23. Mai 2012

Ariadne auf Naxos – Simone Young.
Staatsoper Hamburg.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 3, Platz 16


















Angefixt von der Opernwerkstatt vor zwei Wochen ging es heute in die neuinszenierte Hamburger Ariadne. Am liebsten würde ich direkt zum Wiederholungstäter – nicht, weil der Abend insgesamt ein herausragender gewesen wäre – sondern, um Anne Schwanewilms vokaler Seelenwanderung ein weiteres Mal ungläubig beiwohnen zu dürfen.

Die Stimme des Abends ließ das Begeisterungspendel zumindest bei ihren Auftritten weit ausschlagen. Ich kenne wenig Soprane dieser Größenordnung, die im Piano und Pianissimo über derart mannigfaltige Abstufungen in Bezug auf Dynamik und Ausdruck gebieten. Die von mir oft herangezogene Stanze „differenziert“ verkommt da fast schon zur Beleidigung. Beredtes Singen möchte ich es nennen – die Fähigkeit, im Singen mehr zu transportieren als Tonhöhen. Eine Kunst, die recht selten anzutreffen ist, aber bei jeder Begegnung die Wahrwerdung des Unwahrscheinlichen feiert – die vollkommene Symbiose von Ton und Wort.

Bei Schwanewilms kommt einfach alles zusammen: Phrasierungszauber, Textverständlichkeit, ein unverwechselbares Timbre – Liederabend-Schattierungen auf der Opernbühne, das ist rar. Recht häufig hingegen geht solch stimmdarstellerische Begabung mit szenischem Gespür einher, so auch in diesem Fall. Abgesehen von der sehr reduziert agierenden Ariadne genügen schon die paar Momente der Primadonna im Vorspiel, um festzustellen, daß Frau Schwanewilms über ausgesprochene Bühnenpräsenz verfügt – herrlich arrogant und zickig, wie die Diva hier alles und jeden niederfunkelt.

Eine ähnliche Rundumbegabung stellt am heutigen Abend nur der versierte Franz Grundheber dar. Hatte er zwar hier und da mit einem Hustenreiz zu kämpfen, konnte er insgesamt aber wieder mal den ganzen jungen Hüpfern zeigen, wo stimmlich und darstellerisch der Hammer hängt. Ein idealer Musiklehrer – gütig, wissend, durch und durch sympathisch. Oft ist es nur ein dezentes Minenspiel, das den Unterschied macht. Wie froh bin ich doch, ihn als Holländer, Barak, Scarpia oder Simon Boccanegra erlebt haben zu dürfen.

Wenn ich jetzt schon mal bei den Sängern bin – nennenswerte Ausfälle waren nicht zu verzeichnen. Dennoch unterliegt diese Produktion ihrer hannoverschen Alternative in allen Belangen. Konnte ich mich im Januar ob Spielwitz und Klangschönheit kaum einkriegen, herrschte hier, vor allem im zweiten Teil, gepflegte Kaugummiatmosphäre. Die „gefährlichen Längen“ vor denen der Tanzmeister im Libretto warnt – da waren sie. Wobei ich die Musik aufs vehementeste in Schutz nehmen möchte, viel schöner geht es an und für sich kaum. Aber eben nicht heute.

Womit wir wieder bei den Sängern wären. Doch das trifft es auch nicht wirklich. Nun ja, Cristina Damian als Komponist hat schon eine der Anlage nach wohlklingende Mezzostimme, die aber leider nur bedingt für die Feinheiten der Partie einzustehen im Stande ist. Und um Feinheiten geht es in diesem Werk von vorne bis hinten. Insbesondere manch leiser Ton gerät da etwas brüchig, unelegant, mitunter nichtssagend. Schwingt sich ihre Stimme auf, ist der Eindruck gleich ein anderer, hier droht jedoch Gefahr durch das Orchester, das allzu oft Damians leidenschaftliche Ausbrüche unter sich zu begraben gewillt scheint. Leidenschaft zeichnet auch die szenische Darstellung des Komponisten aus.

Die Sängerin der Zerbinetta, Hayoung Lee, wartet mit ihrem gewohnt zarten Stimmchen auf, das kommt schon alles sehr fein und flexibel daher, wenn das letzte bißchen Tiefe auch fehlen mag. Auf jeden Fall eine mehr als ordentliche Leistung und kein Grund für Buh-Rufe (!?) – da war wohl jemand mit dem falschen Ohr zuerst aufgestanden. Ganz ehrlich, wer hier buht, steht mit der Realität auf Kriegsfuß. Sicher, die Partie beinhaltet vielleicht mehr Feinheiten – da war es wieder – als heute zu Gehör gebracht wurden. Und nein, Frau Lee ist keine Gruberova oder Battle – ja und? Wenn es danach ginge, käme man im bundesdeutschen Opernalltag aus dem Buhen gar nicht mehr heraus. Was soll das denn für ein Maßstab sein? Dann kann man sich ja gleich mit seiner Schellacksammlung einsargen lassen.

Von den kleineren Rollen möchte ich Jürgen Sacher als Tanzmeister hervorheben. Die Ausgestaltung als versiffter Kettenraucher gab der Rolle etwas Verschlagenes, das Sacher perfekt transportierte. Stimmlich auch beim Schlußapplaus unterschätzt. Als Krone der Nymphen Rossmanith in gewohnt hauchzarter Manier – ein wahres Zauber-Echo. Die Spaßmachertruppe gesanglich wie darstellerisch (vor allem nach der Pause) blaß, der Haushofmeister hingegen zum Teil mit vorbildlich arroganter Attitüde.

Habe ich da nicht jemanden vergessen? Ach ja, Bacchus persönlich! Ich muß gestehen, daß mich Herr Botha etwas enttäuscht hat – wenn auch auf höchstem Niveau. Da braucht man sich gar nichts vormachen, wenn jemand mit seinem Renommee die Hansestadt besucht, ist die Erwartungshaltung schon gewaltig. Und siehe, auch er ist nur ein Mensch, auch er hat Probleme mit den höchsten Tönen, auch er „leidet“ an dieser gewissermaßen unfairen Partie. Natürlich besitzt er eine wunderbar jugendliche Stimme, dazu enorme Strahlkraft, trotzdem war es in meinen Ohren nur ein guter, kein göttlicher Auftritt.

Um ein letztes Mal auf den Umgang mit Feinheiten zu sprechen zu kommen – das Dirigat trug heute wenig dazu bei, die Vorzüge des Notentextes hervorzuheben. Im Vorspiel deutlich zu oberflächlich, unelegant, nach Wiederanpfiff weitgehend spannungslos. Exemplarisch für Letzteres das Finale – in Hannover unter Kamensek ein sich stetig steigernder Rausch, unter anderem durch sublime Steigerung des Tempos erreicht, hier ein langsames Gedehne ohne Ziel. Hinzu kam der befremdliche Effekt einer akustischen Magerkost, wie sie (siehe Hannover) nicht auf die reduzierte Anzahl der Musiker zurückzuführen ist. Es klang einfach nicht. Besonders ernüchternd die wenigen aufwallenden Tutti-Passagen, die nur einen blassen Abglanz des Vertrauten lieferten. Dabei kann ich mich noch genau an meine Gedanken in der Leinestadt erinnern: was für ein Sound von dieser kleinen Schar! Hmm, Platztechnisch lagen beide Abende dicht beieinander, das akustische Ergebnis leider nicht.

Und ja, eine Inszenierung gab’s auch noch. Abgesehen von einigen peinlichen Berufsjugendlichkeiten, die man den Agierenden abnötigte (heißa, was ist ein Stinkefinger in der Oper doch ungesehen) und manch möchtegernkontrapunktischem Gehampel (die Nymphen als „Opernbesucher“ schäkern mit imaginären Freunden im Publikum, während Ariadne vor Pathos zerfließt) gab es eine ordentliche Arbeit. Im Vorspiel tröstete eine fulminant quirlige Personenregie (insbesondere Frau Lee konnte sich richtig austoben) über den Mangel an musikalischer Finesse hinweg – sehr gelungen, weniger Musiktheater als eher ein Theaterstück mit Musikbegleitung, aber okay.

Dummerweise verkam gerade die eigentliche Oper in der Oper zur Geduldsprobe. Ästhetisch zwar, aber statisch bis in die altgriechischen Haarspitzen. Na gut, das Bild der Todesdienerinnen mit ihren Messern, das später pfiffigerweise von dem eifersüchtigen Spaßmachertrio zwecks Erdolchung des Auserwählten aufgegriffen wird, besitzt wirklich mehr als dekorativen Charakter. Was ich dem prahlerischen Dickschiff am Schluß absprechen möchte. Die Idee mit dem „echten“ Publikum auf der Bühne – geschenkt. Mein Hauptvorwurf in Bezug auf den zweiten Teil ist jedoch vielmehr: gerade die apostrophierte Verzahnung der beiden Welten, des Tragischen und des Heiteren, findet für meine Begriffe nicht statt. Die Auftritte bleiben jeweils episodisch, voneinander getrennt, (zumindest für den Abend) unvereinbar. Und gerade in diesem Mit- und von mir aus auch Gegeneinander liegt doch der Reiz, ihr Nebeneinander ist Bühnenalltag.

Fazit: Als reichster Mann von Wien hätte ich meine munifizente Gratifikation heute lieber in mehr Feuerwerk investiert.


Richard Strauss – Ariadne auf Naxos
Musikalische Leitung – Simone Young
Inszenierung – Christian Stückl
Bühnenbild und Kostüme – Stefan Hageneier
Choreographie – Eric Miot
Licht – Michael Bauer

Musiklehrer – Franz Grundheber
Komponist – Cristina Damian
Tenor / Bacchus – Johan Botha
Tanzmeister – Jürgen Sacher
Perückenmacher – Thomas Florio
Haushofmeister / Lakai – Levente Páll
Zerbinetta – Hayoung Lee
Primadonna / Ariadne – Anne Schwanewilms
Harlekin – Viktor Rud
Scaramuccio – Chris Lysack
Truffaldin – Adrian Sâmpetrean
Brighella – Jun-Sang Han
Najade – Katerina Tretyakova
Dryade – Rebecca Jo Loeb
Echo – Gabriele Rossmanith

Philharmoniker Hamburg