21. März 2012

City of Birmingham SO – Andris Nelsons.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16


Benjamin Britten – Four Sea Interludes op. 33a
Ludwig van Beethoven – Klavierkonzert Nr. 4 (Anna Vinnitskaya)
Zugaben: Ludwig van Beethoven – Bagatelle / Johannes Brahms – Intermezzo Es-Dur op. 117/1

(Pause)


Jean Sibelius – Sinfonie Nr. 2

Zugabe: Jean Sibelius – Andante festivo



Am heutigen Tag wurde mein akustischer Fundamentalismus auf eine harte Probe gestellt. Eine saftige Erkältung nebst hartnäckigem Rachenreiz trat an, meine mehr als 350 Konzerte währende Hustenabstinenz jäh abreißen zu lassen. So weit kommt es noch! Wie soll ich denn dann bitte weiterhin meine inwändigen Haßtiraden gegenüber allen Konzert-Röchlern und Spontan-Auswürflern in bewährter Freude ausleben? Da könnte ich mich ja selbst nicht mehr im Spiegel anhusten. Gemach, gemach, es kam erst gar nicht zum Äußersten – auch, weil mich ein rundum gelungenes Konzert in seinen Bann zog.

Das City of Birmingham Symphony Orchestra ist für meine Begriffe eines der besten Orchester für Sibelius. Insbesondere sein herb schneidender, leicht spröder Klang der Streicher scheint sich seit den Zeiten mit Rattle – die ich allerdings nur von den Mitschnitten her kenne – konserviert zu haben. Diese EMI-Aufnahmen stellen für mich nach wie vor die Referenz in Sachen Sibelius dar, interpretationstechnisch wie klanglich. Umso schöner festzustellen, daß dieser Sibelius-Sound auch heute noch live erlebbar ist.

Doch zuerst stand Anderes auf dem Programm. Zuvor bewies man auch in den Sea Interludes seine tönende Eignung für Britten, wenn ich auch mit Nelsons Interpretation nicht in allen Einzelheiten mitgehen konnte. Aus einem erfrischend schwungvollen, von Elan geprägten Ansatz heraus unterstelle ich ihm in schnellen Passagen (beispielsweise in „Sunday morning“) eine Tendenz zum Davongaloppieren, das rhythmische Gefüge gerät für mein Empfinden aus den Fugen, ins Kurzatmige, läuft Gefahr zu stolpern. Trotz dieser Irritationen stehen spannungsreich gestaltete Ergebnisse Nelsons zu Buche.

Dem Beethoven konnte ich allerdings weniger abgewinnen, auch die Solistin vermochte daran zunächst nichts ändern, obwohl sie spätestens im Finalsatz und erst recht in den Zugaben ihre Extraklasse demonstrierte. Wahrscheinlich war ich doch nicht ganz in Form. Frau Vinnitskaya ging den Schluß des Beethoven-Finales aber mit einer derart Aufhorchen machenden eleganten Agilität an, daß auch bei mir der Groschen fiel. Die Bagatelle überzeugte vollends, nach Verklingen des Brahms-Intermezzo war ein Aggregatszustand wohliger Wehmut erreicht – einem zarten Anschlag und sensibler Spielweise sei Dank.

Nach der Pause nun Sibelius. Wann immer es zu den spärlichen Aufführungen des Finnen kommt, ist die Wahrscheinlichkeit überaus hoch, seine zweite Sinfonie kredenzt zu bekommen. Oder halt Finlandia als Programmauffüller oder Rausschmeißer. Warum also immer die Zweite? Sicher weil sie Kraft ihrer Ausdehnung als vollwertiger Hauptgang taugt und darüber hinaus noch nicht so viel mit dem zu tun hat, was mir Sibelius so faszinierend und unverwechselbar erscheinen läßt. Das ist natürlich stark vereinfachend zu verstehen. Nichts desto trotz fristet die Zweite in der heimischen Sibelius-Jukebox ein Schattendasein und wird von ihren Geschwistern Vier bis Sieben hoffnungslos ausgespielt. Nun denn, mein Plattenschrank ist (noch) nicht Vorbild für Programmgestalter, somit kehren wir zurück ins Reich der unumschränkt herrschenden Nummer Zwei.

Wie schon gesagt, bezüglich des Klangs gab es heute rein gar nichts zu beanstanden. Streicher schroff-scharf; Blech präsent – nicht ultradrohend aber sehr brauchbar, insbesondere ein klar schneidender Trompetenstahl; Holz ohne Fehl und Tadel. Schönes Cellosolo. Zwar muß ich gestehen, die Sinfonie in ihrer Struktur nicht besonders gut auf dem Schirm zu haben, dennoch war mir phasenweise ein Abgleich mit schon Vertrautem möglich. Und auch ohne diesen Vergleich war ich sehr von Nelsons Herangehensweise angetan. Manch ruhige Passage hätte man behutsamer, kontemplativer lösen können, im Großen und Ganzen empfand ich die Interpretation als absolut schlüssig.

Besser noch als die Sinfonie selbst eignet sich vielleicht die Zugabe, das Andante festivo, um Nelsons Zugang zu beschreiben. Dieses Stück wird ja immer mal wieder als Nachtrag gegeben, in solch einem freudigen, schwungvollen – wahrhaft festlich glänzenden – Gewand habe ich es jedoch noch nie gehört. Nelsons schürt die Energie, betont das Schwungvolle, auch hier mit einer gewissen Tendenz zur Eile, das Ergebnis ist glückselig umarmend anstatt elegant oder gar melancholisch. Ob diese Art auch auf eine vierte oder siebte Sinfonie angewendet funktionieren könnte, kann ich nicht sagen. Nicht, daß mit der Zweiten heute keine Tiefe übertragen worden wäre, aber so ein monumentales Triumphfinale ist schon etwas Anderes als das dünne Eis der späten Sinfonien.

So oder so geben Nelsons und sein Orchester eine Kombination ab, die Eindruck und Freude macht – bitte wiederkommen!