18. Februar 2012

Peter Grimes – Alexander Kalajdzic.
Stadttheater Bielefeld.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 12














Das war wieder einer dieser Abende, wie man sie gar nicht haben möchte: nicht wirklich schlecht, nicht wirklich gut, beschwörte er das Schreckgespenst der Durchschnittlichkeit herauf, den natürlichen Feind der Intensität. Erlebnisse wie diese bestätigen mir jedes mal aufs Neue die Richtigkeit meiner Entscheidung, mein berufliches Glück nicht im musikalischen Bereich gesucht, sondern mir diese Welt als Refugium rein autokratischer Prägung bewahrt zu haben. Meine Hochachtung vor dem Kritiker, der auch einer Magerkost wie dieser mit der seines Berufsauftrag gemäßen Routine und Gründlichkeit zu Leibe rückt. Ich sähe mich – die Frage der tatsächlichen beruflichen Befähigung frech ausklammernd – einfach nicht in der Lage, gerade diese kargen Pfade jenseits der lichten Alleen der persönlichen Begeisterung mit der gebührenden Gelassenheit abzuschreiten.

Konkret auf den Abend bezogen heißt das: Ich möchte mich nicht groß mit den Sängern beschäftigen, schon gar nicht im Einzelnen, die allesamt ihre Rollen gesanglich wie darstellerisch mehr oder weniger passabel abgeliefert haben. Und womöglich tue ich gerade dem Einzelnen oder meinetwegen auch dem gesamten Ensemble Unrecht, überhaupt von „abliefern“ zu sprechen. Aber für mich war da wenig, das im eigentlichen Sinne der Rede wert gewesen wäre. Dies bitte nicht falsch verstehen – es war keine miese Leistung, aber eben auch nichts, das dem vorhandenen Reichtum dieser vielschichtigen Partien der Partitur wirklich Leben eingehaucht hätte. Sicher, der Kapitän hat ein gutes Organ, das man sicher auch weitergehend einordnen könnte – aber warum, wenn das Ganze einfach „nichts bringt“? Einzig Peter Bronder entreißt die Aufführung dem permanenten Verdikt des bloßen Handwerks – wenn auch nur selten und kurz. Nun beißt man sich mit elfenbeinturmverorteter Schwarzweißmalerei erfahrungsgemäß bei einer Kunstform, in der in jedem Moment so viel gelingen, aber eben auch scheitern kann, sicher die Zähne aus, aber die Sehnsucht nach dem schlichten „Ja“ als Fazit für einen Abend ist zumindest bei mir weiterhin ungebrochen.

Ein schlichtes „Nein“ möchte ich dem Dirigat und der Orchesterleistung an diesem spezifischen Abend entgegnen. Ebenso hochtrabend formuliert wie unzweifelhaft war dies keine Äußerung im Dienste Brittens, soweit lehne ich mich mal aus dem Fenster. Der Begriff „Entstellung“ trifft es am besten. In weiten Teilen hatte das schlicht und ergreifend nicht viel mit Britten zu tun. Es gab nur eine kurze Phase im zweiten Akt, von etwa gegen Ende der sich steigernden Hysterie der Dorfbewohner bis einschließlich der folgenden Klage der Frauen, in der ich mich dem Komponisten an diesem Abend nah gefühlt habe, sieht man mal von diversen unkaputtbaren, einzelnen, meist Chormomenten ab.

Ich habe zwischenzeitlich immer wieder darüber nachgedacht (ich hatte ja sonst wenig zu tun), wie sich ein stärkerer musikalischer Eindruck auf meine Beurteilung der Inszenierung ausgewirkt hätte. Es gab sicher Elemente, die nie den Anstrich des Ungeschickten oder Belanglosen verloren hätten, insgesamt hänge ich aber dem Gedanken nach, das hier etwas sehr Brauchbares vor die Wand gefahren wurde. Als Beispiel sei dafür die letzte Szene Grimes’ herangezogen, in welcher dem Sänger unzweifelhaft im besten und einen Abglanz des Metaphysischen evozierenden Sinne, die Bühne für einen Abschied größter Intensität bereitet wurde. Da war es wieder, das kleine Wörtchen Intensität. Heute war es nur ein flüchtiger Gast, aber ich bleibe ihm auf den Fersen.


Benjamin Britten – Peter Grimes
Musikalische Leitung – Alexander Kalajdzic
Inszenierung – Helen Maikowsky
Kostüme – Henrike Bromber
Bühne – Saskia Wunsch
Choreinstudierung – Hagen Enke
Dramaturgie – Jón Philipp von Linden
Licht – Gregor Fritz
Regieassistenz und Abendspielleitung – Annette Nora Wolf
Musikalische Einstudierung – Christian van den Berg-Bremer, Narah Chung, Merjin van Driesten, Witold Werner
Bühnenbildassistenz – Olga Gromova

Peter Grimes – Peter Bronder
Ellen Orford – Sarah Kuffner
Balstrode – Jacek Strauch
Auntie – Ceri Williams
1. Nichte – Cornelie Isenbürger
2. Nichte – Christiane Linke
Boles – Michael Pflumm
Swallow – Jacek Janiszewski
Mrs. Sedley – Xenia Maria Mann
Pastor Adams – Reto Raphael Rosine
Ned Keene – Daniel Billings
Hobson – Torben Jürgens

Bielefelder Philharmoniker
Bielefelder Opernchor und Extrachor des Theater Bielefelds