19:15 Uhr Einführung fiel aus, 20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16
Felix Mendelssohn Bartholdy – Violinkonzert e-Moll op. 64 (Michael Barenboim)
Zugabe: Johann Sebastian Bach
(Pause)
Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 6 A-Dur
Last des Nachnamens hin oder her – so ganz warm bin ich mit dem Solisten des Abends nicht geworden. Kein Zweifel, daß Herr Barenboim zu Recht das internationale Bühnenparkett bespielt, nur steht mir persönlich der Sinn und Geschmack nach einem anderen Typus. Heute galt es, die Öhrchen in ruhigen, zarten Passagen zu spitzen – hier liefert Barenboim wirklich Außergewöhnliches. Samtig, fein, man spürt förmlich, wie er den Druck des Bogens auf die Saiten mildert, bis nur noch ein lieblicher Hauch zu vernehmen ist. Prima – aber für die Kontrastwirkungen eines Violinkonzert insgesamt zu wenig.
Gleich zu Beginn hatte ich den Eindruck, daß Solist und Orchester auf ungleich motorisierten Dampfern in See stechen, Herr Barenboim dem Gefolge immer wieder ein wenig davoneilte. Trotzdem war seine Interpretation nicht etwa von dem Elan und „Drive“ geprägt, den ich beispielsweise bei Christian Tetzlaff oder Baiba Skride erleben durfte. So macht mir der Mendelssohn keine Freude. Irgendwie recht nüchtern, teilweise mechanisch, kommt der Solopart bei mir an. Und das trotz der Umarmung durch dieses herrliche Orchester. Erst in der Kadenz tritt dann der beschriebene Samteffekt auf, überhaupt löst Barenboim diese Aufgabe alles andere als 08/15. Plötzlich ist eine eigene Handschrift spürbar, er setzt Pausen und Akzente, die das Spiel atmen lassen. Und im Finale des Satzes kommt endlich so etwas wie die vermisste energische Sogwirkung auf.
Leider verflüchtigt sich die Hoffnung auf mehr mit den ersten Takten der kurzatmig vorgetragenen Melodielinie des zweiten Satzes. Wenn man als Solist schon solch entwaffnend herzliches Material verfideln darf, sollte man es ruhig auch aussingen und -schwingen lassen. Das geht. Übrigens ganz ohne Schmalz und Schleim – einfach mal bei Frau Mutter nachschlagen (Link). So ist dies Lied ohne Worte ein Lied ohne Wert. Das Ende einer Phrase einen Deut länger halten würde schon helfen, zart genug ist der Vortrag ja durchaus. Im spritzig-flirrenden Finale spritzte es ebenso wenig wie es flirrte, alles ganz brav nach Vorschrift, aber so auf Nummer sicher kann mir das Stück auch gestohlen bleiben. Eines muß man Barenboim lassen: Er scheint selbst am besten zu wissen, was ihm wirklich liegt – die Bach-Zugabe bot jedenfalls ausreichend Gelegenheit, in leisem, duftig-weichem Tonfall das Ohr zu umschmeicheln. Und noch eines machte mir den Solisten sympathisch: Endlich mal ein Geiger, der bei der generell löblichen Idee, als Zugabe Bach zu kredenzen, NICHT reflexartig zur Sarabande aus der Partita Nr. 2 greift. Dafür ein aufrichtiges Dankeschön.
Mehr als einen Grund dankbar zu sein, gab es allerdings nach der Pause. Wer Bruckner als in erster Linie langsame, mitunter zähe Angelegenheit abgespeichert hat, die in Weihe vor sich hin schleicht und trompetet (eine Sichtweise, die natürlich so oder so Mumpitz ist), dem sei Jansons knackfrische, atemberaubende Lesart wärmstens empfohlen, der uns mit seinen makellosen Bajuwaren den „treudoofen“ Ösi aber sowas von adrenalingetränkt um die Ohren pfefferte. Holla!
Bruckner als D-Zug. Gleich ab den ersten Takten heißt es einsteigen – oder besser aufspringen – und mitreißen lassen. Solch flotte Tempi habe ich für Bruckner sonst nur ähnlich bei Salonen erlebt, lustigerweise ebenfalls mit der Sechsten. Das Besondere an dieser Interpretation ist, was für ein Strom durch die Geschwindigkeit entsteht, bei der die eigene Konzentration spielend auf den Wellenkämmen der Brucknerschen Struktur dahingleitet. Federnd, fesselnd, ein nie abbrechender Fluß (Auch gerade bei den typischen Bruckner-Pausen). Keine Spur von Anstrengung oder gar Ermüdungserscheinungen, einfach nur pures Vergnügen am symphonischen Wunderwerk. Dabei natürlich im Gegenzug von Hektik keine Spur, das Orchester eilt nicht, es demonstriert im besten Sinne virtuos seine Souveränität. Wobei Souveränität nicht allein auf technische, sondern gleichermaßen auf klangliche Fähigkeiten zu beziehen ist. Nenne mir eine Facette – dieses Orchester hat sie in petto. Allein der sonore Klang der stampfenden Celli war den Besuch wert.
Und nochmal: Es ist wirklich spannend zu erleben, was Jansons Handhabe mit dem Werk – aber eben auch einem selbst – macht und wie geschmeidig beschwingt diese wuchtige Musik daherkommen kann – ohne an Wucht bzw. Wirkung zu verlieren, versteht sich. Allein welche tänzerische, aufblühende Konnotation das Seitenthema des ersten Satzes (ich nenne das einfach mal so, das eher ruhige, liebliche halt) entwickelte, ließ mich regelrecht schmunzeln. Interessant auch, daß Jansons, bei allem zupackenden Drang, dem energischen Zugang, auf dynamische Extremkontraste, wie Tate sie häufig einsetzt, verzichtet. Ein weiterer schöner Beleg, daß das Beharren auf einer einzig „gültigen“ Herangehensweise höchstens geneigt ist, den eigenen Horizont einzuschränken. So erfrischend der erste, so leidenschaftlich der zweite Satz, so keck das Scherzo, so triumphierend das Finale – so macht Bruckner einfach Spaß.