17. Oktober 2019

NDR Elbphilharmonie Orchester –
Herbert Blomstedt. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 4, Platz 19



Joseph Haydn – Sinfonie D-Dur Hob. I:104 „Londoner“

(Pause)

Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 6 A-Dur



Also bis auf den Klangeffekt, den die tiefen Hörner zu Beginn des Finales in Kombination mit den über sie hinweg tanzenden Figuren der Streicher und Holzbläser schaffen, bietet Haydns Letzte mir leider bitter wenig. Dabei möchte ich diesem Komponisten gern gewogen sein, wo ich mich bei Mozart schon fasst mit meiner Gleichgültigkeit abgefunden habe. Auf theoretischer Basis kann ich durchaus nachvollziehen, wie die Sinfonie von für ihre Zeit sicher interessanten Ideen und Eigenheiten durchzogen ist, die letztlich auch Haydns Handschrift ausmachen. Und wahrscheinlich liegt das Hauptproblem in meiner Aversion gegen diesen spezifisch unbekümmert heiteren Ton, der weite Teile des Werkes dominiert.

So oder so, es hilft nichts – der Einstieg in den Abend gerät heute für mich zur Geduldsprobe. Daran ändert auch Blomstedts Zugang wenig, dem eine frische, durchaus lebendige Sicht auf das Ganze nicht abzusprechen ist. Der NDR klingt von meinem umgetopften Aboplatz aus sehr honorig, wenn auch gelegentlich wahrgenommene oder eingebildete Verschwommenheiten in der Präzision des Zusammenspiels ein wenig das Bild trüben. Randnotiz: Das NDR Abopublikum scheint zum Klischee des Altersdurchschnittes bei klassischen Konzerten noch einmal eine Schippe draufzulegen, oder bilde ich mir das ebenfalls nur ein?

Der erste Satz von Bruckners Sechster geht mehr oder weniger als Gewöhnungsphase für den NDR drauf, dessen Ausbaufähigkeit in Sachen Klang und Technik von diesem schönen Platz tatsächlich noch etwas unschöner zu Tage treten. Spätestens jedoch mit Beginn des wahrlich nichts weniger als himmlisch zu bezeichnenden Adagios übernimmt das Phänomen Blomstedt das Kommando über die Wirksamkeit dieser im allgemeinen Konzertzirkus maßlos unterschätzten Sinfonie.

Wie der Maestro sanft und mit genau dem richtigen Atem das Geflecht tastend, aber unaufhaltsam zur Entfaltung bringt. Es mag nicht Bruckners gewaltigster langsamer Satz sein, aber mit Sicherheit einer seiner schönsten. Allein der Einsatz der Streicher nach der Horngruppe gehört zum Besten aus der Feder des Kathedralen-Sinfonikers, zum Besten überhaupt. Es kommt natürlich heute noch hinzu, dass ich genau dieses Adagio nach Mahlers 9. wirklich gebraucht habe – Trost, ehrlicher, gütiger Trost, nach dem großen Fragezeichen. Aber auch jenseits des Zustandes, der die Zeit anzuhalten scheint, hat Blomstedt heute die richtigen Mittel, mir diese Sinfonie noch einmal mehr als Herz zu legen.

Das Scherzo keck und zackig – einfach das perfekte Timing, ergo eine perfekte Interpretation. Und schließlich der letzte Satz: vielleicht nicht das Überfinale, aber ebenfalls auf seine Art vollkommen. Besonders anrührend dabei für mich die immer wiederkehrenden „Mild und leise“-Zitate – hier jedoch eher Güte und Wärme denn Weltabschied verströmend. Dennoch ein Satz der Brüche, der Vielseitigkeit mit seinen stetigen Stimmungswechseln. In Blomstedt fand sich exakt der richtige Anwalt für diese Musik, das Konzert brachte für mich noch einmal eine (eigentlich peinlich einzugestehende) enorme Aufwertung der Sechsten, die bei mir unsinniger Weise auch immer etwas unter dem Radar lief. Doch wie heißt es so schön: besser spät als nie.