9. Juni 2012

Orchestra of the Age of Enlightenment –
Sir Simon Rattle.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16















Gabriel Fauré – Pelléas et Mélisande / Suite op. 80
Maurice Ravel – Klavierkonzert Nr. 2 / Klavierkonzert für die linke Hand
(Pierre-Laurent Aimard)
Zugabe: Claude Debussy – Ondine

(Pause)

Claude Debussy – Prélude à l'après-midi d'un faune

Claude Debussy – La Mer
Zugabe: Erik Satie / Claude Debussy – Gymnopédie Nr. 1



So klingt er also, der vielzitierte Erard, oder vielmehr ein Exemplar aus seiner traditionsreichen, mittlerweile jedoch weitgehend ausgestorbenen Familie. Macht sich optisch ganz gut auf der Bühne der alten Dame Laeiszhalle, das braungemaserte Ungetüm auf Schnörkelpfoten. Der Klang, den Herr Aimard ihm entlockt, ist für den historisch interessierten Konzertgänger nicht uninteressant, dokumentiert in erster Linie jedoch den Fortschritt, mit dem ein moderner Steinway das Gehör zu ergötzen vermag.

Mögen Authentizitäts-Fetischisten diesen speziellen Ton zu schätzen wissen, um dem Idiom eines Konzertes zur Ravel-Zeit nachzuspüren, halte ich es lieber mit den Errungenschaften des Instrumentenbaus in Bezug auf Volumen, Differenzierung und Ausgewogenheit. Der braune Schwan singt schon eine ganze Ecke dünner, unrunder. Insbesondere die mittlere Lage verrät das Alter und die Nähe zur Herbheit der historischen Aufführungspraxis. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß man von diesem „archaischen“ Klang eingenommen wird – ist halt Geschmackssache.

Genau wie die Frage, ob man durch das tierische Geschnaufe von Herrn Aimard von seinem intensiven, faszinierenden Vortrag abgelenkt wird oder nicht. Ich hatte da so meine Probleme (und das als glühender Gould-Verehrer!). Im Ernst: das Ravel-Konzert zog mich über die Maßen in seinen Bann – woran das französische Duo ganz klar seinen Anteil hatte. Auch auf das Programm bezogen für mich der Höhepunkt des ganzen Abends. Das ist der Ravel, wie ich ihn mag, messerscharf, phantasievoll, kontrastreich, mit einem Hang zum Grotesken – eben Elemente, wie ich sie z.B. auch an Britten liebe.

Verliebt habe ich mich auch in dieses Orchester. Was für ein Klang! Der Samt der Streicher, die Anmut der Holzbläser, der Stolz des Blechs – sind das historische Instrumente, wie das Programmheft vermeldet? Hätte ich nicht herausgehört. Keine Ahnung, wie alt die Geigen sind – gut sind sie und ihre Bediener, und wie!

Dazu Sir Simon als der gewohnte Klangfuchser. Immer wieder scheint es, als halte er ob des Farbenreichtums der verschiedenen Partituren mit seinem Orchester einen Moment inne, um eine besonders schöne Stelle wie ein funkelndes Stück Kristall von allen Seiten im Sonnenlicht zu betrachten. Dabei besteht jedoch nie die Gefahr, das große Ganze könne auseinanderfallen, zu verwoben, zu organisch ist der mäandernde Fluß des Klangkörpers.

Vertrauteste Gestade wie Debussys Dichtungen werden mit frischem Zugang angesteuert. Traumpianissimi, wohligste Bögen, atmende Steigerungen, druckvollste dynamische Entladungen. Unter solcher Behandlung gelingt selbst ein Kitschnäpfchen wie Saties Gymnopédie als scheue Neuformung.

Konzerte wie dieses bringen mich Debussy & Co. vielleicht am Ende des Tages nicht nachhaltig näher, gewähren mir aber einen versöhnlichen Blick in jene, mir fremde Welt. Das ist doch etwas.