung dieses sensiblen Saales. Zumal von meinem Lieblingsplatz aus vernommen. Geradezu unfair für alle nachfolgenden Orchester, könnte man sagen. Ein Wahnsinnsstreicherklang von Sänfte bis Schwert, zartestes Holz, bombastisches, profundes Blech. Da muss man schon lange horchen, um gegen Ende mal ein nicht ganz sauberes Blechtutti zu erhaschen – das wars dann aber auch an „Unzulänglichkeiten“.

Unzulänglichkeiten ist kein Begriff, den ich mir im gleichen Raum mit Esa-Pekka Salonen vorstellen kann. Über die Jahre habe ich den Finnen als einen meiner Lieblingsdirigenten ins Herz geschlossen. Durchschnitt, gar Langweile, ist bei seinen Interpretationen einfach kein Thema. Stets liefert er fesselnde, elektrisierende Versionen selbst altbekannter Werke – in der Regel mit ordentlich Verve, ja gern aggressiv im besten, Adrenalin fördernden Sinne, dabei nie kalt oder unbeseelt, sondern federnd, lebendig, ohne dabei ruhige und innige Passagen zu vernachlässigen. So auch heute beim Messiaen. Welch Rausch, welche Eruptionen, welch Reise! Und dabei Transparenz bis ins äußerste Fortissimo (Celesta & Co.). Immer wieder fühlt man sich inmitten eines riesigen Synthesizers. Hilft natürlich auch, dass ich das ganze Stück einfach über die Maßen schätze. Den ruhigen Satz könnte sich mir für meine Beerdigung vorstellen, geistert es mir irgendwann kurz durch den Kopf. Ein seltsamer Gedanke während eines Stückes, dass die Liebe und das Leben feiert, oder? Überhaupt, was hätte ich selbst denn davon – dann doch lieber diese Musik noch oft in solch vollendeter Darbietung wie heute bestaunen und genießen.