19:30 Uhr, Parkett Mitte links, Reihe 6, Platz 8, nach der Pause: Parkett Mitte links, Reihe 1, Platz 3
Georg Friedrich Händel – aus „Neun Deutsche Arien“: Meine Seele hört im Sehen HWV 207
Franz Schubert – Frühlingsglaube, D686; Romanze, D797; Lachen und Weinen, D777; Ganymed, D544; La pastorella, D528; Guarda, che bianca luna, D688 no. 2; Da quel sembiante appresi, D688 no. 3; Mio ben ricordati, D688 no. 4; Vedi quando adoro, D510
(Pause)
Franz Liszt – Wie singt die Lerche schön; Der Fischerknabe; Comment, disaient-ils; Oh! Quand je dors
Camille Saint-Saëns – Une flûte invisible
Léo Delibes – Le Rossignol
Gaetano Donizetti – aus „Nuits d’étè à pausillipe: A mezzanotte; Il barcaiolo; La zingara
Zugabe: Gaetano Donizetti – La connochia
(Chen Reiss – Sopran, Alexander Schmalcz – Klavier, Susanne Barner – Flöte)
Stell Dir vor es ist Liederabend und niemand geht hin – oder: Kleiner Saal, große Lücken. Wobei „Lücken“ noch geschmeichelt ist. Vereinzelt besetzte Plätze trifft es besser. Einfach traurig. Dabei wartet die Liedreihe der Hamburger Symphoniker heute bereits zum zweiten Male mit einer der feinsten lyrischen Sopranstimmen auf, die mir geläufig sind – denn über eben jene verfügt ohne Zweifel Chen Reiss.
Daß fein allein jedoch nicht immer das Mittel der Wahl ist, wurde in den auf Heißblütigkeit angelegten Abschnitten des insgesamt ungewöhnlich heterogenen Programms deutlich. Liegt die Stärke der Sängerin fraglos in der Vermittlung des Scheuen, Zarten, Melancholischen, Überweltlichen, bleibt sie in den rassigen Koloraturen Donizettis auf der Stufe technischer, virtuoser Perfektion, ohne ihr stimmliches Feuer auch auf die Ebene nur allzu weltlicher Emotionen übergreifen zu lassen. Ihr Äußeres scheint Frau Reiss für die Rolle des Vamps zu prädestinieren, der Ausdruck ihrer Stimme spricht eine andere Sprache.
Die Sprache Schuberts beispielsweise, den sie vor allem in der „Romanze“ zum Niederknien in die Herzen der Zuhörer trägt. Aufs Einfühlsamste begleitet von Alexander Schmalcz scheint die Sängerin hier ganz bei sich, ein Sehnen und Wähnen erfüllt die Kleine Laeiszhalle, Poesie der Worte, Poesie der Töne. Eine Musik wie die Erinnerung an ein vergangenes Glück – dankbare Wehmut und süße Trauer.
Oder Liszts „Der Fischerknabe“: eine fragile Träumerei zwischen Naturidyll und Todesromantik, für die Frau Reiss’ Ausdruckspalette wie geschaffen ist. Warum also diese Ausflüge ins vermeintlich leichte Fach? Im Hinblick auf große Taten an großen Häusern? Ich weiß nicht. So selten wie Stimmen zu finden sind, durch die der Begriff der Unschuld zu mehr als einer bloß sentimentalen Phrase erhoben wird, so aussichtslos erscheint es mir, Leidenschaft oder gar Erotik einer solchen Stimme aufzuzwingen. Auch da gibt es sicher genug Gegenbeispiele, aber meine Skepsis in Bezug auf Frau Reiss’ Weg bleibt. Es wäre schade, wenn sie diesen silbrig-feinen Stimmschatz, den sie in ihrer Kehle hütet, auf Eilmärschen Richtung Rampenruhm von ihren Lippen verbannte.