25. September 2017

Philharmonia Orchestra – Esa-Pekka Salonen.
Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Einführung, 20:00 Uhr, Ebene 12 D, Reihe 3, Platz 4



Kaija Saariaho – Lumière et pesanteur
Jean Sibelius – Sinfonie Nr. 6 d-Moll op. 104

(Pause)

Sergej Prokofjew – Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19 (Pekka Kuusisto – Violine)
Zugabe: Glastanz?
Jean Sibelius – Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 105
Zugabe: Jean Sibelius – Valse triste op. 44



Dass sich der Besuch des hochgeschätzten Philharmonia Orchestra aus London als weiteres Weltklasse-Konzert in meinen noch jungen Abo-Annalen an diesem Ort verewigen würde, hatte ich insgeheim gehofft. Dass ich heute allerdings in gewisser Weise eine akustische Neubewertung meines Platzes erfahren würde, hätte ich sicher nicht erwartet. Ohne Zweifel bleibt 13 E das Maß der Dinge, aber von all dem, was ich teilweise bei den vorangegangenen Visiten auf 12 D an scheinbar zu akzeptierenden Nachteilen des geringeren Abstands zur Bühne ausgemacht hatte, war heute rein gar nichts zu spüren. Keine Spur von Unausgewogenheit oder gar Schärfe, geriet die Veranstaltung zur Demonstration von Präsenz bei gleichzeitiger Homogenität im Klang. Und ich glaube kaum, dass es auf anderen Plätzen schlechter geklungen haben wird. Keine Patzer, ja nicht einmal unschöne Ansätze, welche die ach so „unerbittliche“ Saalakustik unters Brennglas gezerrt hätte. Stattdessen eine Form technischer und vor allem klanglicher Perfektion, deren Aura der Selbstverständlichkeit sprachlos macht.

Was für ein Streicherklang – mir war nicht bewusst, dass sich Samt so fein weben lässt. Und auf der anderen Seite diese Strahlkraft, welche die Violinen zur Entfaltung bringen. Keine Orchestergruppe, die sich nicht dem Grundsatz der Makellosigkeit verschrieben hätte. Gepaart mit dem Willen und der Fähigkeit Salonens, Klang wirklich zu formen, zu gestalten, wird Sibelius zur Offenbarung. Die Kunst des Übergangs. Nicht die des unmerklichen, suggestiven wie bei Wagner, sondern die offen bestaunbare Transformation klanglicher Aggregatszustände im Fluß motivischer Arbeit. Und hier und heute wurde mit einer Perfektion, Eleganz, Konsequenz und Intensität transformiert, wie es das gleichzeitig herbe und herzenswarme Gewebe Sibelius´ nur verdient hat. Salonen kombiniert eine extrem organische, stetig fließende Geschlossenheit mit einem Höchstmaß an Fokus und Konzentration. Straffe Tempi in den schnelleren Passagen, schneidig vorgetragen, betonen die Kontraste zum breiten Atem sich erhaben ausschwingender Steigerungen. Allein das Finale der Siebten dürfte in seiner hymnischen Sogwirkung kaum zu überbieten sein. Ich liebe diese Musik und bin sehr dankbar, sie heute wieder einmal fern der Komfortzone heimatlicher Referenzaufnahmenhuldigung live in Vollendung genossen zu haben.

Gehören Sibelius Sinfonien zu meinem Leib- und Magen-Repertoire wie Mahler oder Britten, stellt das Violinkonzert von Prokofjew für mich eine Erstbegegnung dar, zumindest bewusst, so dass es mir hier nicht möglich war, Vergleiche mit anderen Interpreten und Interpretationen anzustellen. Ungeachtet dessen ist Prokofjew bei mir untrüglich positiv abgespeichert. Romeo und Julia, Alexander Newski oder beispielsweise die 5. Sinfonie – alles ausgesprochene Lieblingswerke. Das Violinkonzert mag aus einer früheren Schaffensphase stammen, Prokofjews melodiöser und harmonischer Reichtum blitzt jedoch bereits in diesem auf den ersten Blick ziemlich nervös-expressiven, schroffen Werk immer wieder auf. Zuerst wusste ich nicht so recht, was ich vom Solisten des Abends halten sollte, schien mir Kuusistos Spiel zwar wunderbar energiegeladen, im positiven Sinne übermütig, aber in der Intonation hier und da seltsam unsauber, ja fast schlampig. Zweifel an den Fähigkeiten des Finnen räumte dieser allerdings spätestens mit der unbeschreiblich zart, kristallklar und innig vorgetragenen, volksliedartigen Zugabe ("Glastanz"?) aus, bei der er, den Rhythmus stampfend, von zuvor zum Summen animierten Orchestermitgliedern begleitet wurde.

Salonens Zugabe wiederum, der Valse triste von Sibelius, lotete noch einmal die akustischen Möglichkeiten des Saales bis an die Grenzen des Vernehmbaren aus. "Es klingt so schön, hier leise zu spielen", schwärmte der Dirigent bei der Anmoderation – erst recht, wenn man solche Streicher im Gepäck hat. Halt, fast hätte ich den Beginn des Konzerts unterschlagen: Das Stück Lumière et pesanteur der ebenfalls finnischen Komponistin Kaija Saariaho, eine kurze, intrumentale Kostprobe aus ihrem Oratorium "La Passion de Simone" über die Philosophin und Aktivistin Simone Weil. Für mich der perfekte Einstieg in einen Abend faszinierender Klang-Gestaltung, darüber hinaus eine Musik, die in ihrer Schaffung von Atmosphäre und Stimmungen unmittelbar vertraut wirkt.

Fazit: Die Kombination Philharmonia/Salonen erweist sich erneut als Traumkonstellation, die keine Wünsche offen lässt. Mehr geht nicht.