28. April 2012

Die schweigsame Frau – Frank Beermann.
Opernhaus Chemnitz.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 91


















Die schweigsame Frau zählt auf den Spielplänen ja eher zu den Randerscheinungen, spätestens nach diesem Abend fragt man sich verdutzt, was ein Publikum daran abschrecken sollte. Eine eher platte Geschichte? Ein allzu schlichter Humor? Eine naive Figurenzeichnung? Oder doch einfach nur ein Mangel an musikalischem Gehalt? Ich persönlich kann all diesen geläufigen Anklagepunkten kaum bis keine Haltbarkeit bescheinigen, zumindest, bzw. vor allem verglichen mit anderen Werken Strauss’, in denen die Komik ihren Platz gefunden hat. Wie hieß es in der Einführung – „die einzige abendfüllende Komödie von Strauss“. Aha. Und Arabella und der Rosenkavalier sind demnach Trauerspiele? Nein, nein, es gehe um die Art des Humors, lasse ich mich belehren, oder: „so etwas Derbes hätte Hofmannsthal nie geschrieben“. Nun kommen wir der Sache näher. Klar, ein feineres humoristisches Florett, als es beispielsweise in Lerchenaus Subtilitäten oder der feingeistigen „Papa! Papa!“-Episode geschwungen wird, ist natürlich schwer zu schmieden. Schon klar.

Vielleicht habe ich ja ein gestörtes Verhältnis zum Komödiantischen, aber ich kann leider keinen qualitativen Unterschied zwischen diesen zugegebenermaßen verschiedenen Ausprägungen ausmachen. Sehr wohl kann ich jedoch unterscheiden zwischen dem, was mich kalt- oder Augen rollen läßt und jenem, das mir bei Opernbesuchen Vergnügen bereitet. In dieser Einteilung nimmt die schweigsame Frau einen Platz als äußerst bühnenwirksames, herzliches, naiv-heiteres bis tief-nachdenkliches Stück ein – für mich eine phantastische Neuentdeckung. Keine Ahnung, inwiefern das Werk durch Striche gestrafft wurde, zumindest in dieser Präsentation ist mir keine der angeblichen Längen untergekommen – im Gegenteil, der Abend verging wie im Flug, bzw. wie auf einer Fregatte unter vollen Segeln, um im Bild zu bleiben.

Der Charakter des Morosus hat es mir besonders angetan. Neben seinen erwartbaren Griesgrämereien und Wutanfällen sind es gerade die sinnierenden, wehmütigen Momente, die fernab aller Derb- und Plattheiten ein anrührendes Bild des zweifelnden, zwischen Sehnsucht des Einsamen und Resignation des Alters changierenden Seebären zeichnen. Die Parallele zu Hans Sachs ist allzu offensichtlich. Überhaupt sehe ich in dieser Oper viel eher die Nachfolge der Meistersinger, genauer ihrer tiefen Menschlichkeit und Güte, verwirklicht, als im von Strauss selbst dazu proklamierten Rosenkavalier. Nun ja, wahrscheinlich stand für ihn da auch mehr der Aspekt „Festoper“ im Vordergrund.

Zum visuellen und musikalischen Festschmaus geriet in jedem Fall die Premiere in Chemnitz. Das liebevoll gestaltete Bühnenbild – Sir Morosus’ imposantes Anwesen in vielen Details mit Leben und Geschichte füllend, die prachtvollen Kostüme, dazu eine subtile Lichtregie, bereiteten dem Auge das London des 18. Jahrhunderts, das Ohr konnte auf die außergewöhnlich homogene Trias aus Dirigat, Ensemble und Orchester bauen. Hätte man sich denken können, schließlich sind die Leute von cpo ja nicht auf den Kopf gefallen, die glücklicherweise auch diese Produktion auf CD herausbringen werden. Warum eigentlich nicht gleich als DVD-Mitschnitt? Oder ist das in Planung? So oder so wird das Ergebnis den Katalog bereichern.

Frank Beermann und die Robert-Schumann-Philharmonie wissen, wie man aus dem wuselnden Geflecht der Straussschen Musiksprache einen lebendigen Organismus entstehen läßt, mal virtuos, mal kraftstrotzend, mal feinst gesponnen. Lediglich das Blech hat sich heute teilweise unter Wert verkauft, der positive Gesamteindruck wird dadurch aber kaum angekratzt. Die Akustik des Hauses hat mir übrigens gut gefallen, ordentlich Schmackes, prägnantes Schlagwerk.

Zu den Sängern: sicher war Franz Hawlata der unbestrittene „Anker“ der Aufführung, doch mußte er keineswegs allein für den unstrittigen Erfolg einstehen, alle Sängerkollegen bis zur kleinsten Nebenrolle hatten heute daran ihren Anteil. Besonderes Lob verdient vor allem auch die ungemein typgerechte Besetzung aller Rollen. Natürlich hilft es schon mal, wenn man einen Morosus im Arsenal weiß, der stimmlich wie darstellerisch den Laden im Griff hat. Ein Donnerwetter hier, ein versonnener Karpfenblick dort – Hawlata ist einfach ein gewinnender Komödiant, ein Ankommer, dessen Spiel vor purer Herzlichkeit und diebischer Freude nur so platzt. Aber, um die Zweigesichtigkeit des Werkes noch einmal aufzunehmen, er ist eben auch jemand, der im richtigen Moment von Rampensau auf Kontemplation umschalten kann, ohne den Hauch des Peinlichen oder bemüht Altklugen aufkommen zu lassen.

Neben Morosus ist vor allem das junge Paar ein besonderer Glücksgriff. Julia Bauer und Bernhard Berchtold folgen dabei einfach dem Weg, den Hawlata ihnen vorausgegangen ist – als Sympathieträger. Erfrischende Darsteller mit wunderbaren Stimmen. Sympathie ist generell vielleicht das Schlagwort des Abends. Der Sänger des Barbiers, offenbar ein lokaler Liebling, stand gewissermaßen der Riege an Ensemblemitgliedern vor, die allesamt durch ihr Engagement zu überzeugen wußten. Ein weiterer Pluspunkt: Die enorme Textverständlichkeit, die sich durch die ganze Aufführung sowie die meisten Stimmen zog und die Aufnahme ungemein erleichterte.

Fazit: ein unterschätztes Werk wurde durch vorbildhafte Arbeit zum Leuchten gebracht.


Richard Strauss – Die schweigsame Frau
Musikalische Leitung – Frank Beermann
Inszenierung – Gerd Heinz
Bühne – Rudolf Rischer
Kostüme – Kersten Paulsen

Sir Morosus – Franz Hawlata
Seine Haushälterin – Monika Straube
Der Barbier – Andreas Kindschuh
Henry Morosus – Bernhard Berchtold
Aminta – Julia Bauer
Isotta – Guibee Yang
Carlotta – Tiina Penttinen
Morbio – Matthias Winter
Vanuzzi – Kouta Räsänen
Farfallo – Martin Gäbler

Robert-Schumann-Philharmonie