2. März 2013

Ballett-Gala. Staatsballett Berlin.
Brandenburger Theater

19:30 Uhr, Parkett, Reihe C, Platz 9















Was verschlägt einen als Hamburger ans Brandenburger Theater – außer der fixen Idee, stetig neue Häuser kennenlernen zu wollen? Ein Gastspiel des Berliner Staatsballetts beispielsweise. Am Sonntag locken die Trojaner in die Hauptstadt, das läßt sich doch wunderbar kombinieren.

Das Theater, genauer das multifunktionale Cultur Congress Centrum, ist nicht unbedingt eine Augenweide, bzw. angesichts der historischen Straßenzüge ringsum ein veritabler Fremdkörper, aber hübsch in eine kleine Parkanlage am Wasserlauf eingebettet. Außerdem geht es ja darum, Tanz- und Tonkunst auf sich wirken zu lassen – und weniger die Tristesse der Baukunst der Gegenwart. Bezüglich der technischen Gegebenheiten und Akustik kommt der geneigte Ästhet dann auch durchaus auf seine Kosten: Ein mehr als brauchbarer Konzertsaal inklusive standesgemäßem Orchestergraben und großzügiger Bühne erwartet den Besucher im Inneren des nüchternen Komplexes.

Die Gala scheint restlos ausverkauft – nicht zu Unrecht, wie sich schnell herausstellt. Die Brandenburger Symphoniker sind kein schlechtes Orchester und werden von Herrn Reimer munter befeuert. Die Kombination beweist Schmiss und Elan, aber ebenso Fingerspitzengefühl. Orchestraler Höhepunkt der Veranstaltung ist die Scheherazade-Szene, in der getanzte Exotik und Erotik in den Wirkungen des Klangkörpers eine bedingungslos leidenschaftliche Entsprechung finden. Auf der anderen Seite braucht man wiederum auch kein Geheimnis daraus machen, daß es das Solocello im „Sterbenden Schwan“ mit dem Siechtum doch etwas zu wörtlich genommen hat – möchte man der gewagten Intonation noch eine interpretatorische Aussage abgewinnen. Im Allgemeinen besteht jedoch kein Anlaß zu Lästerei und Unmut – das Brandenburger Orchester bietet Potenzial für inspirierte Konzert- und Opernabende.

Oder eben in Kombination mit Ballett. Wobei mehrere Szenen nicht direkt aus dem Graben, sondern vom Band begleitet wurden. Das hatte wohl hauptsächlich organisatorische, bzw. rein pragmatische Gründe, da man beispielsweise keinen Chor nur für das Lacrimosa antreten lassen und sich der Konzertmeister wahrscheinlich auch nicht als todesmutiger Virtuose für das Paganini- Capriccio hervortun wollte. Ein Stück beinhaltete eine Collage aus Musik und Geräuscheffekten, ein anderes war mit einem Song von Tom Waits unterlegt. Eine bunte Mischung, wie man sich denken kann, eine Art „Best of“ aus verschiedensten Ballettwerken – Gala halt.

Und genau daraus ergab ich für mich der einzige Wermutstropfen des Abends. So wie ich mich nur schwer mit dem Arien-Gulasch der beliebten Operngalas anfreunden kann, erging es mir mit der sehr heterogenen Abfolge der Ballettszenen. Aus dem Kontext der Ursprungswerke gerissen und mit dadurch vorprogrammierten Stimmungswechseln von jetzt auf gleich, hatte das Ganze ein wenig die Tendenz, zur virtuosen Bonbonverkostung zu verkommen. Wohlgemerkt berührt diese Einschätzung keineswegs die Qualität der dargebotenen Szenen als solche – ich bin zwar im Ballett ein seltener Gast, war jedoch sehr von den Leistungen – mehr noch vom Ausdruck – der meisten Tänzer angetan. Dennoch sind meine Lehren daraus: Lieber ein komplettes Stück als Szenen-Zapping, lieber eine getanzte Geschichte als rein virtuose Sprunggelenk- Präsentation.

Und ein letzter Kritikpunkt: Den Abend mit einer ausgedehnten, tänzerreichen, jedoch ermüdend inhaltsarmen Szene krönen zu wollen, die darüber hinaus von der eintönigsten und uninspiriertesten Musik beplätschert wurde, die das 19. Jahrhundert zum Zwecke der Spaßvollbremsung bereithält, halte ich für gewagt, ja dramaturgisch fragwürdig, kurzum: verfehlt. Mehr ist mitunter schon mal mehr, aber ob jetzt zwei, vier, sechs oder ein Dutzend Paar trippelnder Füßchen den Dienst an der getanzten Belanglosigkeit verrichten, ist einfach unerheblich. Das Konzept „Tänzer als Deko-Elemente“ erschließt sich mir nicht.

Aber wie gesagt, auch diese Nullszene schmälert nicht die Leistung der Compagnie, verwehrte dem Abend aus meiner Sicht lediglich einen gehaltvollen Abschluß. Der verdiente Jubel war den Ausführenden dadurch ohnehin nicht zu nehmen. Werde ich eine weitere Ballettgala besuchen – unwahrscheinlich. Werde ich noch mal an der Havel Halt machen – warum nicht?


Brandenburger Symphoniker – Robert Reimer

Le Spectre de la rose
Musik von Carl Maria von Weber – Aufforderung zum Tanz (orchestriert von Hector Berlioz) Choreographie in der Tradition von Michail Fokin
Tänzer: Iana Salenko, Dinu Tamazlacaru

Lacrimosa
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart – Requiem KV 626, Lacrimosa
Choreographie von Gyula Pandi
Tänzer: Marian Walter

Les Sylphides
Musik von Frédéric Chopin – Walzer op. 64 Nr. 2 (orchestriert von Alexander Glasunow)
Choreographie in der Tradition von Michail Fokin
Tänzer: Shoko Nakamura, Mikhail Kaniskin

Scheherazade
Musik von Nikolai Rimski-Korsakow – Scheherazade op. 35, Auszüge
Choreographie in der Tradition von Michail Fokin
Tänzer: Elisa Carrillo Cabrera, Ibrahim Önal

Der sterbende Schwan
Musik von Camille Saint-Saens
Choreographie in der Tradition von Michail Fokin
Tänzerin: Beatrice Knop

Das Sofa
Musik von Tom Waits – Nobody
Choreographie von Itzik Galili
Tänzer: Soraya Bruna, Michael Banzhaf, Leonard Jakovia

(Pause)

Elegie der Herzen
Musik von Arvo Pärt
Choreographie von Raimondo Rebeck
Tänzer: Iana Salenko, Marian Walter

Caravaggio
Musik von Bruno Moretti nach Claudio Monteverdi
Choreographie von Mauro Bigonzetti
Tänzer: Beatrice Knop, Leonard Jakovina

C/24
Musik von Nicolo Paganini
Choreographie von Mauro de Candia
Tänzer: Dinu Tamazlacaru

La Péri
Gartenszene Divertissement
Musik von Friedrich Burgmüller (eingerichtet und arrangiert von Roland Bittmann und Torsten Schlarbaum)
Choreographie von Vladimir Malakhov
Tänzer: Shoko Nakamura, Mikhail Kanisin, Stephanie Greenwald, Sarah Mestrovic, Krasina Pavlova, Anastasia Kurkova, Taras Bilenko, Alexej Orlenco, Kévin Pouzou sowie Damen des Corps de ballet