19:00 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 137
Meine Erwartungshaltung in Bezug auf Herrn Terfel war angesichts eines Rufs wie Donnerhall und den jüngsten Lorbeeren als Met-Wotan nicht gerade verhalten, aber gleich mit dem ohnehin bühnenwirksam angelegten Auftritt des Barons ist klar, daß dieser Scarpia nicht nur Rom, sondern auch das Münchner Auditorium im Sack hat. Der Waliser teilt eben jenes Phänomen mit den Besten seines Fachs, über größtmögliche stimmliche Präsenz (nicht zu verwechseln mit bloßer Lautstärke) hinaus mit einem Gleichmaß an physischer, szenischer Wirkungskraft gesegnet zu sein.
Terfels Scarpia beläßt es nicht beim üblichen Poltern und Drohen, er lauscht dem Charakter eine Vielzahl leiser, keinen Deut weniger bedrohlicher Töne ab, die den Abend zu etwas Besonderem werden lassen. Wenn er beispielsweise gewissermaßen zwischen den Zähnen hindurch singt, ohne dabei übrigens an Deutlichkeit zu verlieren, transportiert dies eine stetig schwelende Aggression und unterdrückte Lust am Leiden anderer, wie ich sie selten gehört habe. Überhaupt, unterdrückte Seiten und Selbstkontrolle könnte man als Fixpunkte von Terfels Interpretation bestimmen. Das bigotte Moment ist zum zerreißen gespannt in einem Mann, der nach außen hin zwar strenger Verwalter der Ordnung, in seinem Inneren selbst jedoch zügellosen Trieben unterworfen ist.
Bietet insbesondere das pompöse Finale des ersten Aktes mit dem Te Deum die Bühne für Scarpias Tosca-Obsession und schließlich Zerknirschung im Angesicht der überlieferten klerikalen Macht, der er sich zumindest öffentlich beugen muß, läßt ihn die Inszenierung zu Beginn des zweiten Aktes in seinem Palast diese Maske weitgehend ablegen. Umgarnt von seinen Konkubinen, die er wie Spielzeug behandelt, oder besser wie ein sadistisches Kind, dessen größte Freude darin besteht, seine treu ergebenen Tiere zu quälen, kann er endlich sein, wie er ist. Auch hier läßt Terfel nicht den Hauch eines Zweifels, wer die Situation kontrolliert.
Das I-Tüpfelchen in dieser Scarpia-Interpretation besteht meiner Ansicht nach darin, daß Terfel die Rolle trotz aller Monstrosität nicht ohne einen gewissen Funken Charme spielt – was die Dämonie-Stellschraube noch deutlich weitertreibt. In der Kirchenszene des ersten Aktes, als Scarpia Tosca die Eifersucht einpflanzt, schafft es der Baron – zumindest für einen Moment – die Maske des Fürsorglichen und Galanten tatsächlich mit lebendigen Zügen zu tragen. Es scheint am Ende fast so, als wäre er selbst dieser Täuschung erlegen, wenn seine Tosca entgegen gestreckte Hand nach ihrem Fortlaufen einen Augenblick in der Höhe verweilt. Glaubhafter kann man die Initiation seiner Besessenheit gegenüber dieser Frau kaum darstellen.
Wobei mit „darstellen“ bei Herrn Terfel immer das Szenische und Stimmliche in Personalunion gemeint ist. Welch wundervolle Stimme! Abgesehen davon, daß hier, wie bereits angedeutet, nie allein Tonhöhen, sondern immer auch Gemütszustände übermittelt werden, hat Terfels Gesang alles, um den geneigten Stimmfeinschmecker mit der Zunge schnalzen zu lassen. Phrasierungssensibilität, Legatofähigheit, Klangfarbenreichtum und Präsenz auf jeder Dynamikstufe gepaart mit einem unverwechselbaren, schlicht als balsamig zusammenzufassenden Charakter, ermöglichen es diesem Sängerdarsteller, als unerschütterliche Säule einer jeden Produktion zu brillieren.
Umso erfreulicher, daß auch seine Ensemblekollegen diesen starken Eindruck weitgehend unterstützten. Catherine Naglestads Tosca hat mir ausgesprochen gut gefallen. Ihre Stimme ist warm und weich, darüber hinaus scheint sie mir für das Sinnliche geradezu prädestiniert. Die berühmte Arie im zweiten Akt gestaltet sie erfreulich uneffektheischend, ganz aus der Verfassung der verzweifelten Frau heraus – innig, zart, fast gebrochen. Darüber hinaus trägt ihr beseeltes Spiel generell viel zur Glaubwürdigkeit der Inszenierung bei.
Zusammen mit Massimo Giordano bildet sie zudem optisch wie szenisch ein Traumpaar (es wird viel geküßt bei Bondy!), obgleich ihr Recke stimmlich den Vergleich nicht ganz aushält. Zwar verfügt Herr Giordano über ein klangschönes Organ, rechte Schmelzwonnen wollen sich heute jedoch nicht einstellen. Die Spitzentöne kommen kraftvoll und präzise, aber spürbar bemüht. Insgesamt eine gute Leistung, die nur durch das unfaire Gedankenspiel getrübt wird, wer – mit einem Seitenblick auf Herrn Kaufmann in der Proszeniumsloge – als theoretische Alternative bereit stünde. Auch die Nebenrollen können sich hören lassen. Christoph Stephinger als profunder Messner, Goran Jurić als energischer Flüchtling oder der herrlich servile Spoletta von Francesco Petrozzi.
Das Staatsorchester unter Marco Armiliato spielt zum Dahinschmelzen. Für meine Begriffe hätte man hier und da ruhig noch knackiger, rauer zu Werke gehen können, aber das ist sicher Geschmacksache. Die Gewißheit, an diesem Abend Takt für Takt Weltklasse präsentiert zu bekommen, ficht das nicht an. Die Hörnerstelle zu Beginn des dritten Aktes beispielsweise ist schwerlich schöner zu denken. Das Blech ist insgesamt bärenstark. Aber was soll man sich mit der Hervorhebung von gelungenen Einzelteilen aufhalten, wo doch das Ganze den Abglanz des Vollkommenen liefert.
Kaum zu wünschen übrig ließ auch die Inszenierung. Ausgesprochen gelungen erscheint mir die Illustration des Alltäglichen an den Nahtstellen zwischen den einzelnen Szenen, da sie einen subtilen Rahmen der Authentizität schafft, der den Realismus der eigentlichen Handlung noch verstärkt. Ob wir dem Messner dabei zusehen, wie er Weihwasserbecken und Malerbottich aus dem selben Eimer speist und beinahe die ent- weil unterscheidende Geste der Segnung versäumt oder wir dem Exekutionskommando am Morgen bei seinem noch etwas unaufgeräumten Exerzieren beiwohnen, beides konturiert die Normalität und unterstützt dabei den Handlungsfluß.
Die Lichtregie folgt nur bedingt diesem naturalistischen Credo, sondern akzentuiert den emotionalen Gehalt bestimmter Szenen – besonders deutlich beim gleißenden Schein, der mit jeder Öffnung der Tür aus der Folterkammer dringt und die blutverschmierten Wände hervorhebt. In Scarpias Palast nimmt die Lichtstimmung zum Ende des Aktes einen unwirklichen gelb-orangen Charakter an, auch als Tosca nach ihrer Tat kurz mit dem Gedanken spielt, aus dem Fenster zu springen und dann gefühlsmäßig zusammenbricht. In der Kirchenszene wird viel mit Licht und Schatten gearbeitet, im dritten Akt bleibt das Morgengrauen dann gänzlich aus.
Insgesamt betrachtet eine sehr sehenswerte Inszenierung mit starken Bildern und einer zum Teil geradezu verschwenderischen Ausstattung (Klerus beim Te Deum). Leider geriet gerade Toscas angedeuteter Sprung in den Tod ganz am Schluß nicht optimal – wahrscheinlich wurde das Licht einen Hauch zu spät gelöscht, so daß die Sprungbewegung deutlich sichtbar durch die Sicherungsgurte abgebrochen und die Illusion somit aufgehoben wurde. In der Rückschau auf diesen wundervollen Abend ist das jedoch ein marginales Detail.
Fazit: Wo in München Festspiel draufsteht, ist definitiv Festspiel drin. Bravi!
Giacomo Puccini – Tosca
Musikalische Leitung – Marco Armiliato
Inszenierung – Luc Bondy
Bühne – Richard Peduzzi
Kostüme – Milena Canonero
Licht – Michael Bauer
Chor – Stellario Fagone
Florian Tosca – Catherine Naglestad
Mario Cavaradossi – Massimo Giordano
Baron Scarpia – Bryn Terfel
Cesare Angelotti – Goran Jurić
Der Messner – Christoph Stephinger
Spoletta – Francesco Petrozzi
Sciarrone – Christian Rieger
Ein Gefängniswärter – Tim Kuypers
Stimme eines Hirten – Solist des Tölzer Knabenchor
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper