5. Juli 2013

Der Fall des Hauses Usher – Markus Huber.
Theater Pforzheim.

19:40 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Eingang Mitte links, Reihe 6, Platz 154


















Man wartet ja mitunter auf die dollsten Sachen. Verspätete Solisten, Dirigenten, die im Eifer der letzten Probe die Zeit aus den Augen verlieren, einmal war gar eine verkantete Bühnenmechanik der Grund dafür, daß sich der Vorhang zum Tristan erst nach einer ganzen Weile erhob. Heute reichte eine einzelne Klarinette – nebst ihrem Betätiger natürlich – dazu aus, den Untergang der Ushers noch etwas weiter hinauszuzögern. Gut, wenn man da einen sympathischen GMD in Diensten hat, der die Wartezeit einfach mit einer druckreifen, ergänzenden Erläuterung zur Musik des Werks überbrückt. Die offizielle Einführung, an die sich die Hiobsbotschaft anschloß, hielt wiederum die Regisseurin der Produktion, da die geplante Rednerin durch Heiserkeit ausfiel. Das mit dem Improvisieren funktioniert also schon mal in Pforzheim.

Das mit dem Inszenieren geht auch in die richtige Richtung. Lediglich einige etwas übertriebene Aktionen der Darsteller streifen den Einflussbereich der unfreiwilligen Komik. Nun ja, nicht jeder Sänger war eben auch Lee Strasberg-Schüler. Insbesondere Herr Francke als Roderick könnte es hier und da eine Spur subtiler angehen, damit nervöse Gespanntheit und Wahnsinn nicht in Karikatur abgleiten. Am stärksten wirkte auf mich hingegen das eher zurückhaltende Spiel der Madeline-Darstellerin Franziska Tiedtke, die nicht allein mit ihrer Stimme die beiden Herren zu becircen und schließlich gespenstisch heimzusuchen wußte. Ein vielsagender Blick, ein Lächeln, das plötzlich erstirbt, eine anmutige und gleichsam fordernde Geste, viel mehr braucht es nicht, um die unwirklich faszinierende Erscheinung der verführerischen Schwester Gestalt werden zu lassen. Die Vorgabe des Komponisten, sie den Vokal „A“ als einzige verbale Äußerung singen zu lassen, trägt natürlich darüber hinaus entsprechend dazu bei, diesem Charakter ganz und gar nicht fasslich begegnen zu können.

Damit wären wir schon bei der Musik. Als großer Freund der Glassschen Filmmusik ist mir hingegen verschwindend wenig von seinem „klassischen“ Œuvre bekannt. Doch direkt von Beginn an begegnet man den vertrauten, repetitiven Klängen und Mustern, die kennzeichnend für diese in erster Linie atmosphärische Musik sind. Ganz ehrlich: Insgeheim hegte ich im Vorfeld ja die ketzerische Befürchtung, ob pausenloses, meditatives Intervallgeorgel wirklich auch Musiktheater tragen könne, oder ob es zwangsläufig darauf hinauslaufen müsse, zu Tode gedudelt zu werden. Aber zu früh geunkt – Herr Glass läßt sich doch so Einiges einfallen, um Ermüdungserscheinungen vorzubeugen.

Das Dutzend Musiker, welches als Kammerensemble den Graben bevölkert, erweckt eine Partitur, die reich an Abwechslung in Bezug auf Struktur und Einsatz der klanglichen Mittel ist. Die einzelnen Szenen sind durch eine breite Palette an Tempi und Ausdruckszuständen klar strukturiert und in greifbare Abschnitte portioniert. Die Instrumentation wartet mit einer Fülle verschiedener Klangfarben auf, von relativ ungewöhnlichen Einzelstimmen (vor allem die oft solistisch eingesetzte Gitarre fällt hier auf), über interessante Kombinationen (beispielsweise die Verbindung von Flöte mit Synthesizerklängen), bis hin zum Gong-beschwerten Tutti.

Auch gerade das Zusammenspiel mit den Gesangsstimmen ist nicht ohne Reiz, fallen diesen doch neben eher rezitativischer Handhabung immer wieder auch Schlüsselmomente an Lyrik und Emotion zu. Ausladende Kantilenen im landläufigen Sinne sucht man vielleicht vergeblich, aber das Material dürfte mit seiner Mischung aus eingängiger Simplizität und interessanten harmonischen Wendungen insgesamt weit weniger sperrig als manch andere neuzeitliche Schöpfung sein.

Noch einmal zurück zur Inszenierung: Die Bühne gibt eine eher abstrakte Ahnung des alten Gemäuers, liefert mit den abgehängten Möbeln jedoch gleichzeitig ein passendes Bild für das nahende Ende von Dynastie und Anwesen. Die Sturmszene mit den wehenden Laken und baumelndem Kronleuchter gerät vielleicht eine Spur zu simpel, dafür ist die ebenfalls einfache Idee, Madelines Sarg durch eine schlichte Klappe im Bühnenboden darzustellen, auch für die Handlung von Vorteil, da ihr Grab somit als latente „Bedrohung“ inmitten des Geschehens verortet bleibt. Die Andeutung einer Dreiecksbeziehung erscheint in dieser Inszenierung durchaus plausibel, die Projektionen und Kinderdarsteller unterstreichen das Gefühl, daß die drei Hauptdarsteller schon seit ihrer Jugend ein Geheimnis verbindet. Besonders reizvoll empfinde ich die Vorstellung, ob besagte Kinder nur Williams Träume heimsuchen, gleichsam Visionen, oder nicht doch eine nächtliche Manifestation des Geschwisterpaares zeigen – es scheint in dieser Produktion ohnehin von Anfang an unklar, welche Protagonisten zu welchem Anteil tatsächlich noch in dieser Welt beheimatet sind. Der überdeutliche Vampirzüge aufweisende Arzt und der statuenhafte Diener bilden da keine Ausnahme.

Ich bleibe dabei: Insgesamt eine gute Gelegenheit dieses Werk kennenzulernen und dem Komponisten einmal abseits der Kinoleinwand zu begegnen. Schön, daß sich das Theater Pforzheim dieser Aufgabe widmet, erst Recht, da ich ein inneres Kopfschütteln nicht verhehlen kann, wenn ich hinter mir Perlen der musikalischen Toleranz höre wie: „Wir hatten ja noch einen Gutschein, aber unsere Nachbarin meinte, das täte sie sich nicht an“ oder: „Das stehen wir heute durch“ und last but not least: „Meditativ, so so, naja – im Zweifel werden wir geweckt“. Manche Menschen gehen also tatsächlich zum Leiden oder Schlafen ins Theater. Wenn dafür Geld da ist, scheint es den Leuten wohl noch nicht allzu schlecht zu gehen. Glücklicherweise relativierte der herzliche Schlußapplaus solcherlei engstirnige Zuckungen und bestätigte die Anstrengungen des Hauses, etwas Besonderes auf die Beine zu stellen.


Philip Glass – Der Fall des Hauses Usher
Musikalische Leitung – GMD Markus Huber
Inszenierung – Bettina Lell
Bühne und Kostüme – Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf
Video-Art – Christian Paulo
Licht – Peter Halbsgut
Dramaturgie – Doreen Röder

William – Aykan Aydin
Roderick Usher – Markus Francke
Madeline Usher – Franziska Tiedtke
Arzt – Benjamin-Edouard Savoie
Diener – Axel Humbert

Kinderstatisterie des Theaters Pforzheim
Badische Philharmonie Pforzheim