Hmm, heute war’s n bißchen zäh. Warum eigentlich? Die Oper selbst hat nicht so gezündet, wie es der erste Eindruck (Link) erhoffen ließ. Sind auf jeden Fall geniale Sachen drin (bezogen auf Instrumentation – z.B. zweite Geistererscheinung; Bezogen auf musikalische Eingebung – insbesondere die Musik im Zusammenhang mit Dido, hier als Krone ganz klar die Passage vor (Ensemble) und während des Liebesduetts). Aber für ein abschließendes Urteil ist es eh zu früh und die Partitur zu komplex, außerdem reden wir hier wohlgemerkt von Berlioz – und der hat mich bekanntlich noch nie enttäuscht.
Die Besetzung empfand ich beim letzten Mal ebenfalls glücklicher, obwohl sich diese nur auf wenigen, dafür maßgeblichen Positionen verändert zeigte. Hatten sicher viele Besucher dem Dido-Rollendebüt Elīna Garančas entgegengefiebert, das dann eben doch nicht zustande kam, war das für mich gar nicht der Punkt. Daniela Barcellona hatte die Partie schon im letzten Jahr sehr beeindruckend gegeben und daran gedachte sie glücklicherweise auch heute nichts zu ändern. Eine große Stimme mit exemplarischer Bandbreite des Ausdrucks. Eben jene konnte der Aeneas-Einspringer aber leider nicht vorweisen. Eine insgesamt eher bemühte, angestrengte und somit anstrengende Vorstellung. Auch die Kassandra war ehedem stärker besetzt, wobei Frau Komlosi jetzt nicht schlecht ablieferte – dennoch führen solche Details eben zu einem „ok“ statt „fulminant“ – um meine eigene Bewertung vom vorletzten Jahr nicht ganz dem Verdikt der Willkür anheimfallen zu lassen.
Auch das Dirigat hatte ich ja explizit gelobt. Und sicher gab es heute eine Vielzahl äußerst gelungener Passagen, in denen man sich vom schieren Wohlklang des Orchester berauscht fühlen durfte. Dennoch möchte ich in den beschwingt leichten, wieselflinken – „urfranzösischen“ – Manövern durchaus hier und da eine gewissen Trägheit kritisieren. Das fiel mir gleich zu Beginn auf, als das Ganze nicht so richtig Fahrt aufnehmen wollte, etwas behäbig daherkam. Perlende Virtuosität, wie sie hier von Nöten gewesen wäre, klingt anders.
Um den Nörgelreigen komplett zu machen: Selbst die an Schauwerten überbordende Inszenierung traf heute nicht zwingend meinen Nerv, bzw. nur in Teilen. Ästhetisch betrachtet ist das wirklich eine runde Sache. Auf der einen Seite die aggressive Kriegswelt der Trojaner in Rot- und Erdtönen, auf der anderen die lieblich milde Sphäre der friedensliebenden Carthager in Gelb, Grün und Weiß. Vor allem die mannigfaltigen Kostüme sind ein wahrer Augenschmaus.
Bei der zweiten Durchsicht der Regiearbeit traten mir aber bestimmte Details ins Blickfeld, die mir beim ersten Mal nicht störend aufgefallen waren, die mich nun jedoch irritierten. Chormassen, die doch eher planlos umherlaufen, Kassandras Strickpferdchen oder das Trojanische Geisterquartett, das sich seltsam albern gebärdet und Aeneas Aufbruch schließlich mit der peinlichsten aller möglichen Bühnen-Gesten feiert– dem berufsjugendlich-bräsigen Abklatschen. Wie gesagt, auch hier geht es „nur“ um Details, die das Gesamtkonzept lediglich von Zeit zu Zeit eintrüben.
Hatte mich die gigantische Holzpferd-Maschinerie seinerzeit noch begeistert, vielmehr verblüfft, verpufften derlei Effekte jetzt weitestgehend. Auf der anderen Seite wäre es unfair, die zweifellos sehr abwechslungsreichen und aufwändigen Bühnenwirkungen madig zu machen, die durchweg von Fantasie und Inspiration zeugen. Manches wirkt fast schon zu verspielt, wie die Seifenblasenseligkeit um das Liebespaar, unter dem Strich muß man solch eine Produktion aber erst mal derart vielfältig stemmen – der Respekt überwiegt. Besonders gelungen erfolgte die Einbindung der Balletteinlagen, allen voran die lange Choreografie der ganz in Grün getauchten Jagdszene.
Welcher Eindruck besteht also am Ende? So ganz sicher bin ich mir da selbst nicht. Vor allem der Schluß mit dem nicht enden wollenden Lamentieren der Dido, ihrem Sterbenwollen und dann weiteres Lamentieren und „endlich“ der Vollzug, an den sich wiederum ein weiteres Chorlamento anschließt, zog sich für mein Empfinden – auch musikalisch bzw. auf die Struktur des Finales bezogen – so ungemein in die Länge, daß als letzter Gemütszustand eher Ermattung als Erschütterung hängen blieb. Habe ich Werk (und Umsetzung) doch überschätzt? Ich werde dem wohl am heimischen CD-Regal in Ruhe auf den Zahn fühlen. Das bin ich meinem Freund Berlioz schließlich schuldig.
Hector Berlioz – Les Troyens
Musikalische Leitung – Donald Runnicles
Inszenierung – David Pountney
Bühne – Johan Engels
Kostüme – Marie-Jeanne Lecca
Chöre – William Spaulding
Licht – Davy Cunningham
Choreographie – Renato Zanella
Énée – Daniel Magdal
Chorèbe – Markus Brück
Panthée – Seth Carico
Narbal – Ante Jerkunica
Iopas / Hylas – Yosep Kang
Ascagne – Jana Kurucová
Cassandre – Ildiko Komlosi
Didon – Daniela Barcellona
Anna – Clémentine Margaine
Priam – Lenus Carlson
Ein griechischer Heerführer – Marko Mimica
Hector – Stephen Bronk
Hélénus – Alvaro Zambrano
Ein Soldat – Andrew Harris
Erster trojanischer Soldat – Markus Brück
Zweiter trojanischer Soldat – Lenus Carlson
Mercure – Stephen Bronk
Hécube – Hulkar Sabirova
Andromache – Étoile Chaville
Astyanax – Alberto Garcia Minguez
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Chor der Deutschen Oper Berlin
Extrachor der Deutschen Oper Berlin
Opernballett der Deutschen Oper Berlin
Statisterie der Deutschen Oper Berlin