29. November 2016

Elbphilharmonie Testkonzert – Tingvall Trio.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Ebene 12, Bereich D, Reihe 6, Platz 1



Tingvall Trio (Martin Tingvall – Piano, Omar Rodriguez Calvo – Kontrabass, Jürgen Spiegel – Schlagzeug)


Lautsplitter Extrablatt – Stiftung Elbphilharmonietest oder: Von den Vorzügen eines Konzert-Versuchskaninchens. Unter den wachenden Augen einer Armada in Neonwesten gehüllter, Walkie-Talkie- und Klemmbrett-bewaffneter Versuchsleiter strömt das von freudiger Erwartung leicht sedierte Publikum die Stufen gen großen Saal empor, nachdem es zuvor alle Ecken und Winkel der Plaza-Ebene ausgiebigst beschnuppert hat.

Wichtige erste Erkenntnisse: Die Dame an der Garderobe ist nett, die ausgehändigten Marken schwarz und rund. Es gibt (noch!) keine Häppchen, dafür ausgesprochen leckere Brezeln. Verdursten muss niemand, man stellt sich und Glas an einen der vielen Stehtische, die filigran wirken, aber von robuster Natur zu sein scheinen. Grauer Marmor (?) ziert die Oberfläche – schmuck. Weniger edel geht es auf den Orten höchster Dringlichkeit zu. Neben einer Fülle unbestreitbarer Superlative wartet die Elbphilharmonie mit einem eher unerwarteten Maximalwert auf: den hässlichsten Toiletten Hamburgs. Es wird mir ein Rätsel bleiben, wie sich diese Kombination eines glattpolierten Waschbeton-Ambiente mit Farbtupfern aus Grau und Gelb gegen gleichgültig welchen anderen Entwurf durchgesetzt hat.

Dann doch lieber wieder schnell zurück in die Welt der Neonlicht-durchfluteten, verwinkelten Foyers. Viel helles Holz und weiße Wände. Edel, dabei ganz und gar nicht protzig. Keine Überwältigungsarchitektur. Die dann schon eher im Saal selbst – dessen Wände wiederum alles andere als weiß sind, wie es ja der im Volksmund kolportierte Name suggeriert. Weder Weiß, noch Haut, sondern eine Art allgegenwärtige Verschalung in Muschelkalk-Optik, maritime Assoziationen weckend, auch der Gedanke an Fossilien liegt nahe. Wobei heute nicht wirklich allgegenwärtig, da auf allen Ebenen von glatten Paneelen unterbrochen, Leinwänden für Diavorträgen gleich, die aus dem Boden gefahren, das Akustik-Setting für ein verstärktes Konzert formen sollen. Denn darum geht es heute in erster Linie – überprüfen, wie sich der große Saal bei nicht-klassischen Konzerten schlägt.

Auf grauem, straff gepolstertem, jedoch nicht unbequemem Gestühl harrt man der kommenden Klänge. Es wird kompakt gesessen, die Bein- und Ellenbogenfreiheit hält sich in Grenzen – ein Indiz, daß es hier tatsächlich um akustische Eindrücke und nicht um Fläztauglichkeit geht. Eine kleine Schar verbringt das Konzert gar im Stehen, genauer im Gehen – auf allen Ebenen schleichen fast schon mönchisch-meditativ Mitarbeiter der Soundtechnik umher, offenbar um als menschliche Messinstrumente die Ergebnisse der Bemühungen am Mischpult zu beurteilen und dorthin weiterzugeben. Von meinem Platz aus klingt es – für eine verstärkte Angelegenheit – überraschend natürlich. Die drei Musiker sind trotz Lautsprechertraube an der Decke „realistisch“ ort- und vernehmbar. Gut, das Schlagzeug ist anfangs deutlich und später für meinen Geschmack immer noch eine Spur zu präsent, der Flügel kommt mitunter ein wenig dumpf rüber, aber insgesamt ein sehr ansprechendes Klangbild. Besondere Aufmerksamkeit verdient allerdings ein Solostück des Pianisten, da es unverstärkt gegeben wird. Natürlich mit der Einschränkung der auf Lautsprecherkonzert getrimmten Saalakustik konnte sich das mehr als hören lassen. Frau Uchida im Januar, ich bin gespannt.

In der Pause gilt es, weitere Details zu erhaschen. Allgemeine Begeisterungsbekundungen allerorten. Alles ist großartig. Die Architektur, der Blick auf den Hafen. Besonders von einem der heute recht zugigen Balkone, durch jene offenen Fensterelemente, deren Formgebung man sich mal musikalisch (Stimmgabel!), mal hanseatisch (Walknochen!) erklärt. Die Leute freuen sich, strahlende Gesichter bevölkern die Foyers. So langsam könnte ich auch aufhören mit dem Protokollieren – schließlich verfüge ich gar nicht über ein Klemmbrett. Also wieder zurück in den Saal. Ohnehin auch optisch mit Abstand der spannendste Bereich des Baus. Hier gefällt es mir, ja, ich könnte mich durchaus mit diesem neuen Refugium anfreunden. Schon mal kurz auf meinem Aboplatz Probe sitzen. Müsste was werden.

Das Konzert an sich hat mir übrigens auch zugesagt, obwohl das nicht wirklich meine Musik ist. Live kann ich mir das gut anhören, dieser teils improvisierte Charakter überträgt sich so optimal – auf der heimischen Anlage müsste ich mir das allerdings nicht unbedingt geben. Jazz-Pop / Pop-Jazz? Egal, davon hab ich eh keine Ahnung. Waren aber definitiv ansprechende, Banausen-taugliche Stücke dabei. Herr Tingvall scheint zudem ein ziemlich launiger Vogel zu sein, davon zeugen zumindest seine trocken-lakonischen Zwischenmoderationen.

Fazit: Die Wohnungsbesichtigung war mehr als vielversprechend, jetzt kann der Einzug im Januar vollzogen werden.