Es mag kreislauffreundlichere Fleckchen geben, um den offiziell heißesten Tag des Jahres zu verbringen, als den Saal des schmucken Ekhof-Theaters mit seiner historisch informierten Klimaanlagenlosigkeit. Auch die Aussicht, vier Stunden Barockoper unter diesen Umstanden als einer von vielen tapferen Transpirateuren auf sich wirken zu lassen, dürfte nicht in jedem das Bild optimaler Sommergestaltung heraufbeschwören. Und selbst in einem Sonnenverächter wie mir keimten leise Zweifel. Mittlerweile weiß ich: völlig unbegründet.
Natürlich ist eine derartige Temperatur der Konzentration schon eher abträglich – Mitfiebern bekommt da eine ganz neue Bedeutung. Auf der anderen Seite erfährt der Begriff Hoftheater an einem solchen Tage eine ungeahnte Demokratisierung: In der Königsloge zählt man nicht weniger Schweißperlen als auf anderen Plätzen. Viel mehr jedoch ist die Aufführung ein schönes Beispiel dafür, wie relevantes, interessantes Theater – und sei es mehr als dreihundert Jahre unaufgeführt – solchen Widrigkeiten zum Trotz in den Bann schlägt, anregt, begeistert.
Dies lag in erster Linie am inspirierten Zusammenwirken aller Teilaspekte der Produktion. Hatte im Vorfeld vor allem die in Gotha zu bestaunende, original erhaltene Bühnenmaschinerie mit ihren fliegenden Kulissenwechseln mein Interesse geweckt, zeigte sich vor Ort jedoch schnell, daß es sich bei dem Festival hier nicht um eine Museumsvorführung mit Musikbegleitung, sondern um eine lebendige Zeitreise in die Welt barocker Opernpraxis handelt. Natürlich gibt es auch hier Zugeständnisse an aktuelle Gepflogenheiten, wie die Verdunklung des Zuschauerraums, jedoch wohl eher, um den Fokus auf das zu stärken, was man hier erarbeitet hat. Und das kann sich in jeder Beziehung hören und sehen lassen.
Dabei gerät die tadellose musikalische Darbietung mit dem Instrumentarium und in Spielweise des 17. Jahrhunderts angesichts einer ebenfalls historisch informierten Aufführungsweise des Szenischen, Darstellerischen für mich als absoluten Barocklaien fast schon in den Hintergrund. Das für mich Beeindruckendste war zweifellos das Erleben der – soweit dies heute überhaupt möglich ist – authentischen Inszenierung inklusive barocker Personenregie. Gerade das Agieren der Darsteller nach einem ausgefeilten Gestenkatalog gehört zum Faszinierendsten, dem ich in letzter Zeit beiwohnen durfte. Wo heute häufig im Theater der Ruf nach Authentizität und Nahbarkeit im Dienste einer Einbindung der Zuschauer ertönt, kann man hier den aus meiner Sicht nicht weniger involvierenden kompletten Gegenentwurf erleben.
Musiktheater als unbestreitbar künstliche Form der Vermittlung geht hier den Weg durch und durch artifizieller, strenger Formelhaftigkeit, um dem Publikum auch gerade auf visueller Ebene den Zugang zu erleichtern. Eine Art Informationschoreografie, die Gesungenes unterstützt, Beziehungen zwischen den Handelnden verdeutlicht, das Geschehen organisiert. Manche Geste läßt mich an Gebärdensprache denken, andere tragen ungemein dazu bei, auch optisch Spannung aufzubauen bzw. zu halten. Wer sich auf dieses Ballett der Gesten und Körper im Raum einläßt, entdeckt an diesem Nachmittag ein ganz neues – uraltes – Konzept für Musiktheater, dem nichts Antiquiertes anhaftet.
Natürlich, die Kostüme und Maske, auch die bemalten Prospekte verweisen auf eine vergangene Zeit, die emotionale Wirkung der Aufführung widerlegt jedoch den ersten Eindruck des Musealen. Es stellt sich mir daher die Frage, ob diese Art der szenischen Choreografie nicht auch beispielsweise in zeitgenössischen Werken – in welcher Form auch immer – Anwendung finden könnte, um auf diese Art die Brücke zum Publikum zu schlagen (Robert Wilson kommt mir da in den Sinn).
Bei aller Begeisterung für das Visuelle (inklusive diverser Balletteinlagen) soll nicht unter den Tisch fallen, daß die Musik selbst ihren Anteil an dieser fast schon kurzweiligen Veranstaltung hatte. Für ein Stück dieser Länge hält es überraschend reiche Beute musikalischer Abwechslung und Erbauung bereit. Höhepunkte an Inspiration und Intensität waren beispielsweise die Klage der Agrina, der Tod der Salomena oder die Arien bzw. Duette mit Countertenor-Beteiligung (Belochus). Das Ensemble lies kaum Wünsche offen, besonderen Eindruck machten neben den Sängern der genannten Rollen noch Markus Flaig als kraftvoller Arbaces sowie Jan Kobow in der bizarren Ausgestaltung der mäßig sympathischen Titelfigur. Zumindest mir erging es so, daß zu seinem selbstgewählten Ende doch Mitgefühl für den reichen armen Irren aufkeimte.
Dem Ekhof-Theater gilt mein Dank, mit dieser Produktion mein Verständnis für Barockes Musiktheater erheblich gemehrt zu haben, dem Stück mein Wunsch, daß es in den nächsten dreihundert Jahren häufiger zum Einsatz kommen möge.
Christian Ludwig Boxberg – Sardanapalus
Musikalische Leitung – Bernhard Epstein
Inszenierung und Choreographie – Milo Pablo Momm
Ausstattung und Kostüme – Jörg Meder
Bühnenbild – Jürgen Weiss, Bettina Schünemann
Szenische Beratung – David Matthäus Zurbuchen
Sardanapalus – Jan Kobow
Salomena – Antje Rux
Didonia / Diana – Elisabeth Göckeritz
Agrina / Juno – Theodora Baka
Belochus – Franz Vitzthum
Misius / Cupido – Kathleen Danke
Atrax – Sören Richter
Arbaces / Mars – Markus Flaig
Saropes – Johannes Weiss
Belesius – Felix Schwandtke
Orchester der Compagnie Opéra Baroque
United Continuo Ensemble
Tänzer der Compagnie l’espace