10. Juli 2015

Der Ferne Klang – Dan Ettinger.
Nationaltheater Mannheim.

19:30 Uhr, Parkett Aufgang B, Reihe 10, Platz 19


Das Nationaltheater Mannheim mag den architektonischen Charme bundesdeutscher Parkhäuser versprühen – in seinem Inneren spielen sich durchaus sehens- und hörenswerte Dinge ab. Erhebt man sich aus seinem Barcelona-Chair und durchmisst das imposante Flugterminal-Foyer Richtung Zuschauerraum, findet man nach dem Aufstieg durch leicht muffige Korridore einen zwar von an Feuerleitern erinnernden, zu den Logen führenden Treppen umklammerten, aber akustisch überraschend ausgewogenen Saal vor. Ein bisschen trocken vielleicht – wenn man nett ist, könnte man auch „objektiv“ sagen – aber gerade angesichts der Dimensionen ziemlich differenziert ohne Homogenität einzubüßen. Das klingt schon alles mehr als ordentlich, was da den auf seinem Sitz, Modell Klappspaten, lauschenden Besucher umschallt.

Es flirrt und glitzert, es rauscht und schwillt, wie es sich für die Schreker’sche Zauberharfe gehört, die der Tonsetzer in dieser Oper gleich praktischerweise mit zum Gegenstand der Handlung erkoren hat. Die Suche nach jenem fernen Klang, die tongewordene Sehnsucht, Musik über das Streben nach der perfekt tönenden Farbe – die autobiographische Nähe zum Oeuvre des Verfassers selbst könnte wohl kaum enger sein. Und doch geht es um mehr als Fritz/Franz und seine wunderliche Suche, die uns ja auch nur am Anfang und Ende der Oper tatsächlich beschäftigt, im Zentrum der Oper steht das Schicksal Gretes, der von ihm Verlassenen.

Cornelia Ptassek füllt diese Rolle mit der nötigen Bühnenpräsenz und jugendlicher, weicher Stimme ohne störende Schärfe aus. Oft ist es ja nur ein Blick oder eine Geste, die zwischen hölzernem und lebendigem Spiel unterscheidet, gerade bei dieser Figur ist es ungemein wichtig, dass man die wechselvollen Stationen ihres Lebens mit Anteilnahme verfolgt. Ein besonders gelungener Moment ist mir im Übergang zum Venedig-Akt in Erinnerung geblieben, wo Grete voller Verwunderung aber auch Neugier auf die sich vor ihr entspinnende Szenerie reagiert, und somit gleichsam die Wandlung von der kleinen Grete zur „sündigen“ Greta markiert wird.

Überhaupt gibt es an der Inszenierung kaum etwas auszusetzen, gleichwohl sie mich nicht zu Begeisterungsstürmen hinriss. Plausibel, dienlich – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Weitestgehend unopulent, schaffte es die Regie dennoch, dem Rausch der Musik eine stimmige Bühne zu schaffen. Vielleicht hätte eine stärker ausgeprägte, originäre Ästhetik geholfen, aus einer guten eine besondere Produktion zu machen. Ansätze waren durchaus vorhanden, beispielsweise mit dem visuellen Leitmotiv der kleinen Hütte, die als Keimzelle und Ort der Erinnerung für die Liebe des Paares ein starkes Bild darstellte – zumal in ihrer Gestalt als Ruine im letzten Akt. Mit den in diesem Zusammenhang eingesetzten Videos, die auf das rotierende Bühnenbild der Drehbühne projiziert wurden, und die Liebesgeschichte weiter illustrierten, konnte ich hingegen nicht viel anfangen. In Kombination mit der hochemotionalen Musik ergab sich ein eher kitschiges denn romantisches Gesamtbild. Geschmackssache.

Viel mehr gibt es auch nicht zu berichten. Eine gute Orchesterleistung unter stimmiger Führung, ordentliche Sänger, eine vernünftige Regie – ergibt einen zufriedenstellenden Mannheim-Besuch. Nimmt man das dramatische und emotionale Potenzial des Werkes als Maßstab, hätten es durchaus ein, zwei Prisen mehr Begeisterung sein können, aber ein guter Abend bleibt ein guter Abend und nach dem Wiesbaden-Desaster überwog die Erleichterung, nicht gleich zweit Herzensopern hintereinander verunfallen zu sehen.


Franz Schreker – Der Ferne Klang
Musikalische Leitung – Dan Ettinger
Inszenierung – Tatjana Gürbaca
Bühne – Marc Weeger
Kostüme – Silke Willrett
Licht – Christian Wurmbach
Video – Thilo David Heins
Dramaturgie – Merle Fahrholz
Chor – Anton Tremmel

Grete Graumann – Cornelia Ptassek
Fritz – Michael Baba
Der alte Graumann / Der Baron – Sung Ha
Die Frau des alten Graumann – Petra Welteroth
Der Wirt / Rudolf – Sebastian Pilgrim
Ein Schmierenkomödiant / Der Graf / Der Schauspieler – Raymond Ayers
Dr. Vigelius – Bartosz Urbanowicz
Ein altes Weib – Edna Prochnik
Mizzi – Tamara Banješević
Milli – Dorottya Láng
Mary – Estelle Kruger
Eine Spanierin / Kellnerin – Evelyn Krahe
Der Chevalier / Ein zweifelhaftes Individuum – Johan Tralla
Erster Chorist – Ziad Nehme
Zweiter Chorist – Stephan Somburg
Ein Mädchen – Eun Young Kim
Eine Choristin – Juliane Herrmann
Eine andere Choristin – Gerda Maria Sanders
Ein junger Mann – Bertram Paul Kleiner
Ein Polizist – Karl Adolf Appel
Gäste – Giorgi Bekaia, Jun-Ho Lee, Bertram Paul Kleiner, Wolfgang Heuser, Junchul Ye, John Dalke, Chi Kyung Kim

Chor, Extrachor, Orchester und Statisterie des Nationaltheaters Mannheim