20. Januar 2017

Ensemble Resonanz – Emilio Pomàrico.
Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal.

19:30 Uhr, Reihe 9, Platz 11



Georg Friedrich Haas – Release
Alban Berg – Sieben frühe Lieder (Bearbeitung – Johannes Schöllhorn, Sandrine Piau – Sopran)

(Pause)

Béla Bartók – Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta SZ 106



Nach den ersten gelungenen Stresstests im großen Saal heute also die Premiere im kleinen. Das Ensemble Resonanz, Residenzler der neuen Kammermusikadresse, hatte geladen, seine zukünftige Wirkungsstätte mit einem Programm des 20. Jahrhunderts und einem Auftragswerk einzuweihen. Während das zuströmende Publikum noch ein wenig mit Startschwierigkeiten bei der Platznahme zu kämpfen hatte und sich der Raum nur schleppend füllte, waren aus der Höhe bereits wunderliche Klänge zu vernehmen. Eine brummende, summende Geräuschkulisse von teils infernalischer Lautstärke ließ den Blick irritiert nach Lautsprechern fahnden, die man als Ursprung jenes akustischen Phänomens in Betracht zu ziehen geneigt war – es hätte jedoch gereicht, das Augenmerk auf das Programmheft zu richten, in dem Georg Friedrich Haas davon berichtet, wie ihn der Rohbau des Saales zu jenem Stück inspiriert hatte, das nun in Wellen auf die Hörer einwirkte. Schließlich entdeckte man auch die Musiker, die ringsum auf einer Art umlaufenden Empore unter der Decke postiert waren und ganz unverstärkt Kraft ihrer Bögen und Saiten für diesen verblüffenden Klangkokon sorgten. Nach und nach verließ jedes der Ensemblemitglieder seinen luftigen Arbeitsplatz, um sich an ein auf der Bühne bereitstehendes Zweitinstrument zu begeben – womit sich langsam aber sicher auch der Klang auf die gewohnte Wirkungsrichtung verlagerte. Alles andere als gewohnt, mitnichten gewöhnlich, sind Klangfülle und -Qualität, welche dieser neue Saal dem geneigten Hörer bietet, und darin seinem großen Bruder im Hause in nichts nachsteht. Wärme, Volumen, Klarheit.

Auf Haas` mikrotonalen Soundcheck folgten mit Bergs Liedern sieben Argumente gegen pauschale Distanzängste in Bezug auf Tonsetzer aus dem Dunstkreis Schönbergs. Wobei es mir persönlich ohnehin viel leichter fällt, Bergs weitere Entwicklung zu begleiten als jene seines Lehrers. So sehr mich Gurre-Lieder und Verklärte Nacht – beides noch tief dem 19. Jahrhundert verbundene Werke – begeistern, so wenig habe ich für den späteren Schönberg übrig. Ganz anders bei Berg, der als Wanderer zwischen Spätromantik und freier Tonalität beide scheinbar unvereinbaren Welten versöhnt, vielmehr vereint und etwas schafft, das durch eine ganz leicht wiederzuerkennende persönliche Handschrift und gleichzeitig universelle Modernität besticht.

Diesen Berg des Wozzeck oder des Violinkonzertes treffen wir am heutigen Abend jedoch nicht an. Die sieben frühen Lieder folgen in ihrer Klangsprache den Vorbildern Strauss, Schreker, Mahler oder Wolff, über allem schwebt das Erbe Wagners. Am ehesten noch im ersten Lied, Nacht, mit seinen leicht dissonant-verwunschenen Reibungen, und in der düster-verzehrenden Begleitung der Nr. 6 Liebesode wird der Einfluß der neuen Zeit spürbar. Die von Johannes Schöllhorn eingerichtete Streicherfassung entwickelt auch ohne den Einsatz der Bläser enormen Klangfarbenreichtum, woran natürlich auch die Qualität des Ensembles großen Anteil trägt. Sandrine Piau besitzt einen schönen, klaren, lyrischen Sopran, der jedoch von Zeit zu Zeit vom Tutti-Überschwang verdeckt zu werden drohte.

Höhepunkt des Abends war für mich der Programmpunkt Bartok – und das nicht allein aufgrund der cineastischen Reminiszenz, die das Stück angesichts der kongenialen Verwendung durch Kubrick in Shining auslöst. Gleich der Beginn des ersten Satzes gab, mit dem sukzessiven Einsatz der geteilten Streicher, ein Beispiel von der vorbildlichen Ortbarkeit und Transparenz des neuen Saales, in den sich das stetige Crescendo ergoss; gesanglich, dann geradezu hymnisch, zu beachtlicher Fülle anschwellend, um schließlich wieder zu entschwinden. Hinzu kommt, daß Herr Pomàrico ein Händchen für moderne Musik zu haben scheint, der unter seinen taktstocklosen Händen nichts Technisches oder Verkopftes anhaftete, im Gegenteil eine zutiefst bewegende Erfahrung bot. Die rhythmische Kraft der Sätze zwei und vier wurde vom Ensemble Resonanz mit Virtuosität und Leidenschaft auf das Treffendste eingefangen.

Das Adagio ist noch mal ein Fall für sich. Ganz entgegen meiner ausgeprägten Krawall-Ader habe ich eine besondere Schwäche für langsame, ruhige Sätze. Der beklemmend schleichende Aufbau bei Bartok ist ebenso faszinierend wie die Breite der klanglichen Palette, die trotz der limitierten, oder besser stark spezialisierten Instrumentation ungeheuerliche Wirkungen hervorruft. Ok, wirklich ruhig geht es tatsächlich nicht lange zu. Schroffe Kontraste stellen sich ein. Die Steigerungen begleitet das Donnergrollen von großer Trommel und Tamtam, schließlich der Blitzschlag des Beckens, auf dem Weg dahin glühen die Streicher, flankiert von den schreitenden Schlägen des Pianos und Xylophons; Harfe und Klavier rauschen um die Wette, bekrönt durch die gespenstisch-entrückte Celesta. Welch Töne, Klangzauber in diesem holzbewellten Schuhkarton! Und wenn dann das Thema des einleitenden Andante im letzten Satz mit Verve wieder aufgegriffen wird, weiß man, daß sich ein glanzvolles Eröffnungskonzert für Hamburgs neue erste Adresse in Sachen Kammermusik leider dem Ende neigt, letztendlich aber nur der Auftakt für Größtes im Kleinformat war.