10. Mai 2015

Der goldene Hahn – Christopher Ward.
Staatstheater Saarbrücken.

18:00 Uhr, Parkett links, Reihe 6, Platz 166



Zum Ausklang meiner kleinen Rundreise gab es in Saarbrücken eine durch und durch angenehme Überraschung. Die aus der Notwendigkeit eines logistisch sinnvollen Abschlusstermins in der Region heraus entstandene Wahl der mir bislang nie untergekommenen Oper Rimski-Korsakows, ließ nach diesem Abend ein moderates Interesse auf Unbekanntes in helle Begeisterung für Werk und Produktion umschlagen.

Diese Inszenierung ist köstlich! An der Oberfläche irgendwo zwischen derbem Klamauk und Schmierentheater angesiedelt, hält sie doch ein ums andere Mal grotesk verpackt tiefe Wahrheiten über Führende und Folgende sowie bisse Seitenhiebe auf autokrates Staatswesen im Allgemeinen und Besonderen bereit und ist in ihrer entlarvenden Wirkung manch verkopfter Betroffenheitsregie eindeutig überlegen

Wenn, ja wenn man denn nicht an der Kasperleperipherie hängenbleibt, wie es meinem Eindruck nach dem ein oder anderen im beschämend schlecht ausgebuchten Saal des Staatstheaters ergangen ist. Aber Wurscht, lieber irritierte Blicke als Valiumseligkeit. Darum: Herr Pölzgutter und Co. – Daumen hoch!

Was unterscheidet diesen Meta-Klamauk von unbedarfter Plattheit? Erst einmal eine zwar holzschnittartige, aber alles anderes als einfältige Personenregie. Die Charaktere werden als überzeichnete Archetypen menschlichen Handelns, zumeist menschlicher Schwächen, klar umrissen. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch der Anteil der Kostüme, die für sich, über Rollen- und Standesunterscheidung hinaus, charakterisierende Funktion innehaben, ebenso wie weitere dazu gehörige Requisiten und Austattungsmerkmale.

Der nur noch dem Bauchumfang nach große König in schlampiger Restbekleidung mit permanenter Schlummeroption, nur im Moment leidiger, repräsentativer Zwänge durch altmodisch-muffige Machtinsignien ergänzt, ist weder Herr seiner Gelüste geschweige denn der innen- wie außenpolitischen Lage. Bezeichnend, daß es sich bei seinem Thron um die Polster eines Oma-Sessels handelt, in denen er unter einem Baldachin einzusinken pflegt. Umsorgt von einer Haushälterin/Zofe, die ihrem Monarchen offenbar mehr als fürsorgliche Gefühle der Pflichterfüllung entgegenbringt. Urkomisch, wie sie beispielsweise selbst kurz vor der finalen Katastrophe die Tatwaffe ihres Angebeteten zu beseitigen versucht.

Wen haben wir da noch? Die beiden Zarensöhne, das personifizierte Unvermögen im Doppelpack, verzogene Fatzkes in Anzügen, mit Dumm-und-Dümmer Pottschnitt und von betont unvorteilhafter Physiognomie, deren disparate Züge bei der Ausstattung mit den (vertauschten?) Werkzeugen der Kriegsführung noch eine slapstickartige Steigerung erfahren. Den stets bemühten und doch ewig im Hintertreffen befindlichen General, trotz all seiner aufgeblähten, breitkrempig-breitschultrig-stiefelhosigen Uniformgrandezza machtlos gegen die Dummheit seiner Herren und die waffenlos-vernichtende Kriegsführung der Schemacha.

Diese ein Sinnbild für das Unberechenbare, im zweiten Akt einer Naturgewalt gleich aus brütendem Dunst zu ätherischen Lüften sich verströmend, allen (männlichen) Widerstand und Zweifel zerstreuend, in ihrem Primadonnenkleid gleichsam Projektionsfläche viriler Phantasie, namentlich des Zaren, umtanzt von verführerisch-gefährlichen Ballettdämonen, ein bizarrer Schwanengesang auf Macht, Reich und Krone, die Feder als Zeichen des Bannes. Und schließlich der eigentliche Drahtzieher des Ganzen, der Astrologe, nicht ohne Grund als Kubrick-Zitat angelegt, eine Mischung aus Dr. Seltsam und Mephisto, trotz scheinbarer Niederlage bzw. -schlagung am Ende doch der letzte des Bühnenvolks, dem zu Lachen zumute ist.

Mit dem Volk ist es eh so eine Sache. Biedere Beamte, der Fähigkeit zu eigenem Denken und Handeln in Jahrhunderten des Absolutismus beraubt, befolgen sie jeden noch so tumben Befehl ihres Herrn, auch wenn er bedeutet, in einem kopflosen Feldzug ihr Leben zu lassen. Hier zeigt wiederum ein kleines Ausstattungsdetail die mehrschichtige Qualität der Inszenierung: Bei genauen Hinsehen erkannt man, dass die hilflosen Soldaten Helme verschiedener Nationen und Zeitalter tragen – ein dezenter Hinweis, daß Puschkins und Rimski-Korsakows Fabel keineswegs bloß russische Verhältnisse anklagt, sondern es letztlich doch egal ist, ob sich der arme Irre Zar, Kaiser, Tennō oder Staatsratsvorsitzender nennt. Erst ganz zum Schluß stellt sich das Volk die späte aber doch für seine Zukunft alles entscheidende Frage – ob ein Leben ohne Zar möglich sei.

Der heimliche Hauptdarsteller und Namensgeber der Oper entzieht sich übrigens unseren Blicken. Zumindest direkt werden wir seiner nicht gewahr, verbirgt er sich doch in einem rollbaren Fernsehschränkchen, das dem Zaren zugewandt ist und bei geöffneten Türen ein güldenes Leuchten abgibt. Das Alarmsystem Flimmerkiste – eine weitere plausible Aktualisierung durch die Regie. Meinungs- und Panikmache, Medienkritik, all das schwingt ebenso mit bei der konkreten Manipulation durch den Astrologen-Mephisto, in dessen Geschenk der Zar schließlich sein Ende findet.

All diesem Futter für Auge und Hirn gesellte sich in Saarbrücken auch musikalisches Gelingen für Ohr und Herz hinzu. Ein gut aufgelegtes Orchester, das die schillernden Farben der Partitur wunderbar zur Geltung brachte, ein feinfühliges Dirigat, dazu ein ordentliches Sängerensemble, sicher mit der ein oder anderen Schwäche, die den nachhaltigen Eindruck der Produktion aber nicht ins Wanken brachte.

Einen konkreten Verbesserungsvorschlag hätte ich dann aber doch noch anzubringen: Das Prinzip, mittels der Übertitel den Inhalt des Librettos gewissermaßen zu portionieren und in zusammenfassende Passagenüberschriften zu gliedern, ist eine gute Idee, kann jedoch die Einblendung des kompletten Textes nicht ersetzen, allenfalls ergänzen, wie ich auch angesichts mancher Diktions- oder Akustikschwäche erfahren musste. Gerade in einer solch bissigen Komödie/Satire ist es äußerst schade, teilweise nur vereinzelte Brocken zu verstehen – da hätte man sich die Übersetzung ins Deutsche gleich schenken können. So werde ich denn wohl so bald nicht erfahren, was Dr. Seltsam uns in seiner finalen Ansprache ans Publikum im Wortlaut mitgeben wollte, wobei die generelle Botschaft des Werkes auch so den Weg in geneigte Gemüter gefunden haben dürfte.

Fazit: Der goldene Hahn mag in den Spielplänen ein seltener Vogel sein – ein hässlicher oder dummer ist er ganz sicher nicht.


Nikolai Rimski-Korsakow – Der goldene Hahn
Musikalische Leitung – Christopher Ward
Inszenierung – Johannes Pölzgutter
Bühnenbild und Video – Nikolaus Webern
Kostüme – Janina Ammon
Choreinstudierung – Jaume Miranda
Dramaturgie – Caroline Scheidegger
Regieassistenz und Abendspielleitung – Katharina Molitor

Zar Dodon – Jirí Sulzenko
Prinz Gwidon – Algirdas Drevinskas
Prinz Afron – James Bobby
General Polkan – Hiroshi Matsui
Amelfa – Judith Braun
Der Astrologe – János Ocsovai
Die Königin von Schemacha – Herdís Anna Jónasdóttir
Der goldene Hahn – Elizabeth Wiles
Erster Bojar – Miki Stojanov
Zweiter Bojar – Antoniy Ganev

Das Saarländische Staatsorchester
Der Chor des Saarländischen Staatstheaters
Die Statisterie des Saarländischen Staatstheaters