29. April 2017

West-Eastern Divan Orchestra – Daniel Barenboim.
Elbphilharmonie Hamburg

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13


Wolfgang Amadeus Mozart – Sinfonie C-Dur KV 551 „Jupiter“

(Pause)

Richard Strauss – Don Quixote op. 35 (Miriam Manasherov – Viola, Kian Soltani – Violoncello)

Zugaben:
Camille Saint-Saëns – „Der Schwan“ aus „Karneval der Tiere“
Jean Sibelius – Valse triste op. 44
Michail Glinka – Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmilla“



Es ist schon bemerkenswert – sobald Barenboim die Bühne betritt, das hohe Podium – den Stufenaufgang auf der ihm abgewandten Seite ignorierend – mit einem beherzten Satz erklimmt, ist glasklar, dass er den Abend und das Auditorium im Sack hat. Der Begrüßungs-Applaus, die ganze Atmosphäre im Saal, lassen keinen Zweifel daran, welche Reputation dieser Mann genießt und wie gelagert die Erwartungshaltung dementsprechend ist. Ich vermute, Herr Barenboim ist sich seiner Wirkung durchaus bewusst, zugegeben strahlt sein Auftreten nicht unbedingt hemdsärmlige Nahbarkeit aus – auch das mag täuschen – viel interessanter allerdings ist, dass er auf diesen Maestro-Auftritt auch ein wahrhaftes Maestro-Konzert folgen lässt. Der Mann ist gut!

Barenboims Mozart: Eleganz und Spannung. Die Phrasierung gesanglich, trotzdem eine Lesart mit Knack, dabei gleichsam ohne Härte, weich, fließend, ein konzentrierter, fein austarierter Strom stetiger Stimulation. Merke: es muss doch nicht immer der Vorschlaghammer sein, um mir Mozart, Haydn & Co. schmackhaft zu machen. Akustische Besonderheiten: Die mit Dämpfer schnurrenden Streicher im 2. Satz – welch zart-samtiger Klang! Ebenso beeindruckend: die enorme räumliche Wirkung, welche die verschachtelten Einsätze der geteilten Streicher im Finale entfalten. Barenboims ganze Körpersprache und Gestik drücken seine Interpretation aus, (der Kontrast zu Inbal gestern hätte kaum frappierender ausfallen können), hier ist Taktschlagen Nebensache, Gestalten steht im Vordergrund, die Linke ist ständig im Einsatz, reguliert, formt, auch die Rechte mitsamt Stab beschreibt die Bögen mit. Plastizität und Schlüssigkeit sind das Ergebnis. Natürlich braucht es dazu den richtigen Klangkörper – mit den Damen und Herren des West-Eastern Divan geht Barenboims Konzept wunderbar auf.

Das Orchester ist nicht allein von entsprechender Güte, sondern klingt dabei ausgesprochen delikat, insbesondere die Holzbläser sorgen mit ihrem zarten Klang für eine feine Gesamtnote. Mein Abo-Platz ist auch für die Mozart-Besetzung bestens geeignet. Die Trompeten bekrönen ohne störende Schärfe, die Hörner kommen gut durch, das Holz eh, die Violinen anders als unterm Dach wieder schön präsent, die tiefen Streicher, vor allem Bässe, wunderbar sonor. Und ganz nebenbei bemerkt ist die Sinfonie als solche auch ganz erträglich – fast schon ein ausgewachsener Beethoven.

Der Strauss nach der Pause geht dann erst recht runter wie Öl. Eine Top-Interpretation, bei der besonders die Balance zwischen eleganter, weit schwingender Opulenz und plötzlichen, soghaften Tempoverschärfungen überzeugt. Die Elphi-Akustik bietet dabei faszinierende Einblicke in die Instrumentation und Klangfarbenwerkstatt. Beispielhaft dafür sei das Zusammenspiel von Tenortuba und Fagott genannt, welches seine besondere Wirkung daraus gewinnt, dass beide Instrumente zwar für sich wunderbar transparent zu vernehmen sind, gleichzeitig aber gemeinsam diese ungewöhnliche Klangkombination in den Saal schicken. Für beseelte Momente inniger Verklärung sorgt Kian Soltani am Cello, vor allem der bittersüß-wehmütige Schluß ist von geradezu entrückter Qualität. Sehr sympathisch dann von Barenboim, auch das Verdienst der zweiten Solistin, Miriam Manasherov, angesichts des allgemeinen Jubels über den Cellisten, durch entsprechende Gesten zu betonen.

Nichts desto trotz gehörte die erste Zugabe Soltani, der, von den beiden Harfen begleitet, den Schwan aus dem Karneval der Tiere mit betörendem Ausdruck vorüberziehen ließ, während ihm Barenboim von einem Platz im Orchester aus lauschte. Für die zweite und dritte Zugabe wechselte der Solist dann seinerseits ins Orchester, um auch an diesen – in die Cellogruppe integriert – mitzuwirken. Beim Valse triste arbeitet Barenboim, ähnlich wie ich es vor Jahren bei Paavo Järvi und seinen Bremern gehört habe, mit extremen Pianissimi, ist dabei aber weniger kontrastierend in den Tempowechseln. Und auch die Glinka-Ouvertüre bleibt trotz aller Virtuosität und Schnellkraft eine äußerst elegante Angelegenheit – kein Vergleich etwa zu Solti, der das London Symphony Orchestra mit äußerster Schärfe durch die Partitur peitscht (ich persönlich kann beiden Sichtweisen viel abgewinnen). Eleganz und Spannung, Barenboim bleibt bis zum Schluß seiner Linie treu – das neben dem Auftritt der Wiener Philharmoniker vielleicht technisch und gestalterisch beeindruckendste Konzert in der Elbphilharmonie für mich soweit.

Randnotiz: Man hat sich ja bereits fast damit abgefunden, dass der neue Musentempel eine bestimmte, leider besonders amusisch veranlagte Zielgruppe zuhauf anzieht: die Gruppe der Schnöseleumel. Allem Anschein nach gutsituierte Kulturlegastheniker, meist vergleichsweise junge Paare, er den Specknacken unter dem gegelten Haupt in edlen Zwirn geschnürt, sie ein nettes, blondes Accessoire im Kleidchen an seiner Seite. Nachdem das altbekannte Programmheftgeblättere, Handtaschengekrame, ergänzt durch Fotografiererei und Mitgefilme bei diesen Besuchern zur Verhaltens-Grundausstattung gehört, durfte ich heute einer für mich ganz neuen Form der asozialen Übersprunghandlung teilhaftig werden: Man wähle die leisest denkbare Stelle im Valse triste und nutze jene dafür, seinen dicken Schwanzverlängerungs-Prollchronometer unter Ausnutzung der akustischen Möglichkeiten dieses Wundersaales für alle Umsitzenden gut sicht- und vor allem hörbar aufzuziehen. Die Aufmerksamkeit, der Respekt und die Bewunderung eines ganzen Blocks waren diesem sympathischen Kunstkenner für den Abend gewiß. Wer hat, der kann!

28. April 2017

Philharmonisches Staatsorchester
Hamburg – Eliahu Inbal.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 16, Bereich S, Reihe 2, Platz 7



Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 8

Chor der Staatsoper (Eberhard Friedrich)
Staatschor Latvija (Māris Sirmais)
Hamburger Alsterspatzen (Jürgen Luhn)

Magna peccatrix – Sarah Wegener (Sopran)
Una poenitentium – Jacquelyn Wagner (Sopran)
Mater gloriosa – Heather Engebretson (Sopran)
Mulier samaritana – Daniela Sindram (Alt)
Maria aegyptiaca – Dorottya Láng (Alt)
Doctor marianus – Burkhard Fritz (Tenor)
Pater ecstaticus – Kartal Karagedik (Bariton)
Pater profundus – Wilhelm Schwinghammer (Bass)

Lichtskulptur – rosalie



Der Einspringer macht seine Sache besser als vermutet. Mit Inbals strukturellen Präsentation des Hymnus hatte ich hier und da meine Probleme, da er über die einzelnen Formanschnitte und Bögen tendenziell eher hinwegrauscht, was dem Ganzen bisweilen etwas Schwammiges gibt. Andererseits geht er den ersten Satz mit Schwung und flottem Tempo an, so daß der Schöpfergeist tatsächlich mit Energie und Frische angerufen wird. Finde ich persönlich gut, damit der Satz als festliches Präludium funktioniert, und nicht so im betulich Weihevollen vor sich hinschleppt.

Eine wirkliche Gestaltungsmotivation ist bei Inbal aber erst mit Beginn des zweiten Satzes zu erkennen – ok, seine Linke hat doch eine Funktion. Beschränkte sich seine Tätigkeit bis dahin weitestgehend auf die Basics – Taktschlagen und Organisation durch Einsätze – nutzt er bei der in Musik gesetzten Szene aus Goethes Faust II viel häufiger die Gelegenheit, dem dramaturgischen Konzept Mahlers mit entsprechenden Ausdrucksmitteln Rechnung zu tragen. Der Beginn gelingt schön mysteriös-knorrig, hier ist bei Inbal keine Spur von Hast, der Spannungsbogen wird mit der nötigen Geduld und Konsequenz gespannt. Es ist sicher keine extreme, radikale Lesart, die Inbal hier präsentiert, aber eine, die die beeindruckende Anlage des Satzes durchaus zur Entfaltung kommen lässt. Es bleibt Spekulation, was Nagano mit seinem Orchester aus dem Werk geholt hätte, es zeigte sich allerdings auch, dass das Philharmonische Staatsorchester insbesondere in Bezug auf Klangfarben in letzter Konsequenz nicht über jenen Facettenreichtum verfügt, um die Feinheiten und Klangwirkungen der Partitur zur Gänze vermitteln zu können.

Auch für ein derart groß besetztes Dickschiff wie dieses ist mir die Vogelperspektive aus Ebene 16 zu wenig involvierend. Die Chöre dominieren im Forte und Fortissimo, selbst die komplette Blechbatterie inklusive auf Ebene 15 postierten Fernfiliale entwickelt nicht den Druck, der mir für die äußersten Ausschläge der Steigerungskurven vorschwebt. Ein Anhänger anderer ästhetischer Vorlieben könnte aber genauso gut jene damit einhergehende Transparenz und Fasslichkeit bewundern, die selbst bei diesen extremen dynamischen Spitzen herrscht. Die Orgel ist für sich genommen deutlich präsenter als ihre Schwester in der Laeiszhalle und sorgt mit jedem Einsatz für ein sattes Fundament. Auf der anderen Seite bleiben Details wie die zarten Mandolinen auch im Tutti durchhörbar, zudem bestätigt sich das Phänomen der Faszination des Leisen in dieser Halle aufs Neue.

Zur Solistenriege kann ich mangels Live-Vergleiche nicht so viel sagen. Meine letzte Achte war vor zehn Jahre in der Berliner Philharmonie, ebenfalls aus hinterletzter Perspektive, einziger hängengebliebener Name der leider viel zu früh verstorbene Johan Botha. Abgesehen vom hiesigen Doctor marianus, Burkhard Fritz, der wie schon in diversen Bühnenauftritten einen guten Eindruck machte, hinterließen seine Sängerkollegen, mir teilweise aus der Hamburgischen Staatsoper bekannt, aufgrund der räumlichen Distanz kein wirklich merkfähiges Ergebnis, wobei ich die Damen insgesamt stärker als ihre männlichen Mitstreiter einzuschätzen glaube. An den drei Chören gab es nichts zu mäkeln, schon verblüffend, wie gut die Textverständlichkeit selbst bei diesen Massen über weite Strecken gegeben ist. In gleichem Maße wie die immer wieder den Saal durchströmenden Wellen gesanglicher Wucht, waren es gerade die intimeren Momente, wie der in äußerster Zurückhaltung intonierte Beginn der Schlußaussage („Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis ...“), welche ihre Wirkung nicht verfehlten und dazu beitrugen, ein mit enormem Aufwand vollzogenes Konzert zu einem berührenden Erlebnis werden zu lassen.

2. April 2017

Symphoniker Hamburg – Jeffrey Tate.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, 1. Rang, Loge 5, Reihe 1, Platz 1



Richard Strauss – Schlußgesang aus „Salome“ op. 54
(Camilla Nylund – Sopran)


(Pause)

Richard Strauss – Eine Alpensinfonie op. 64



Gleich mal mit dem Salome-Finale den Abend zu starten, erscheint mir bezüglich des Spannungsbogens schon ein wenig gewagt – Kaltstart von Null auf Hundertachtzig binnen Sekunden. Wahrscheinlich liegen darin rein praktische Erwägungen. Wenn man schon das riesige Strauss-Orchester für die Sinfonie benötigt, die allein keine abendfüllende Angelegenheit darstellt, bleibt man halt bei der Programmbefüllung bei Strauss. Warum dann nicht gleich ein wenig konzertante Oper, darüber hinaus eine schöne Gelegenheit, einen hochkarätigen Gast zu präsentieren. Daß man dabei heute die erkrankte Petra Lang so kurzfristig mit Camilla Nylund ersetzen konnte, zeigt nur, wie weit der Ruf der Kombination Symphoniker/Tate mittlerweile gediehen ist – Respekt. Selbiger gebührt ebenso fraglos der Sängerin, die sich mit stimmlicher Durchsetzungskraft den dynamischen Ausbrüchen des Orchesters durchaus zu erwehren wusste, um dann gerade in den ruhigeren, intimen Momenten der Reflexion Salomes für anrührende Momente zu sorgen.

Mit der Alpensinfonie nach der Pause konnte man, wie erwartet, einer der langsamsten Besteigungen beiwohnen, an der ich bislang teilnehmen durfte. Was mitnichten als Kritik, sondern erneute Feststellung der Tateschen Gestaltung großer Bögen unter Berücksichtigung aller Schönheiten und Details der Partitur aufzufassen ist. Unglaublich, wie beispielsweise beim Erklimmen des Gipfels durch stetige Verlangsamung der sprichwörtliche Höhepunkt ins physisch kaum zu Verkraftende hinausgezögert und schließlich umso machtvoller zelebriert wird. Ob in den heftigsten Entladungen des Gewitters oder bei der alles in eine sehnsuchtsvolle Decke hüllenden Schlußverklärung bevor die Nacht anbricht – Tate und seine Symphoniker glänzen mit zwingender Dramaturgie sowie ausdrucksstarkem Spiel und beherrschen dabei das ganze Farbspektrum des Strauss-Sounds. Eine Sinfonie als Seelenwanderung – viel näher als heute wird man dem Kern dieser Dichtung in Musik wohl kaum gelangen.