18. Januar 2018

NDR Elbphilharmonie Orchester – Christoph Eschenbach.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 15, Bereich M, Reihe 2, Platz 7



Franz Schubert – Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759 „Unvollendete“

(Pause)

Paul Hindemith – When Lilacs Last in the Door-Yard Bloom’d / A Requiem „For those we love“

(Gerhild Romberger – Alt, Matthias Goerne – Bariton, RIAS Kammerchor, NDR Chor)


Gerade mal drei Tage nach der ersten Vollendung der Unvollendeten in diesem Saal nun die zweite Auflage. Auf Sir Simon als designierter Chef des LSO folgt der geschätzte Christoph Eschenbach mit seinen ehemaligen Kollegen vom NDR. Leise Töne mögen sie beide, beziehungsweise ist der Hang zu Streicherflächen an der Grenze des Mach- und Wahrnehmbaren heute wie bereits Montag offenkundig. Es ist ein bisschen gemein, dass die Londoner derart entrückt vorgelegt haben, ansonsten hätte mich der sensible Auftritt der Hanseaten wahrscheinlich noch viel mehr beeindruckt. Am Ende geht das imaginierte Duell weniger aufgrund der unvergleichlichen Akustik auf meinem Lieblingsplatz, oder die nicht von der Hand zu weisende Klanggüte der Briten, denn vielmehr Kraft der zwingenderen Interpretation Rattles zu Gunsten der Erstlieferanten aus.

Eschenbach geht den Schubert ziemlich breit und getragen an, mit Pathos und Weihe, aber hier und da auch etwas schleppend. Zwar war Rattle ebenfalls nicht mit Raketenantrieb unterwegs, aber bei den Londonern gelang das Kontrastverhältnis bei Dynamik und Ausdruck zwingender. So waren mir heute die Fortissimo-Ausbrüche im ersten Satz nach den leisen Plateaus nicht knackig genug, anders gerieten die Holzbläsereinsätze nach den fließend-zarten Streicherpassagen zu irdisch, in jedem Fall zu laut. Dennoch braucht sich die Leistung des NDR insgesamt nicht zu verstecken, vor allem die Streicher klingen edel, der Gesamteindruck ist geprägt durch Transparenz und differenziertes Spiel.

Nach der Pause folgt mit dem Hindemith-Requiem eines jener kaum gespielten Riesenwerke, das angesichts seiner Abstinenz in den Konzertprogrammen bei der ersten Begegnung selbst glühende Verehrer des Komponisten wie mich leicht überfordert, dessen Reichtum und Gehalt jedoch ebenso deutlich anklingt. Typisch Hindemith, kommt es mir immer wieder in den Sinn, klangliche Parallelen zum Mathis oder anderen Schöpfungen stellen sich ein. Dazu ungewöhnliches wie ein Fernorchester, in dem jenes bekannte militärische Fanfarenthema intoniert wird, welches man mit Morgenapell, aber auch Begräbnis assoziiert. Immer wieder unterstützt die Orgel den gewaltigen Orchesterapparat, auch die Chorszenen sind von teils infernalischer Wucht.

Wenn es aber richtig emotional ans Eingemachte geht, bleibt Hindemith sich treu: eine einzelne, zarte Soloflöte leitet mit überirdisch schöner Kantilene das transzendierende Moment ein. Wenn man dann noch mit Matthias Goerne den Honigbariton unserer Zeit auf der Bühne weiß, steht der Verklärung nichts mehr im Wege. Was für ein Sänger! Seit ich das erste Mal seine Interpretation diverser Mahler-Lieder auf CD bestaunt hatte, kenne ich kaum eine Stimme, die mehr Charakter, falls erforderlich auch Autorität, aber vor allem Wärme und Seele ausstrahlt. Die Kombination mit Gerhild Romberger ist dabei äußerst gelungen. Ihr fast schon schwarzes Timbre rückt die englisch/amerikanischen Texten teilweise in Richtung Gospel, faszinierend.

Weniger beeindruckend als das Werk schlug heute leider der akustische Eindruck zu Buche. Zwar stellten sich wiederholt bei sehr leisen, intimen Stellen äußerst berührende Momente ein, jedoch gerade die angesprochenen dynamischen Eruptionen verpufften leider weitgehend, was nicht unbedingt an mangelnder Lautstärke lag. Der Chor klirrte, das Blech blieb nackt, seltsam dünn. Gewaltige Kräfte, die sich nicht übertragen wollen. Sicher, man kann auf vielen, womöglich allen Plätzen starke Eindrücke haben, ich für meinen Teil bin allerdings mittlerweile verwöhnt und sehne mich nach dem klanglichen Schoß auf Ebene 13.

Viel härter als diese akustischen Ungereimtheiten wiegt allerdings weiterhin die Ignoranz und Respektlosigkeit so vieler Besucher. Es ist eine Peinlichkeit sonder gleichen für Hamburg, dass es Kohorten von ichbezogenen, kulturlosen Sesselfurzern nicht einmal abwarten können, bis die Künstler, welche sich hier gut zwei Stunden für sie den Arsch abgearbeitet haben, den ersten verdienten Applaus entgegen genommen haben – geschweige denn den paar Minuten Dankesbekundung tatsächlich bis zum Schluß beizuwohnen. Diese Maden kotzen mich an – bei mir bekämen die alle Hausverbot, wenn man nicht glaubhaft einen Infarkt oder ähnliches vorzuweisen hat. Der Atmosphäre kommender Konzerte täte es sicher gut, so oder so.