23. April 2016

Der goldene Hahn – Axel Kober. Oper Düsseldorf.

19:00 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, 1. Rang Seite links, Reihe 1, Platz 216



Eine richtig gute Oper trifft auf eine richtig gute Inszenierung – nicht die schlechteste Konstellation, die hier in Düsseldorf zu bewundern war. Schon in Saarbrücken hatte mich der goldene Hahn aufhorchen lassen (Link), dieser positive Eindruck sollte sich nun bestätigen. Ein Werk, das durchgängig mit musikalischen Schönheiten aufwartet und gleichzeitig mit seiner in Satire getränkten Handlung eine ergiebige Spielwiese für hintergründige Regiearbeiten bietet.

Anders als in der eher allgemein als Kroteske über (macht-)politische Unfähigkeit angelegten Saarbrücker Produktion, verknüpft Dmitry Bertman das Libretto ganz konkret mit der jüngeren russischen Geschichte und spannt den Bogen von (Post-)Sowjetzeiten bis in die Gegenwart. Entsprechend befinden wir uns eingangs auch nicht an einem märchenhaften oder historischen Zarenhof, sondern erleben eine von Vetternwirtschaft und Filz durchsetzte autokratische Regierung in der Rolle der verkrusteten, sich äußeren „Gefahren“ ausgesetzt wähnenden Dodonie.

Spannend an dieser Inszenierung ist dabei, dass die äußeren Feinde bzw. die Sphäre der Königin von Schemacha nicht etwa orientalisch-magischen oder übersinnlichen Ursprungs sind, sondern als Bild für die Verlockungen des Westens, letztlich des Kapitalismus, fungieren. Wobei es durchaus um Exotik und vor allem auch Sinnlichkeit im Sinne der im Libretto angelegten Verführung geht, nur daß sich Glanz und Erotik in einem Pariser Nachtclub entfalten und Dodon sowie seine Mannen ganz weltlichen Reizen erliegen. Dieser Kunstgriff ist zweifach intelligent, da er neben der handlungsobligatorischen Gegenwelt zu Dodons Reich mit der Pariser Verortung die Faszination der russischen Eliten zu Rimski-Korsakows Zeiten an der französischen Kunstmetropole geschickt in Erinnerung ruft. Der von der Regie polylingual (französisch, englisch, deutsch, russisch) umformte Einstieg dieser Szene ist ein weiter Hinweis auf diesen kulturellen Transfer.

Doch in dieser Inszenierung wird nicht allein fantasiert und geträumt, es wird ganz konkret genossen, konsumiert, adaptiert. Drogenrausch, Sexrausch, Kaufrausch. Aus grauen Traditionalisten werden eifrige Assimilanten in „formalistischen“ Anzügen, die die Errungenschaften der westlichen Verbrauchsgesellschaft in die russische Heimat bringen. Eine Heimat, in der sich in Abwesenheit des Herrschers das Machtvakuum mit persönlich motiviertem Egoismus (Amelfa verleibt sich den goldenen Hahn ein), schließlich mit der Enttäuschung des einfachen Volkes füllt, das, mit leeren Käfigen bzw. Händen dastehend das alte System verklärt und eines neuen/alten Zares harrt. Dodon der Wiedergänger? Ein Schelm, wem da Assoziationen zu aktuellen Potentaten kommen, die an „alter Größe“ feilen.

Musikalisch ist der Abend ein Ruhmesblatt für diese großartige, reiche Partitur und gleichermaßen für die Oper am Rhein. Die Düsseldorfer Symphoniker lassen Rimski-Korsakows farbenreich funkelnde, mal pfeilschnell wirbelnde, mal opulent schwelgende Musik in voller Pracht und Raffinesse erstehen, geleitet vom nuancierten Dirigat seines Generalmusikdirektors. Sicher keine leichte Aufgabe, entlarvt die feine Faktur dieses Werkes doch spätestens in den suggestiv-berauschenden Schemacha-Klängen jeden Versuch, mangelnde Subtilität etwa durch Übereifer oder energische Härte kaschieren zu wollen. Glücklicherweise kann Herr Kober gerade hier mit seinem Orchester aus dem Vollen schöpfen und lässt wahrlich Zauberhaftes dem Graben entströmen.

Aber auch von der Bühne her wird das Ohr verwöhnt, allen voran durch die betörend sinnlichen Koloraturen der buchstäblichen Königin des Abends, Antonina Vesenina. Stimmlich wie darstellerisch ist sie eine Idealbesetzung für die rätselhafte Erscheinung der letztlich unwiderstehlichen Sirene, da sie die ganze Klaviatur der von ihr bei Dodon angewendeten Strategien – von laszivem Vampmodus über strenge Domina bis hin zu gespielt naiver Mitleidstour – ebenso klangschön wie ausdrucksstark mit Leben füllt. Interessant dabei auch, daß sich der umgarnte Herrscher bei all dieser Reizüberflutung am Ende durch einen Apell an den männlichen Beschützerinstinkt abschließend einwickeln läßt. Umso köstlicher, wie das tradierte Rollenverhältnis dann mit der Zweckentfremdung der mitgebrachten Gastgeschenke für die potenzielle Herzdame durch eben jene auch inszenatorisch auf den Kopf gestellt wird: Die Königin kleidet Dodon selbst mit den offenbar für sie bestimmten häuslichen Insignien, Kopftuch und Schürze, ein und lässt den starken Mann als Mütterchen nach ihrer Pfeife tanzen.

Es macht Spaß, Boris Statsenko in der Rolle des überforderten Staatslenkers zu sehen und zu hören. Die Besetzung mit einem Bariton lässt den Charakter weniger gemütlich wirken, der hier allerdings generell auch nicht so satt und passiv angelegt ist, wie beispielsweise in der Saarbrücker Inszenierung. Dieser „Zar“ ist definitiv gefährlich, auch wenn (oder gerade weil?) es mit seinen strategischen Fähigkeiten nicht weit her ist. Gier und Machtstreben sind in ihm ungebrochen, der beunruhigend-bösartige Blick Statsenkos spricht hier Bände. Die gute Artikulation und Textverständlichkeit des Sängers ist selbst für Russisch-Unkundige spürbar, wurde mir aber auch noch mal durch meine muttersprachliche Begleitung bestätigt.

Die übrige Besetzung und der Chor komplettieren den starken musikalischen Gesamteindruck und tragen ihren Teil dazu bei, dass mir dieser Abend in bester Erinnerung bleiben wird. Ein besonderes Lob auch an die Ausstatter bzw. Kostümbildner, vor allem die prächtigen Ergebnisse für die Darsteller der zauberischen Riege, Astrologe, Hahn und Königin sowie nicht zu vergessen deren Tänzer-Entourage sind eine Augenweide.

Fazit: Die Kombination aus märchenhaft schöner Musik und gnadenlos ernüchterndem Blickwinkel der Regie macht diese Produktion zu einem Pflichttermin für Herz und Hirn.


Nikolai Rimski-Korsakow – Der Goldene Hahn
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Dmitry Bertman
Bühne und Kostüme – Ene-Liis Semper
Choreografie – Edwald Smirnow
Regiemitarbeit – Ilyan Ilin
Licht – Thomas. C. Hase
Chor – Christoph Kurig
Dramaturgie – Hella Bartnig

König Dodon – Boris Statsenko
Prinz Gwidon – Corby Welch
Prinz Afron – Roman Hoza
General Polkan – Sami Luttinen
Amelfa – Renée Morloc
Astrologe – Cornel Frey
Königin von Schemacha – Antonina Vesenina
Der goldene Hahn – Monika Rydz
1. Bojar – Mamuka Manjgaladze
2. Bojar – Ortwin Rave

Tänzerinnen und Tänzer – Carmen Mar Canas Salvador, Nathalie Gehrmann, Graci Meier, Birgit Mühlram, Sergio Giannotti, Nilmar Santos

Chor der Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker