20:00 Uhr, Ebene 12 B, Reihe 13, Platz 3
Werke von Danny Elfman:
Serenada Schizophrana, "I forget"
Konzert für Violine und Orchester "Eleven Eleven"
(Sandy Cameron – Violine)
(Pause)
Batman, Suite
Alice in Wonderland, Suite
Edward Scissorhands, Suite
Zugaben:
The Simpsons, Theme
The Nightmare before Christmas, "What's This?"
(Danny Elfman – Gesang)
Czech National Symphony Orchestra
The CNSO Mixed Choir
John Mauceri – Dirigent und Moderation
Sandy Cameron – Violine
Fabian Winkelmaier – Knabensopran
Danny Elfman – Special Appearance
"Das klingt ja wie Filmmusik." – Dieser (dumme) Spruch, den Klassik-Traditionalisten gern verwenden, um Werke abzuqualifizieren, deren Faktur ihnen zu eingängig oder anderweitig suspekt erscheint, hätte heute zur Abwechslung mal richtig Sinn ergeben. Nicht als Verdikt gegen diese Kunstform, sondern im Gegenteil als Ausdruck der Überraschung, was dabei herauskommen kann, wenn ein Filmkomponist sein angestammtes Terrain verlässt, um sich in anderen Formen auszutoben, ohne dabei jedoch seine ureigene Klangsprache aufzugeben.
In einem Violinkonzert zum Beispiel. Wobei es sich bei Elfmans erstem Werk dieser Gattung, wie der als überaus charmanter Moderator durch das Programm führende Dirigent John Mauceri bereits feststellte, mehr um eine Sinfonie handelt. Ganz klassisch mit vier Sätzen – einem ausladenden Kopfsatz, der eher rhapsodischen Charakters zu sein scheint, einem Scherzo, einem Adagio und schließlich einem Allegro-Finale. Nur eben, dass der virtuose Violinpart ein ebenbürtiges Gegengewicht zum spät-spät-romantischen Treiben des Orchesters in Strauss- oder Schostakowitsch-Stärke darstellt.
Schostakowitsch ist schon gleich ein gutes Stichwort, denn der Abend brachte einige spannende Erkenntnisse über Elfman und seine kompositorischen Wurzeln, die mir ungeachtet der Tatsache, dass mir viele seiner Scores vertraut sind, bislang nie in den Sinn gekommen waren. Um das gleich klarzustellen: Elfman ist sicher kein Schostakowitsch-Epigone. Das oft bemühte Vorurteil gegenüber Filmkomponisten, die sich dreist und 1:1 aus der hehren Klassik bedienten, langweilt mich zutiefst und verhöhnt die zum Teil großartigen Werke, die für den Film entstanden sind und weiter entstehen. So wie weder ein Beethoven, Wagner oder eben Schostakowitsch musikalisch gesehen vom Himmel gefallen sind und ihr Schaffen auf zuvor Geschaffenem basiert, sollte man auch Filmkomponisten diese Verlinkung zur Musiktradition zugestehen.
Elfman ist vor allem bekannt für seinen "schrägen" Stil, der immer wieder eine Atmosphäre des Verwunschenen, Dämonischen oder Zauberhaften evoziert. Der Einsatz von "sakral" anmutenden, meist wortlosen Chören ist beispielsweise ein prägnantes, wiederkehrendes Mittel dafür. Die Einbindung des Knabensoprans ist eine weitere Spielart, das Überirdisch-Entrückte zu betonen. Der heute erlebte Elfman im symphonischen Gewand ließ jedoch über die bekannten Kniffe hinaus durch die größere formale Nähe zur Klassik interessante Bezugspunkte zu Tage treten. Schostakowitsch, aber auch Prokofjew, als wichtige Vorbilder für Elfman, sind vor allem in jener Form der "Skurrilität" spürbar, für die der Filmkomponist so geliebt wird. Der Furor des Violinkonzert-Scherzo beispielsweise wartet mit derlei Reminiszenzen auf, das Überbordende, nahezu Gewaltsame. Die andere Form der Präsentation öffnete nun die Ohren auch für ähnliche Passagen in eigentlich wohlbekannten Elfman-Stücken – von der verzerrten Drehorgelmusik aus "Batman" ist es nicht weit zu so mancher Stelle bei den russischen Groß-Sinfonikern.
Wie gesagt, es geht dabei weniger um das persönliche Idiom, sondern um bestimmte stilistische Mittel, die bei Elfman jedoch in ganz anderem Zusammenhang wirken. Oder schauen wir uns die Instrumentation an. Die große Palette an Schlagwerk, bei der Xylophon, Vibraphon oder Glockenspiel gern solistisch verwendet werden, ist eine weitere Parallele. Oder der innige, klagende Ton der breiten Streicherflächen des Adagio, auch hier mag Schostakowitsch Pate gestanden haben. Das wichtigste bei all dieser, mir zugegebenermaßen viel Freude bereitenden, Erbsenzählerei ist jedoch, dass Elfman in der Summe der Teile der originäre Künstler bleibt, dessen Nische in Hollywood wirklich seines Gleichen sucht. Diesen Herrn heute einmal live erleben zu dürfen, stellt ebenfalls etwas ganz Besonderes für mich da.
Ich hatte das Glück, in direkter Sichtachse auf den Komponisten Platz genommen zu haben. Das Schauspiel, wie intensiv Elfman gerade mit seinen Nicht-Filmmusik-Arbeiten mitging, ließ mich ebenso schmunzeln wie die Leidenschaft des Musikers bewundern. Da wurde mit gefalteten Händen der Takt mitgeknetet, mit winzigen Gesten dirigiert, mit dem Kopf gewipppt, als könne er es kaum aushalten, hier andächtig seinen eigenen Schöpfungen zu lauschen, ja ließ sich gar dazu hinreißen, eine kurze Passage mit dem Handy mitzufilmen – tse, tse, tse. Während Edward Scissorhands eilte Elfman zweimal an das Mischpult hinter ihm, um die Techniker auf etwas aufmerksam zu machen, dass aus seiner Sicht offenbar umgehend der Anpassung bedurfte. Ich glaube, es ging um die verstärkten Synthieklänge, die im Zusammenspiel mit der in diese Suite nachträglich eingefügten Soloviolin-Passage wohl etwas dominant rüberkamen.
Wo wir bei der Solovioline sind, bzw. der wahrlich zauberhaften Erscheinung, die jene auf so beeindruckende Art führte – ich kann schon verstehen, warum Elfman sein Violinkonzert für Sandy Cameron geschrieben und es ihr gewidmet hat. Der Name sagte mir rein gar nichts, im üblichen Klassikbetrieb ist mir die Dame noch nicht begegnet. Ungeachtet ihres auch optisch durchaus virtuos angelegten Auftritts zwischen Elfe in Samt und tasmanischem Teufel in Lack und Leder, sind ihre technischen Fähigkeiten über jeden Zweifel erhaben. Ein gutes Maß Hollywood-Show sicher, aber gleichsam atemberaubende Brillanz, wie sie mitreißender nicht sein könnte, gepaart mit Einfühlungsvermögen und der Gabe zu beseelter Lyrik. Wie auch die Musik, die Cameron darbot, eine regelrechte Explosion der Kontraste.
Nach den drei Filmmusiksuiten nach der Pause, von denen insbesondere "Batman" das gesamte Instrumentationsgeschick des Komponisten ausrollte, gab es noch zwei kleine Zugaben: Erst einmal das wohl bekannteste Thema aus der Feder Elfmans, die Titelmelodie zu den "Simpsons" in einer erweiterten Fassung mit pointiert-witzigem Intro. Zu guter Letzt trat "Danny", wie ihn John Mauceri liebevoll nennt, selbst auf die Bühne der Elbphilharmonie – zeigte sich begeistert ob des Baus, dankbar für die Einladung und verabschiedete ein tosendes Publikum mit dem Song "What's This?" aus "The Nightmare before Christmas", bei dem er der Figur des Jack Skellington seine Stimme leiht.
Fazit: Elfman in Hamburg – weit mehr als das erwartete Score-Potpourri, ein faszinierender Abend.