19:30 Uhr, Reihe 18, Platz 17
Henry Purcell – Fantasia à 4 Nr. 10
Henry Purcell / Benjamin Britten – aus The Fairy Queen:
Sweeter than Roses / Hark the ech’ing air
Henry Purcell – Fantasia à 4 Nr. 11
Henry Purcell – O let me weep
Benjamin Britten – Lachrymae. Reflections on a song of Downland
(Pause)
Thomas Larcher – Still (für Viola und Kammerorchester)
Benjamin Britten – Les Illuminations op. 18
(Tabea Zimmermann – Viola und Leitung, Robin Johannsen – Sopran, Ensemble Resonanz)
Zur Einstimmung in die neue Saison wurde eine kleine Begrüßungsrede gehalten. Interessante Info dabei: man hat die Saalakustik überarbeitet – die abgeschrägten Paneele an der Seitenwand ziehen sich jetzt bis ganz nach hinten durch. Auf diese Weise sei der Klang noch einmal verbessert worden. Um meinen persönlichen Eindruck vorwegzunehmen: ich glaube nicht, dass mir ein Unterschied aufgefallen wäre, wenn man mich nicht darauf hingewiesen hätte. Dafür hätte ich im kleinen Saal mehr Konzerten mit vergleichbarer Besetzung beiwohnen müssen.
Aber Modifikation hin oder her, es klingt weiterhin vorzüglich hier, soviel ist sicher. Ich hatte mich diesmal absichtlich einige Reihen weiter hinten positioniert (zuvor saß ich zweimal in Reihe 9), und auch von der Saalmitte aus sorgt die Akustik für ein sehr präsentes Erlebnis. Selbst bei der Mini-Besetzung der Purcell-Fantasien, technisch gesehen ein Streichquartett, füllen die vier Musiker den Raum mit Wohlklang. Die Laute kommt ebenfalls gut rüber, wenngleich ihr Einsatz eher zurückhaltend, unterstützend angelegt ist. Klavier und Stimme scheinen sich etwas dezenter zu übertragen als die Streicher, der Flügel klang vielleicht eine Spur trocken, aber das ist wirklich die Suche nach dem Haar in der Suppe. Die verschiedenen Preiskategorien bestehen schließlich nicht ohne Grund. Ich denke, irgendwo um die zehnte Reihe herum befindet sich mein potenzieller Lieblingsplatz.
Purcell kann ich mir gut anhören, ob instrumental oder mit Gesang. Frau Johannsen mit wunderbar lyrischem, aber etwas kühlem, nicht unbedingt sinnlichem Sopran. Als sich dann mitten im „O let me weep“ scheinbar Schnarchgeräusche laut vernehmbar in den Vortrag mischten, führte dies zuerst zu Irritation, dann aber schnell zu einem spontanen Rettungseinsatz durch einige Konzertbesucher, als klar wurde, dass hier jemand gerade einen Kreislaufkollaps oder ähnliches erleidet. Während die Musiker auf der Bühne den Trauergesang weiterführten, wurde der Herr aus dem Saal getragen – eine bizarre Aktualisierung des programmgebenden Vanitas-Gedankens.
Brittens Lachrymae ist der Wahnsinn – heute dargeboten in einer Wahnsinnsinterpretation. Tabea Zimmermann: ein Ereignis. Samtigst bis knorrig, zartest bis ruppig – Kontraste pur. Das überschaubare Streicherensemble insgesamt entwickelt teilweise ein Mordsvolumen, die zwei Bässe wummsen richtig. Und was für ein Stück. Britten liegen einfach Variationsgeschichten, ob einzelner Satz wie die Grimes-Passacaglia oder ganzes Konzert wie jenes für die linke Hand oder eben das heute dargebotene Werk. Welches ich gar nicht als Bratschenkonzert abgespeichert hatte, wahrscheinlich, weil ich es in einer Transkription für Viola und Harfe kennengelernt habe. Doch unabhängig der Gewandung – dieser Ideenreichtum, dieses Kaleidoskop der Möglichkeiten, das schließlich in den reinen, warmen Lichtstrahl des Urthemas mündet. Leider sind die Hörer hier nicht ganz so konzentriert wie beim Purcell. Unter Umständen Nachwirkungen des Zwischenfalls. Zu allem Übel dazu noch ein Handy-Dummbatz, der in das Verklingen des Stückes hineindeppt. Erst mal Pause zum Verdauen.
Thomas Larcher ist super! Nach dem Konzertstück mit dem SOdBR (Link) nun der nächste Knaller. Den Mann sollte man definitiv auf dem Zettel haben. Wer Britten und Schostakowitsch liebt, muss das einfach mögen. Der Herzschlag, das Ticken einer Uhr, ein Puls, die Zeit, Fließen, sich Aufstauen, Stillstand. Zimmermann und das Ensemble göttlich in ihrer Vehemenz und Sensibilität. Larcher: (Auch) tonal aber nicht banal – Mehr davon!
Les Illuminations hatte ich bislang immer nur mit Tenören gehört, ob live oder aus der Konserve. Meine heutige Premiere mit einem Sopran als stimmlicher Lotse durch Rimbauds Welt vertiefte einmal mehr meine Liebe zu diesem Komponisten. Und unabhängig davon, dass der Liedzyklus trotz aller Pears-Prägung auch in dieser Gestalt nichts von seiner magischen Wirkung einbüßt, musste ich parallel mein gespaltenes Urteil über Frau Johannsen revidieren, die sich mit illustrativ-überbordendem Verve als wahre Sängerdarstellerin erwies. Kontraste zogen sich als eine Art roter Faden durch den Abend, Kontraste auch hier. Von den nervösen, grell-grotesken Zügen gezackter Figuren und harmonischen Hakenschlagens zu den breit strömenden, somnambulen Wellen, wie sie das Werk beschließen, hat Britten jene besondere Parade, die der Dichter evoziert, kongenial mit Tönen begleitet. Wie schön, dass der kostbare Schlüssel dazu, den Rimbaud erwähnt, von solch ausgezeichneten Vermittlern wie dem Ensemble Resonanz und seinen Gästen in unsere schaulustigen Hände übertragen wurde.