15. März 2013

Der Vampyr – Johannes Rieger.
Großes Haus Halberstadt.

19:30 Uhr, Rechts, Reihe 10, Platz 12 



Manchmal braucht der Funke eben einen Moment, bis er überspringt. So geschehen in Halberstadt, als ich, nach einigen langen Minuten des Befremdens, schlußendlich doch Freundschaft mit dem Regiekonzept des Abends schloß. Offenbar liegt es am Werk selbst, bzw. seiner Wirkung auf ein Publikum der Gegenwart, dem mit der Schauerromantik der Marschner-Zeit weniger Gänsehaut denn mehr ein nostalgisches Schmunzeln zu entlocken ist, daß die Regie bei dieser Oper gern zu Mitteln greift, diesen Umstand besonders hervorzuheben. 


Auch in der Produktion der Hamburger Kammeroper aus dem Jahr 2011 (Link) begegnete man dem Umstand, daß den meisten Zuschauern ein unvoreingenommener Blick auf den Vampyr-Stoff durch eine von diversen Dracula-Schattierungen der Filmgeschichte getönte Brille kaum mehr möglich sein dürfte – und spielte just mit jenen Klischees. Beiden Ansätzen gemein ist der Einsatz von Humor, eben auch über die ohnehin komödiantisch angelegten Passagen des Werkes hinaus. War ich seinerzeit in Hamburg schon über Stummfilmgesten und freiwillig unfreiwillig Komisches anfangs irritiert, wiederholte sich dieser Eindruck in noch gesteigerten Maße in Halberstadt.

Die außergewöhnlich opulenten, ja filmreifen Kostüme der Darsteller sowie das gleichzeitig aufwändig „realistisch“ ausgeführte und dabei doch untrüglich kulissenhaft anmutende Bühnenbild, kombiniert mit einem seltsam affektierten Auftreten der Darsteller, ließen die Fallhöhe der Bruchkante zwischen „groß gedacht“ und Schmierentheater bedenklich steigen. Dabei sollte sich insbesondere die bizarr-artifizielle Personenführung nach kurzer Eingewöhnungsphase als ebenso zwingend wie förderlich für die ganze Inszenierung erweisen.

Verlegte man sich in Hamburg auf einen bisweilen unbeschwerten Humor der leichten Hand, aus dem ein Kontrast zu den innig melancholischen Momenten gewonnen wurde, so folgt man in Halberstadt einer Art Abstraktion oder artifiziellen Überhöhung des Dargestellten. Häufig sind es marionettenhafte Gesten, oder vielmehr Gesten-Zitate, puppengleich ausgeführt, wie das fortwährende mechanische Wippen mit dem Zeigefinger zum Takt der Musik als Ausdruck von Emmis innerem Widerstreit gegen Ruthven, die mit der Naivität der Worte spielen.

Insbesondere auch der Chor liefert eine ganze Fülle dieser übertheatralischen Äußerungen: Das ruckartige Winken zum Abschied, eine Vielzahl betont einstudiert wirkender, wie auf Knopfdruck abgerufener Gesten des Entsetzens oder der Verzückung, oder auch das gesamte Bild, das der sich gebannt zugeneigt lauschende Chor bei Emmis Erzählung vom bleichen Mann abgibt, all dies dient einer Art pantomimischen Kommentars, soll die Gefahr einer Verkitschung bannen (Besagte Erzählung kann übrigens als eine Art Vorläufer für Sentas Ballade im Holländer aufgefasst werden – mit dem kleinen Unterschied, daß hier der Unselige brav verteufelt und nicht ersehnt wird). Für meine Begriffe geht dieses Konzept auf, wenn auch etwas zu Lasten der in Hamburg so rührend herausgearbeiteten zart-romantischen Stellen – was ist schon Verwerfliches daran, sich auf ungebrochene Naivität im Sinne von Reinheit und Unschuld einzulassen?

Auch das aufwändige Bühnenbild entpuppt sich als weit weniger konservativ, als es auf den ersten Blick scheint. Die ehrwürdigen Bögen verkörpern durch geschickt gesetzte wechselnde Lichtstimmungen und geringe Veränderungen mal Gruft, mal Herrenhaus, am Ende die Kirche der anberaumten Hochzeit zwischen Malwina und Ruthven. Ein besonderer Clou liegt nun darin, die im Boden der Gruft eingelassenen Gräber auch jeweils in den anderen Bildern einzubinden. So entsteigen beispielsweise in einer Szene, die die Hoffnungen von Emmis Bräutigam zum Inhalt hat, mehrere untote Bräute dem Boden der guten Stube und nehmen damit das Unheil vorweg, daß dem Paar widerfahren wird.

Effekte wie diese unter Einbindung sorgsam choreografierter Statisten können vor allem auch dank einer ausgefeilten, detailverliebten und dadurch organischen Personenregie zur Entfaltung gelangen. Bereits in der ersten Szene wird bei Vampirens bereits sehr wohltuend individuell gekrochen und sich gewunden, generell heben sich Chor, aber auch Solisten, vom üblichen Rumgestehe oder kollektiver Planlosigkeit ab. Wer steht zu wem in welcher Beziehung – das ist alles vorbildlich herausgearbeitet, zudem mit dem Konzept des überinszenierten Auftretens verzahnt.

Noch einmal zurück zum Licht. Das Licht ist zweifelsfrei einer der Hautdarsteller dieser Produktion. Welch stimmungsvolle Lichtführung! Ein besonders schönes Beispiel dafür: Der Schluss des ersten Bildes – Ruthven beschienen vom Mondlicht, das auch Janthes Wiederkehr als Vampir, ihr laszives Recken und Räkeln, in gespenstisches Zwielicht taucht. Oder auch ganz im Dienste der inneren Handlung: Das warm ausgeleuchtete Herrenhaus wird beim Gedanken an den unheilvollen Grafen schlagartig wieder zur kalten Gruft. Schließlich die durch ein Leuchten akzentuierte, zentral angebrachte Uhr, an Ruthvens verbleibende Zeit gemahnend – all dies und vieles mehr zeugen auch hier von großer Liebe zum Detail.

Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, daß es die Regie auch inhaltlich nicht bei einer bloßen Ausführung der Geschichte beläßt, die Handlung erfährt im Gegenteil eine zentrale Wendung: Triumphiert laut Libretto das Gute eindeutig über das Böse und ist mit Ruthvens Scheitern das Unheil gebannt, so sehen wir in Halberstadt mit dem Ableben des Grafen die Welt keineswegs wieder in Ordnung. Die Vampirseuche hat vielmehr im Laufe der Geschehnisse immer weiter um sich gegriffen, so daß am Ende der Vorstellung nahezu alle Beteiligten die Eckzähne blecken. Schon früh wird deutlich, wie Ruthven die Menschen zu Marionetten seines Willens macht, indem er sie buchstäblich an unsichtbaren Fäden dirigiert.

Spätestens, wenn in der Trinkszene nicht nur am Wein, sondern vor allem an Suse genippt wird, ist klar, daß die brave Landbevölkerung Gefallen am roten Lebenssaft gefunden hat. Einzig Malwina widersteht bis zum Schluß dem Einfluß des Vampirfürsten, sieht sich im finalen Bild dann jedoch von einer Traube Vertrauter umringt, die ihr allesamt an den Hals wollen – allen voran ihr „Retter“ Aubry.

Musikalisch verläuft der Abend mehr oder weniger dürftig. Das Orchester tritt in jeder Beziehung ziemlich hölzern und undifferenziert auf, das wird gleich in der Ouvertüre deutlich, die eher als ein verzerrtes Abbild ihrer selbst den Graben verläßt. Intonation, Einsätze, Struktur insgesamt – es läuft nicht wirklich rund in Halberstadt. Dabei war mir das Orchester bei seinem Gastspiel in Bernburg (Link) gar nicht so sauer aufgestoßen. Nun ja, der Selbsterhaltungstrieb des Gehörs sorgt mit fortlaufender Dauer der Aufführung dafür, alles in milderem Licht wahrzunehmen, zumal die Inszenierung ja genug Ablenkungsmöglichkeiten bereitstellt.

Auch nur kurz zu den Sängern: Herr Koskela als Ruthven mit recht schöner Stimme, aber nur schmal ausgebildeter Textverständlichkeit (oder sollte es doch am Gebiss gelegen haben?) In der Beziehung hatte ihm Herr Nijskamp als Sir Humphrey einiges voraus. Die Sängerin der Malwina, Frau Pierags, war schon als Violetta in Bernburg die Stütze des Ensembles und auch heute sorgte sie – neben dem äußerst wohltuenden Sopran der Emmi-Darstellerin Annabelle Pichler – für die musikalischen Höhepunkte des Abends. Beispielsweise beim dann doch insgesamt zart gelungenen Schluß des ersten Aktes. Der Held vom Dienst, Edgar Aubry, bzw. Herr Schöner als sein Mime, konnte kaum mit gebührendem Schmelz aufwarten und verlegte sich rein auf das Deklamatorische – seine zauberhafte Arie „Wie ein schöner Frühlingsmorgen“ verpuffte.

Die Akustik des auch architektonisch interessanten Hauses hat mir gefallen, leider blieben viele Plätze leer. Alles in allem trotz musikalischer Schwächen ein lohnenswerter Ausflug durch das Tor zum Harz ins Herz der Marschnerschen Schauerromantik.


Heinrich Marschner – Der Vampyr
Musikalische Leitung – MD Johannes Rieger
Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme – Hinrich Horstkotte
Dramaturgie – Susanne Range
Chöre – Jan Rozehnal

Sir Humphrey, Lord von Davenaut – Gijs Nijkamp
Malwina, seine Tochter – Bettina Pierags
Edgar Aubry – Tobias Amadeus Schöner
Lord Ruthven – Juha Koskela
Sir Berkley – Klaus-Uwe Rein
Janthe, seine Tochter – Nina Schubert
George Didbin, in Davenauts Diensten – Manfred Wulfert a. G.
Emmy, seine Braut – Annabelle Pichler
Tom Blunt, ihr Vater, in Ruthvens Diensten – Klaus-Uwe Rein
Suse, seine Frau – Marlies Sturm
James Gadshill – Kwonsoo Jeon
Richard Scrop – Carol-Virgil Herca
Robert Green – Norbert Zilz
Der Vampyrmeister – Klaus-Uwe Rein
Ein Diener Berkleys – Norbert Zilz

Opernchor, Statisterie und Orchester des Nordharzer Städtebundtheaters