31. August 2017

Anima Eterna Brugge – Jos van Immerseel.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Ebene 15, Bereich N, Reihe 2, Platz 28



„The Gershwin Project“

George Gershwin –
Rhapsody in Blue (Frank Braley – Klavier)
Ein Amerikaner in Paris

(Pause)

Catfish Row / Suite aus Porgy and Bess
The Man I Love / aus: Lady, Be Good!
I Got Rhythm / aus: Girl Crazy
My Man’s Gone Now / aus: Porgy and Bess
By Strauß / aus: The Show is On
Zugabe: Summertime / aus: Porgy and Bess
(Yeree Suh – Sopran)



Irgendwie wollte der Funke heute nicht überspringen. Gershwin im Altersheim ist offenbar doch nicht so ne gute Kombi. Zumindest nicht, wenn er derart harmlos und behäbig dargeboten wird, wie durch den James Last von Antwerpen, Jos van Immerseel. Die Begeisterung hielt sich auf meiner Seite und im Saal insgesamt in Grenzen. Dabei machte das Publikum einen ähnlich ungeschulten Eindruck wie gestern, und ich hätte gedacht, dass die Mischung aus Blankoscheck-Busladungen und anderen Gelegenheitsbesuchern das überaus massentaugliche Angebot mit so viel „richtiger“ Musik heute dankbarer aufnehmen würde als das gestrige. Erst als mit der Sopranistin zum Finale ein neuer, optischer Reiz ins Spiel kam – am Gesang kann es wahrlich nicht gelegen haben – geriet man etwas mehr in Wallung.

Aber der Reihe nach, (mangelnde) Wallung ist schon das richtige Stichwort. Schwammige Rubato-Allüren und andere unmotivierte, teils regelrecht energiesaugende, flussverhindernde Tempowechsel, die zusammen mit einer verblüffend ungroovigen Lesart selbst aus der an sich unverwüstlichen Rhapsodie eine langatmige Angelegenheit machten, ließen die Verweildauer des Amerikaners in der französischen Kapitale doch arg geduldstrapazierend wirken. Dabei hatte ich mich gerade auf diese nette sinfonische Dichtung mit Autohupenbegleitung gefreut – Pustekuchen. Viel zu wenig Kante und Drive, dafür viel zu viel Akademisches und Gedeckeltes. Jazz im Schlafrock – die Oberstufen-AG möchte ihre Interpretation wiederhaben. Wenn man es sehr gnädig betrachtet, könnte man sicher von Understatement und elegantem Zugang fabulieren, ich fand es einfach einlullend und beliebig.

Dabei ist das Orchester in Ordnung, der Klang tadellos, die Technik trotz angezogener Handbremse gegeben, einzig der erste Teil des Trompetensolos im Amerikaner in Paris ging komplett daneben. Der Pianist der Rhapsodie tat sein Bestes, überhaupt sorgten Einzelleistungen der Musiker für klangliche Oasen in der interpretatorischen Wüste. Immer wieder waren es vor allem die Holzbläser, die daran erinnerten, welch tolle Kompositionen hier verheizt wurden, beispielhaft die Klarinette der Rhapsodie oder das einfühlsame Solo des Englischhorns im Parisurlaub. Die Verwendung historischer, bzw. zeittypischer Instrumente hatte im Erleben der „Exoten“ wie Sousaphon oder einem Steinway von 1906 eine gewisse museale Attraktion, die überschaubare Besetzung, insbesondere der Streicher, scheint ebenfalls diesem Authentizitätsanspruch geschuldet. Für meinen Teil bleibt die historische Aufführungspraxis jedoch eine Nische, in die ich nur dann und wann der Vollständigkeit halber einen Blick werfen möchte.

Nach der Pause nahm das Trauerspiel unverändert seinen Lauf. Die Suite aus Porgy ans Bess scheint ein ziemlich packender Querschnitt der Oper zu sein – der ebenfalls wirkungslos an mir vorbeizog. Den Tiefpunkt des Abends markierte dann das Zusammenwirken mit Frau Yeree Suh. Hatte ich mir zuvor schon die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, welches Instrument denn bitte mit der rings um die Bühne angeordneten Lautsprecheranlage der Verstärkung bedürfe, gaben die ersten Töne aus dem Munde der Sopranistin darüber bitteren Aufschluss. Das heißt, vielmehr das, was man NICHT zu hören vermochte. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine kleinere Stimme in einem Saal dieser Größenordnung (fast) gehört zu haben. Blöd dann auch, wenn die Verstärker-Anlage nicht funktioniert, oder deutlich zu subtil eingestellt ist. Das war schon nicht ohne unfreiwillige Komik, einen bekannten Gassenhauser wie „I Got Rhythm“ quasi als Karaokeversion dargeboten zu bekommen. Hat sich aber niemand dazu hinreißen lassen, mitzuträllern. Beim dritten Lied war die Sängerin sogar plötzlich etwas lauter zu vernehmen, mit dem Ergebnis eines grundweg unnatürlichen Konservenklangs. Dann doch lieber den Stecker ziehen und sich das Volumen dazudenken.

An die alternative Erklärung, dass es nicht an der Künstlerin selbst – welche stimmgewichtig dem Barockfach zuzueignen ist – sondern dem Saal bzw. akustischen Unwägbarkeiten lag, mag ich angesichts einer zum Teil aus der hinterletzten Ecke ohne jegliche Einschränkung erlebten „Ariodante“ (Link) nicht so recht glauben. Der Fairness halber sei aber gesagt, dass ich über die eigentliche stimmliche Qualität der Sängerin kaum etwas sagen kann – dazu hätte es mehr als nur die vage Ahnung von Timbre, Charakter etc. bedurft. Am Ende reichte die Ökonomie des Vortrags sogar noch für eine Zugabe: Summertime, zuvor schon in der Suite gehört, nun mit untermotorisierter Stimme ein zweites Mal. Und so einfach geht das mit der Begeisterung der Ahnungslosen – was Nettes, Bekanntes aus dem Munde einer adretten Dame und man kann mit Fug und Recht auf dem Heimweg konstatieren: „Schön war’s!“ Ganz, ganz toll.

Fun fact: Beim Rausstürmen aus den Katakomben der Elbphilharmonie ins Dunkel hätte ich fast Herrn Toyota über den Haufen gerannt. Vielleicht wäre es ihm möglich gewesen, meine Stimmchen-Verstimmung aus Akustikersicht zu erhellen, aber die Zeit wird ohnehin zeigen, ob heute nur ein bedauerlicher Ausrutscher war.