10. März 2012

Lady Macbeth von Mzensk – Stephan Tetzlaff.
Stadttheater Bremerhaven.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 13


















Bremerhaven scheint mir nicht gerade eine Schönheit, profitiert in meiner hanseatischen Wahrnehmung aber von seiner Lage direkt am Deich gegenüber anderen grauen Flecken der bundesdeutschen Landkarte. Ist der einstige Charme des Stadttheaters noch in Fassadenresten zu erahnen, bleibt dem architekturkonservativen Auge ansonsten wenig Blickfläche zum verweilen. Aber es kommt ja auf die inneren Werte an.

Mit Schostakowitschs Lady Macbeth (wohlgemerkt in deutscher Sprache) stand nach Greifswald schließlich der zweite Premierenbesuch an einem kleinen Haus innerhalb weniger Wochen an, an dieser Stätte offenbar gar eine Erstaufführung des Werkes. Leider gab es nach der rauschenden Greifswalder Nacht hier nur ein laues Lüftchen an der Küste.

Angefangen bei der seltsamen Akustik, die insgesamt zwar schon präsent war, das Schlagwerk jedoch in einer Art merkwürdigem Echo abbildete und unter dem Strich – zumindest auf meinem Platz – Druck vermissen ließ. Vielleicht lag es aber auch am Orchester oder vielmehr am Dirigat, daß aus dieser eruptionsreichen, wallungsgesegneten Partitur so wenig herüberwallte. Für das Protokoll: kein schlechtes Orchester aber mit einem Wort – harmlos.

Auch die Sänger waren durchweg zu hölzern, insbesondere die Hauptpartie. Keine wirklich schöne Stimme, ziemlich hart, szenisch engagiert aber wirkungslos. In Braunschweig waren es vor allem Katerinas Oasen zerbrechlicher Zartheit innerhalb dieser Orgie des Brutalen, die die musikalische Sensibilität des Komponisten und seines Werkes immer wieder ohrenscheinlich werden ließen – hier war davon kaum etwas zu spüren. Sergei zwar mit recht ordentlichem Organ, aber auch bei ihm: nur ein Kratzen an der Oberfläche dessen, was die Oper an Potential bereithält. Physisch nicht präsent genug, obwohl noch einer der besten. Vater nicht schlecht, auch darstellerisch, Sohn zu vernachlässigen. Pope und Polizeichef brachten mit ihren skurrilen Auftritten jeweils etwas Leben in die Bude. Die Sängerin der Sonjetka darstellerisch nicht übel – lasziv.

Die Inszenierung besitzt von allem ein bißchen, von öde bis treffend – hätte mit besserer musikalischer Leistung was werden können. Amüsante Szene: die Polizeisauna. Ganz schwach: die Umsetzung der verzweifelten Tat Katerinas zum Schluß (Warum erschlägt sie Sonjetka mit einem Stein – für das bißchen Theaterblut? Sie selbst kann sich danach nur zum Sterben legen. Natürlich nicht zu den anderen Toten des Abends. Eine seltsam unentschlossene Szene). Ganz stark: die Umsetzung des Gefangenenzuges im gleichen Akt (Die Häftlinge tragen ihr Gefängnis mit sich. Die Gitter werden je nach dramatischer Konstellation angepaßt: zuerst als Trenner zwischen den Geschlechtern, dann als frontale Schaumauer für die höhnende Meute in Isolation zu Katerina).

Am Ende stellt sich mir die Frage, ob man das Werk und insbesondere seine Musik in dieser Gestalt in sein Herz schließen kann. Zumal, wenn es sich um die erste Kontaktaufnahme handelt. Nun, Liebe auf den ersten Blick scheint ja im Allgemeinen ein eher seltener Umstand zu sein, somit bleibt mir zu hoffen, daß man die Oper in Bremerhaven trotz einer eher verhaltenen Aufnahme durch das Publikum nicht gleich wieder in der Versenkung verschwinden läßt. Aber wahrscheinlich wird es – anders als in der Libretto-untreuen Szene – genauso für Katerina kommen und am Horizont röten die Umrisse einer neuen Violetta oder Carmen.


Dmitri Schostakowitsch – Lady Macbeth von Mzensk
Musikalische Leitung – Stephan Tetzlaff
Inszenierung und Ausstattung – Andrej Woron
Choreographie und szenische Mitarbeit – Lars Scheibner
Choreinstudierung – Ilia Bilenko
Dramaturgie – Juliane Piontek
Studienleitung – Hartmut Brüsch
Musikalische Assistenz – Yukiko Horiuchi, Ara Khachaturian
Regieassistenz und Abendspielleitung – Sebastian Glathe
Mitarbeit Bühnenbild und Kostüme – Joanna Surowiec

Boris Ismailow – Werner Kraus
Sinowi Ismailow – Daniel Kim
Katerina Ismailowa – Kirsten Blanck
Sergei – Alexander Günther
Axinja, Köchin – Christine Graham
Der Schäbige, ein verkommener Arbeiter – Ziad Nehme
Pope / Alter Zwangsarbeiter – Andrey Telegin
Polizeichef – Peter Kubik
Sonjetka, Zwangsarbeiterin – Ann-Juliette Schindewolf
Zwangsarbeiterin – Elena Zehnhoff
Verwalter / Sergeant – Daniel Dimitrov
Hausknecht – Lukas Baranowski
1. Vorarbeiter – Vladimir Marinov
2. Vorarbeiter / Kutscher – Dong-Sung Cho
3. Vorarbeiter / Betrunkener Gast – Jung-Hun Choi
Mühlenarbeiter / Polizist – Róbert Tóth
Wächter – Giorgi Darbaidze

Opernchor und Extrachor des Stadttheaters Bremerhaven
Städtisches Orchester Bremerhaven
Statisterie