20. November 2016

Hänsel und Gretel – Axel Kober.
Oper Düsseldorf.

18:30 Uhr, 1. Rang Seite links, Reihe 1, Platz 196



Das ist es also, das Stück, das alladventlich Eltern und Großeltern dazu motiviert, die lieben Kleinen zu einer ersten Werksführung ins Kraftwerk der Gefühle mitzunehmen. Grimm ging und geht immer und die Hex ist, anders als es das Happy End suggeriert, zumindest in der Bearbeitung durch Humperdinck und seine Schwester nicht totzukriegen. Eine Oper für Kinder und Kindgebliebene – ein schöner Gedanke. Dass die spätromantisch unendlich mäandernde Musik, von den paar putzigen Liedchen einmal abgesehen, insgesamt gesehen wenig kindgerecht fasslich ist – geschenkt, solange sich die dünne Erzählung mit allerlei bunten Kostümen und bühnenbildlichem Zuckerwerk angefüttert zeigt.

Aber reicht das heutzutage? Ausnahmsweise eine ernst gemeinte Frage. Spielen Märchen in bundesdeutschen Kinderstuben noch eine Rolle? Ich hoffe es, aber ich weiß es nicht. Von daher kann ich auch nicht beurteilen, ob sich heute Kinder mit handgemachtem Hokuspokus hinterm Lebkuchenofen hervorlocken lassen, während Harry Potter und Co. ihre Zaubersprüche in 3D über die Spezialeffekt-gespickte Leinwand jagen. Die wenigen im Nachgang zur Garderobe aufgeschnappten Reaktionen schienen mir allerdings durchaus positiv. Oder der Düsseldorfer Nachwuchs ist einfach ausgesprochen diplomatisch erzogen.

Keinen Grund zu Beschönigungen jedweder Art gab die Aufführung an sich. Die Inszenierung mag einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben, entfaltet jedoch in ihrer schlicht-liebevollen Plakativität mit einfachsten Mitteln beachtlichen Zauber. Ein Einheits-Bühnenbild mit gemaltem Wald-Prospekt im Hintergrund beherbergt Elternhaus, Lichtung und Hexenheim, die Lichtregie sorgt für die entsprechenden Tageszeiten- und damit einhergehenden Stimmungswechsel. Auch die Personenregie ist einfach, aber durchaus wirkungsvoll, etwa wenn sich beim feierlichen Abendsegen die Englein nach und nach einfinden, um die Geschwister im Schlaf zu beschützen. Nicht wie überirdische Erscheinungen, sondern eher als Spielkameraden aus Fleisch und Blut, die wieder zusammenkommen – es wird mitunter getrödelt, man freut und herzt sich, über allem schwebt eine Aura der Unschuld und Güte, wie sie auch die zutiefst berührende Musik verströmt.

Generell hält die Partitur neben diesem untrüglichen Höhepunkt und den eingängigen, volksliedhaften Passagen diverse farbige Stimmungsbilder bereit, beispielsweise die triumphartige Rückkehr des erfolgreichen Vaters, die düstere Hexenerzählung, die Illustration des dunklen Waldes, die vom Mondschein illuminierte Lichtung, in Kontrast dazu den sonnigen, taubenetzten Morgen (Ich höre die Meistersinger in Miniatur). Im Vergleich dazu hat mich die Umsetzung der Hexensphäre ein wenig enttäuscht. Mag sein, dass man in einer als Kinderoper deklarierten Arbeit nicht unbedingt mit bizarren Krassheiten eines Berliozschen Hexensabbats rechnen sollte, dennoch hätte ich mir die Ereignisse um das Pfefferkuchenhaus doch etwas dämonischer vertont gewünscht. So plätschert die bekannte Mär dahin und nimmt schließlich in einem Jubelfinale sein gutes Ende, das seinen Zweck erfüllt, jedoch in meinen Ohren weit von der inspirierten Qualität des Abendsegen-Finales entfernt ist.

Selbige wurde von Philharmonikern (ich wusste gar nicht, dass die Opernpartnerschaft auch den Tausch der Orchester zwischen den Spielstätten beinhaltet) und Generalmusikdirektor wunderbar umgesetzt – insbesondere der Streicherklang überzeugte. Das Sängerensemble komplettierte mit ausgewogenen Stimmen die musikalische Klasse des Abends. Was bleibt, ist ein wenig Verwunderung darüber, dass diese bemerkenswerte, aber eben auch bemerkenswert komplexe Musik in einer Kinderoper Verwendung fand – es erfordert schon einiges an Konzentration, den großen Bögen der Partitur zu folgen. Aber vielleicht liegt gerade hierin das Geheimnis des anhaltenden Erfolges dieses Stückes begründet: Eine märchenhafte Musik für Erwachsene mit einigen eingebauten Ohrwürmern für die Zöglinge in einem Märchen für große und kleine Kinder. Gar nicht mal so dumm, Herr Humperdinck!


Hänsel und Gretel – Engelbert Humperdinck
Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – nach Andreas Meyer-Hanno
Szenische Neueinstudierung – Esther Mertel
Bühne – Gerda Zientek
Kostüme – Inge Diettrich
Kinderchor – Mathias Staut
Spielleitung – Esther Mertel

Hänsel – Maria Kataeva
Gretel – Heidi Elisabeth Meier
Gertrud – Romana Noack
Peter – Anooshah Golesorkhi
Hexe – Morenike Fadayomi
Sandmännchen – Maria Boiko
Taumännchen – Dimitra Kotidou

Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor
Duisburger Philharmoniker