19:00 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 129
Man kann es mir auch partout nicht recht machen. Da lamentiere ich gern darüber, man möge doch rare Perlen der Musiktheatergeschichte nicht bei Ihrem gegenwärtigen Auftreten mit allzu überambitionierten, um nicht zu sagen sinnentstellenden Inszenierungskonzepten befrachten, um die Schönheit des Werkes an sich nicht unnötig zu verschleiern und den scheuen Opernbesucher von heute nicht von der naturgemäß selten durch ihn aufgesuchten Lichtung des Unbekannten gleich wieder fahrlässig zu verscheuchen. Und dann wohne ich in Münster einer Umsetzung eines meiner Leib- und Magen-Stücke bei, welche sich die größte Mühe gibt, den Inhalt möglichst verständlich zu vermitteln – und bin maßlos enttäuscht.
Ja was denn nun, ja wie denn nun? Herrn Peters und seinem Team ist auf dem Papier eigentlich nichts vorzuwerfen, da sie eine Inszenierung abliefern, in der die Handlung sehr nah an den Gegebenheiten des Librettos umgesetzt und auch für den Mahagonny-Neuling in jeder Hinsicht fasslich und direkt präsentiert wird. Für meine Begriffe leider eine ganze Ecke zu direkt.
Womit wir bei meinem Hauptkritikpunkt wären: Die vorgenommene Überbauung des Orchestergrabens mit einer bis an die Zuschauerreihen reichenden Bühnenfläche ist gemäß einer unterstellten Absicht, die Akteure möglichst nah an das Publikum zu bringen, um jenes mehr zu involvieren und wahrscheinlich auch die Textverständlichkeit zu verbessern, durchaus in der Theorie löblich, die damit verbundene Verbannung des Orchesters in die verschleierten Tiefen des Bühnenhintergrundes sollte sich jedoch als unentschuldbar zerstörerisch für die akustische, letztlich wirkungsbezogene Integrität des ganzen Stückes erweisen. In der Einführung wurde ironischerweise nicht ohne Grund darauf hingewiesen, daß Mahagonny – im Gegensatz zur Dreigroschenoper – die Gattungsbezeichnung zur Gänze ausfüllt, hier und heute wähnte ich mich allerdings weniger in einer Oper, als daß die Aufführung eher etwas von Schauspiel mit musikalischer Untermalung hatte.
Über den entstellten Gesamteindruck hinaus ergaben sich durch diesen Eingriff weitere Schwierigkeiten. So bekamen insbesondere die kräftigeren Stimmen durch die häufige Rampensteheherei in unmittelbarer Parkettnähe einen unangenehm lauten, direkten Klang, der sich zum Beispiel beim Sänger des Jim immer dann wohltuend relativierte, wenn er mehr aus der Tiefe heraus agieren durfte – der Schall konnte sich entfalten, die Stimme wirkte nicht weniger präsent aber um Längen kultivierter. In Ensemble- und Chorszenen potenzierte sich dieses Problem, das darüber hinaus selbst die üblicherweise beeindruckendsten Orchestertutti überdeckte, so daß auch diese reichhaltigen Momente der Partitur unwirklich nackt erschienen. Um die Reihe musikalischer Unwägbarkeiten zu komplettieren, sollte sich die Positionierung des Dirigenten mit dem Rücken zum Bühnenvolk ebenfalls als keine gute Idee erweisen. Davon zeugten eine wahre Fülle verpasster oder vorgezogener Einsätze der Sänger, sowie Unstimmigkeiten zwischen einzelnen Chorteilen, wogegen ohrenkundig auch die zum Ausgleich angebrachten Bildschirme nicht viel auszurichten vermochten. Sehr, sehr schade.
Abgesehen davon, daß heute also der Musik Kurt Weills mit den baulichen Maßnahmen kein Gefallen getan wurde, konnte auch die dadurch inhaltlich wie buchstäblich in den Vordergrund gehobene Regiearbeit leider nicht überzeugen. Ohne jegliche Überraschung, zu harmlos verlief das Ganze, mehr seichte Gangsterklamotte mit Stummfilm-Humor als bissige Auseinandersetzung mit den (An-)Trieben des Menschen und schmerzliche Anklage seiner selbstzerstörerischen Natur. Das Stück kann und soll auch Spaß machen, das will ich gar nicht in Abrede stellen, aber wenn es gut und vor allem intelligent gemacht wird, darf einem das Lachen durchaus das ein oder andere Mal im Halse stecken bleiben. In dieser Inszenierung wird selbst auf der Bühne fleißig mitgelacht, die gute Laune überträgt sich auf das Publikum, weh tut hier wenig, ob Fresstot oder Pseudokreuzigung, so richtig tief geht das alles nicht. Daran ändert man auch nichts, wenn man in den letzten Minuten der Oper dann doch noch das Kommentieren anfängt, und Bill als Hitler im Ledermantel vor seinem Aufstieg als Reichskanzler die Zeilen über besagten „Toten Mann“, dem man „nicht helfen“ könne, zum Abgesang auf die Weimarer Republik umformt. Kann man machen, kommt aber in dieser ansonsten gänzlich unpolitischen Produktion ziemlich unvermittelt, eher gar unmotiviert.
Über die musikalische Güte von Ensemble und Orchester möchte ich angesichts all dieser Widrigkeiten bei meinem ersten Besuch des Hauses nicht abschließend urteilen. Zu losgelöst deklamatorisch, überspitzt theaterhaft das Auftreten der Sänger, hingegen nur rudimentär wahrnehmbar das Sinfonieorchester Münster. Wobei das Wenige, das den Weg aus dem Orchesterversteck zum Gehör fand, nicht gerade überzeugte, ein eher unauffälliges Dirigat tat sein übriges. Aber all das gilt es bei einem Folgebesuch einer anderen Produktion zu überprüfen, in der Musiker und Kapellmeister auf den für sie vorgesehenen Plätzen zeigen dürfen, was in ihnen steckt.
Fazit: Zuviel Brecht und zu wenig Weill lassen ein Mahagonny ohne Fallhöhe in belanglose Einzelteile verpuffen. Dem Publikum hat es trotzdem gefallen.
Kurt Weill – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Musikalische Leitung – Thorsten Schmid-Kapfenburg
Inszenierung – Ulrich Peters
Bühnenbild – Thomas Dörfler
Kostüme – Michael D. Zimmermann
Choreinstudierung – Inna Batyuk
Dramaturgie – Susanne Bieler
Leokadja Begbick – Suzanne McLeod
Fatty, der Prokurist – Boris Leisenheimer
Dreieinigkeitsmoses – Gregor Dalal
Jenny Hill – Henrike Jacob
Jim Mahoney – Wolfgang Schwaninger
Jack O’Brien – Youn-Seong Shim
Bill, genannt Sparbüchsenbill – Birger Radde
Joe, genannt Alaskawolfjoe – Plamen Hidjov
Tobby Higgins – Jaean Koo
Sprecher – Oliver Bode
Opernchor des Theaters Münster
Extrachor des Theaters Münster
Sinfonieorchester Münster