26. März 2015

Il Giardino Armonico – Giovanni Antonini.
Laeiszhalle Hamburg.

19:15 Uhr Einführung, 20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16


Wolfgang Amadeus Mozart – Violinkonzert D-Dur KV 211
Joseph Haydn – Ouvertüre zu „L’isola disabitata“ Hob. XXVIII/9
Wolfgang Amadeus Mozart – Violinkonzert A-Dur KV 219

(Pause)

Joseph Haydn – Sinfonie f-Moll Hob. I/49 „La Passione“
Wolfgang Amadeus Mozart – Violinkonzert G-Dur KV 216
Zugabe: Wolfgang Amadeus Mozart – Rondeau: Allegro aus KV 211



Heute bin ich ein bisschen hin und her gerissen. Auf der einen Seite steht da ein Konzert, für das man in ehrlicher Dankbarkeit mal wieder ganz hoch ins Regal greifen und seltene Evergreens wie „Sternstunde“, „phänomenal“ oder das gute alte „Weltklasse“ entstauben darf. Besser wird man Mozart wohl kaum vermitteln können. Doch leider steht auf der anderen Seite – man ahnt es schon – Mozart, der (mir) schwer Vermittelbare.

Gestänkert, gelästert und gewitzelt habe ich bereits oft genug, der makellose Vortrag der Mitwirkenden ließ mich diesmal jedoch mehr als sonst schon während der Aufführung grübeln, warum genau ich mit den meisten Werken des Besucherlieblings nicht warm werde. Den Schlüssel dazu lieferte bei meiner kleinen Ermittlung heute nicht allein Mozart, sondern vor allem die Sinfonie Haydns, der im Allgemeinen ja besser bei mir wegkommt.

Diese Sinfonie, in der Einführung vollmundig als ungewohnt düster und schicksalsschwer angekündigt, zeichnet sich nachträglich betrachtet vor allem durch eines aus: Eintönigkeit. Vier Sätze, verschieden im Tempo, aber mit gleichbleibend Moll-nöliger Stimmung. Einziger Lichtblick das Menuett. Warum? Ganz einfach, weil hier endlich mal ein Ausdruckswechsel stattfindet. Damit ist schon ein wesentlicher Punkt für meine Aversion gegen Mozart und viele seiner Zeitgenossen gefunden.

Aber ich versuche das Pferd noch mal anders herum aufzuzäumen: Was bietet mir Mozarts Musik, ganz konkret die der dargebotenen Violinkonzerte? Bezogen auf die darin verwendete Harmonik geht es mir wie eigentlich immer bei diesem Komponisten – permanente Unterforderung. Da bin ich einfach durch Wagner, Mahler und Konsorten versaut. Auch die Herangehensweise, daß das Material im Zeitzusammenhang betrachtet der heiße Scheiß gewesen sein mag, hilft mir im hier und heute herzlich wenig. Limitierung und Vorhersehbarkeit kann ich mir nicht im Kopf spannend denken. Keep it simple? In diesem Falle ohne mich.

Käme als nächstes das rhythmische Element. Der Faktor, der beispielsweise einen wesentlichen Bestandteil meiner Faszination für Beethoven ausmacht. Weil er häufig für treibende, soghafte oder auch kulminierende Strukturen sorgt. Bei Mozart finde ich nichts Dergleichen. Alles brav und bieder nach Schema F. Nein? Auch hier alles ganz fancy und seiner Zeit voraus? Gut, muß wohl an mir vorbeigegangen sein.

Ebenso wirft die Struktur an sich nichts ab, an dem ich mich laben könnte. Hand in Hand mit der drögen Harmonik besteht auch hier keine Gefahr, etwas Interessantem oder gar Unvorhergesehenem begegnen zu müssen. Ich danke in diesem Fall sehr wohl der Entstehungszeit der Werke, die in der Regel verhältnismäßig kurze Sätze hervorgebracht hat – in dieser Bauart können selbst zehn Minuten elendig lang werden.

Und hier kommt auch gleich die Einschränkung des letztes Absatzes: Mozart (und Haydn) werden immer genau dann aushaltbar für mich, wenn das schlichte Material zumindest mit Ausdruckswechseln, in der Regel einhergehend mit strukturellen Wendungen, aufwartet, die geneigt sind, Monotonie und Langeweile der übrigen Zutaten zu durchbrechen. So hält KV 219 gar in jedem Satz solche Wechsel bereit, besonders deutlich beim Kontrast zwischen dem lieblichen Eingangsthema des dritten Satzes und dem folgenden grimmigen Alla Turca, während KV 211 ein hübsches Beispiel für Ödnis und Pomadigkeit in Reinform abgibt. Genau aus diesem Grund ist auch die Haydn-Ouvertüre – wohlgemerkt nicht die Sinfonie – KV 211 eindeutig vorzuziehen.

Aber Moment mal! Hab ich da nicht etwas ganz Wesentliches vergessen? Na? Genau, die Melodik! Mozarts himmlische Melodien! Gegen die kann man ja wohl wirklich nichts haben – Doch, man kann. Wobei ich auch hier differenzieren muß. Ein Thema wie das des zweiten Satzes des G-Dur Konzertes läßt mich nicht gänzlich kalt, zumal wenn es so unvergleichlich präsentiert wird, wie durch Frau Faust und ihre Komplizen. Die ebenso eingängige wie wandlungsfähig sich fortspinnende Melodie scheint den Nerv der Umsitzenden zu treffen. „Ist das jetzt euer Mahler-Adagio, euer Tristan?“, denke ich mir, selbst ein wenig versonnen. „Holt ihr hierbei die Taschentücher raus?“ Also ich finds schön, aber mehr leider auch nicht. Oder ist das das Geheimnis – vorbehaltlos schöne Musik?

Die bereits angesprochene Melodie zu Beginn des dritten Satzes von KV 219 ist von einem so unbeschwerten Frohsinn, wie ich ihn kaum zu ertragen im Stande bin. Da hilft selbst der Kontrast zum Alla Turca nicht mehr, da wird mir einfach übel von so viel ausgesungener zuckriger Naivität. Der gern bemühte Eindruck einer tragischen bzw. melancholischen Ebene im Heiteren begegnet mir bei Mahler oder Schubert auf Schritt und Tritt – bei Mozart spüre ich ihm vergeblich nach.

Oder ist das doch ein Mißverständnis, in die Welt gesetzt von irgendwelchen Musikwissenschaftlern, um Mozart Misanthropen wie mir schmackhaft zu reden? Weil es zu simpel klingt zu sagen: „Ok, ertappt, es geht einfach nur um nette, schöne Melodien.“ Zum Träumen, zum innerlichen Mitpfeifen, magenfreundlich, blutdrucksenkend. Die Redewendung „In Schönheit sterben“ kommt mir in den Sinn – aber das ist natürlich böse.

So, genug die Krone abendländischer Musik beschmutzt, es gilt noch ein außergewöhnliches Konzert zu preisen. Ich bezweifle sehr stark, daß solch eine Leistung noch steigerungsfähig ist – und das auf wirklich jeden Aspekt des Vortrags bezogen. Isabelle Faust ist unfassbar gut. Das Legato! Die Intensität! So geschmeidig und doch so voller Energie, samten, zupackend, virtuos, gesanglich – alles was man will. Selten hat mich ein Solist beim ersten Erleben so beeindruckt, ja fast erschüttert. Der zarte Ausdruck im zweiten Satz KV 216 unbeschreiblich, nicht von dieser Welt.

Und dazu dieses Ausnahmeorchester. Die perfekte Symbiose. So habe ich diese Musik noch nie gehört. Atemberaubende Technik trifft auf eine Interpretation, die kompromisslose Hingabe und lupenreine Transparenz verbindet. Letztere wurde nicht zuletzt durch die überschaubare Ensemblegröße realisiert, der jedoch nie der Beigeschmack des Dünnen oder Kargen anhaftete. Historische Aufführungspraxis als reinigendes Gewitter, fern jeder drögen Erbsenzählerei.

Fazit: Mozart ist und bleibt mein Schönberg, aber ich möchte die heutige Begegnung mit seinen unglaublichen Fürsprechern niemals missen.