21. September 2014

Hamburger Symphoniker – Jeffrey Tate.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, 1. Rang rechts, Loge 5, Reihe 1, Platz 2



Richard Strauss – Also sprach Zarathustra

(Pause)

Gustav Holst – The Planets
(Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg (Damen))



Auf diese Saisoneröffnung hatte ich mich besonders gefreut – Die verheißungsvolle Kombination zweier ausgesprochener Lieblingswerke, präsentiert durch die geschätzten Hamburger Symphoniker und ihren verehrten Chefdirigenten. Zu hohe Erwartungen sind selten ratsam, da nicht nur in der Oper, sondern auch im Konzert das subjektive Gelingen des Abends von allzu vielen Faktoren abhängig ist. Daß ich bei Veranstaltungen der Hamburger Symphoniker, zumal unter Mitwirkung Herrn Tates, allerdings mittlerweile ein wohliges Zutrauen in die Fügung der Dinge entwickelt habe, wurde auch heute wieder nicht bestraft.

Also sprach Zarathustra, oder: So geht Strauss. Ein nie versiegender Fluß mäandernder Harmonik, aufs Nuancierteste ausgesteuert durch die feinen Fingerzeige Tates, sein herrliches Orchester im Rausch der Klangfarben erstrahlen lassend. Gipfel für Gipfel wird unbeirrbaren Schrittes erklommen, Bögen dürfen hier atmen, so daß stetig Spannung aufgebaut wird. Dabei spielt es keine Rolle, welchen Ausdruckscharakter eine Passage hat, die aufeinander aufbauenden bzw. kontratierenden Teile werden gemäß ihrer dramatischen Funktion im Fortgang des Stückes ungemein dicht verzahnt und lassen dabei das große Ganze ebenso wie die einzelnen Schönheiten der Partitur ans Herz gehen.

Und zu Herzen geht diese Musik, zumal in solch einer Interpretation, wie sie ein sensibler Gestalter wie Tate hervorbringt. Dabei zeichnet sich sein Dirigierstil sowohl durch äußerste Präzision, als auch eine ungeheure Ruhe und Wärme aus, ein Federn, daß den Fluß organisch lenkt. Fluß, da taucht der Begriff abermals auf. Wahrscheinlich empfinde ich deshalb auch Tates Strauss (und Wagner!) als so zwingend. Rund und voll. Mit einem Ohr für die Schattierungen, über die manch anderer achtlos hinfort eilt. Allein wie der innige Streichersog im Teil „Von den Hinterwäldlern“ stufenlos an Intensität und Kraft gewinnt, ließ mich einfach in Verzückung dahinschmelzen. Mag vielleicht arg pathetisch klingen, aber: Perfektion kann starke Worte vertragen.

Nach Rausch, Ekstase und Verklärung bei Strauss freute ich mich nicht minder auf die nachpausige Planetenkunde. Als Freund der unter Klassikfreunden gern naseberümpften Filmmusik und großer Bewunderer John Williams’ macht es einfach einen Heidenspaß, sich an dem standardsituativen Füllhorn, welches Holst mit dieser Suite ausgeschüttet hat, in vollen Zügen zu laben und staunend von den Früchten zu kosten, die schon manchen Kollegen aus Hollywood auf den Geschmack gebracht haben.

Natürlich sind da erst einmal die offensichtlichen Parallelen zu bekannten Stücken der Filmmusikgeschichte, wie die Patenschaft des Mars für allerlei Martialisches von Star Wars bis Gladiator. Viel spannender als einzelne, konkrete Allusionen oder (Beinahe-)Zitate ist in meinen Augen allerdings die Bandbreite und Plakativität der verschiedenen Holst’schen Stimmungsbilder, die auch ohne die Verknüpfung mit mythologischen Charakterstudien vor dem geistigen Auge Szenen verschiedenster Couleur hervorrufen. Damit meine ich weniger konkrete „auskomponierte“ Handlungen, als vielmehr präzis formulierte emotionale Aggregatzustände, die wiederum nach der Verknüpfung mit außermusikalisch Archetypischem geradezu schreien.

Die Untertitel der Sätze geben dabei zwar schon die grobe Richtung an – Krieg, Frieden, Freude, Alter usw. – doch sie unterschlagen den Variantenreichtum, mit dem sich Holst den Themen widmet. Faszinierend, wie er beispielsweise im Jupiter den Begriff „Freude“ von verschiedenen Seiten beleuchtet: Ausgelassen, weihevoll, übermütig, stolz, triumphierend. Und das organisch innerhalb weniger Minuten – ein Umstand, den diese Musik so interessant für Filmkomponisten macht, bei denen es oft auch um die Gestaltung plakativer Miniaturen geht, mit denen es Szenen von bereits durch den Schnitt definierter Länge zu vertonen gilt.

Dabei ist diese Art der Musik natürlich nicht mit Holst vom Himmel gefallen, Anklänge an andere Klassiker der „Programmmusik“ von Strauss bis Dukas (Holsts Magier Uranus scheint mit dem Zauberlehrling die gleiche Schulbank gedrückt zu haben) sind unüberhörbar. Dennoch stellt diese Suite für mich ein Schlüsselwerk der illustrativen bzw. deskriptiven Musik dar – die Diskussion, ob Musik an sich überhaupt lustig, traurig etc. sein kann, erspare ich mir an dieser Stelle – eben aufgrund seines kaleidoskopischen Steinbruchs an Ausdrucks-Standards, die in der Folge so inspirierend wirken sollten.

Gerade auch der Instrumentation darf in diesem Zusammenhang fast schon stilbildende Funktion beigemessen werden – um als Beispiel den Bogen wieder zu John Williams zu schlagen. Wer sähe sich als fleißiger Kinogänger beim einsamen Solohorn der Venus nicht an die Weiten Tatooines, bei Merkurs wirbelnden Figuren nicht an „Home Alone“ erinnert? Überhaupt fällt die Kombination flirrender Streicher und Holzbläser, wie sie unter anderem im Uranus anzutreffen ist, ganz klar unter den „typischen“ Williams-Sound.

Der Umstand, daß die Filmmusik in Vertretern wie Williams nicht minder begnadete Schöpfer großer Werke (unter gänzlich anderen Vorzeichen und für einem völlig anderen Einsatz) gefunden hat, läßt mich das Aufgreifen der angesprochenen Muster ganz klar als weitergeführte Tradition, ein aufeinander Aufbauen sehen und hat für mich gerade in diesem Fall keinesfalls etwa mit Ideenraub zu tun. Das Besondere – und Bewundernswerte – an Williams ist nämlich letztlich die Fülle originärer Ideen und Lösungen, die dieser Mann für die verschiedensten Genres in beseelte Musik gegossen hat. Aber dies im Detail auszuführen, würde wiederum einen eigenen Eintrag erfordern.

Besondere Erwähnung erfordert allerdings auch an diesem Abend Tates Beitrag. Gleich die ersten Takte des Mars liefern eine eindringliche Antwort auf die in meinem Umfeld gern mal halb unbedarft, halb provokant gestellte Frage, was der Dirigent denn schon groß beizutragen habe. Ein für mein auf Bernstein und seine New Yorker Philharmoniker geeichtes Ohr spontan viel zu langsames Grundtempo zum Beispiel. Und dann passiert nach einigen Momenten der Irritation eben jenes Phänomen, für das ich nicht müde werde, mir immer wieder ein und dieselben, scheinbar wohlvertrauten Stücke im Opern- oder Konzertsaal einzuverleiben: Das Altbekannte entsteht unter den Händen eines inspirierten Dirigenten frisch und neu wie ein Schatz, den man gerade erst gefunden hat.

Konkret auf den Mars bezogen bedeutet das folgenden Effekt: Während Bernstein mit seinem schnellen, ungestümen Tempo das aggressive, ungezügelte Moment des Krieges beschwört, der beinahe wie eine Naturgewalt hereinbricht, hebt das langsame, dafür ungleich präzisere Tempo Tates in seiner fast metronomartigen Strenge, das keinesfalls weniger beklemmende Technokratische, Unaufhaltsame der Kriegsmaschinerie in aller Unerbittlichkeit hervor. Querverbindungen zum maschinenhaften Tanz in Ravels „La Valse“, der ebenfalls sein grotesk stampfend schnaufendes Ende findet, tun sich auf – es ist einfach immer wieder spannend zu erleben, daß es eben nicht die eine, allein selig machende Sichtweise auf eine Komposition gibt. Daß sich hierbei auch die Hamburger Symphoniker nicht schuldlos zeigen – beispielsweise mit einem satten Blech, das droht, als gäbe es kein Morgen – versteht sich von selbst. Ebenfalls für die übrigen Sätze der Suite gilt: Die Hamburger Symphoniker liefern!

Fazit: Zarathustra-Sonnenaufgang und Milchstraßen-Bummel zeigen es um die Wette strahlend an – Die Sterne stehen günstig für die neue Saison der Hamburger Symphoniker.