19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 7, Platz 22
Aus einer Vielzahl an Gründen hatte ich mich auf diesen Abend gefreut: Ein Wiederhören mit dem Werk, daß mich in der Bremer Aufführung so positiv überrascht hatte, eine Inszenierung, die den Pressefotos nach Spannendes (oder zumindest Spannungen) verhieß, dazu die bewunderte Manuela Uhl als Irene und mit Torsten Kerl die Schließung einer Sänger-Bildungslücke. Abgehärtet durch die kürzliche Berliner Absagenorgie traf mich die Nachricht seines heutigen Stummbleibens dann auch nur mit gedämpftem Enttäuschen. Andreas Schager, der stimmliche Ersatztribun, war mir, ebenso wie offenbar den meisten Foyerstirnrunzlern, kein Begriff – Ein Umstand, den der Sänger selbst in den folgenden Stunden aufs Eindrucksvollste korrigierte.
Ich habe selten erlebt, daß ein Sänger beim Schlußapplaus derart frenetisch bejubelt wurde, regelrecht in eine Wand übersteuernden Bravo-Gebells lief – ohne daß man dabei von einer übertriebenen Reaktion hätte sprechen können. Gleich mit Schagers erstem Auftritt wich die Ungewißheit der Erkenntnis, daß hier kein verschämter Ersatz, sondern ein stimmliches Schwergewicht gefunden war. Einfach kompromisslos den Abend durchgerockt, mit einer Stimme, die nicht allein dynamisch, sondern auch bezüglich Stimmcharakter, Ausdruck und Klangfarbe das Ideal eines Heldentenors bot. Und wer dem berühmten Gebet nach all den Stahl-Strapazen dann durchaus noch Momente lyrischer Phrasierung abzuringen gewillt und (zumindest unter Berücksichtigung des Vorangegangenen) im Stande ist, dem kann man nach dieser Leistung nur ehrlich dazu gratulieren, eine große Gelegenheit in perfekter Weise genutzt zu haben. Ich wäre mehr als verwundert, wenn dieser Auftritt für Herrn Schagers Werdegang folgenlos bliebe.
Das Gesamtpaket des Abends stand dann jedoch hinter meinen Erwartungen zurück, ohne daß ich es groß an Einzelheiten festmachen könnte. An Manuela Uhl als Irene hat es sicher nicht gelegen. Ihre Stimme und Erscheinung verzaubern mich jedesmal aufs Neue. Für meine Ohren nach wie vor die beste Kombination aus sinnlich-üppiger Dramatik und scheu-zarter Lyrik, gepaart mit nahezu hypnotischer Bühnenpräsenz. Leider kam es heute viel zu selten zu diesen Augenblicken, zu sehr ist die Inszenierung auf die One Man Show des Rienzi fixiert. Torsten Kerl hat sichtlich Spaß daran, das Diktator-Konzentrat zu mimen, ein Hans Dampf in allen Gassen, um den sich alles dreht – konzeptionell, visuell, dramaturgisch.
Das macht zum einen den großen Reiz dieser ästhetisch ultrakonsequenten Inszenierung aus, läßt jedoch – vor allem auch durch die Eindampfung auf etwa zweieinhalb Stunden – ein dramaturgisches Einbahnstraßengefühl aufkommen, daß die schubhaften Entwicklungen des Handlungsverlaufs irgendwie glattbügelt. Gewissermaßen ein Aufstieg und Fall auf der Überholspur, keine Kette aus Verschärfung und zwischenzeitlicher Mäßigung, die die finale Katastrophe (oder eben Befreiung) als letzte Welle eines sich stetigen Aufschaukelns zeigt. So wirkte das Werk an sich in der längeren, durch zwei Pausen getrennten Bremer Darbietung auf mich trotz dieses Mehr an Materials deutlich packender, involvierender – letztlich „kurzweiliger“ als hier in Berlin. Die Zeit verging damals im Fluge, hier ertappte ich mich seltsamerweise immer wieder bei dem Gedanken, ob das musikalisch (!) alles überhaupt seine Berechtigung habe. Verknappung ist in diesem Fall also nicht immer gleich Verdichtung, eine ausgewogene Struktur ist keine Frage von Ausdehnung.
Trotz allem macht es Spaß, Torsten Kerl bei seiner Mussolini-Hitler-Persiflage zu erleben – auch er findet sichtlich Gefallen am Knallchargentum, das den „Großen Diktator“ letztendlich nie ohne ironische Brechung agieren läßt. Die vielen „Propaganda-Videos“ zeigen dies am deutlichsten. Da wird heldisch geblickt, mal drohend mit den Augen geblitzt oder gütig umschmeichelt, da gibt es Banner und Standarten bis zum Abwinken, Wochenschau- und Riefenstahlreminiszenzen bis die Schwarte kracht. Es lebe das Zitat. Kommt in der ausinszenierten Obersalzberg meets Reichskanzlei-Ouvertüre Chaplin zu seinem Recht, wähnen wir uns gegen Ende bei Bruno Ganz im Bunker, der mit zitternder Hand auf dem Rücken über den Endsieg fabuliert. Und wenn der verzweifelt betende Rienzi mit seinen Germania/Roma-Modellen spielt, sie zu aberwitzigen Gebilden türmt und schließlich versonnen den Miniatur-Zeppelin durch die Luft führt, ist das eine mehr als würdige Entsprechung zum Globus-kosenden Chaplin.
An starken Bildern mangelt es dieser Inszenierung sicher nicht, trotzdem bleibt es unter dem Zitatpanzer recht frostig. Vielleicht sieht das Regieteam ja gerade darin seine Aufgabe – die hohle Geste auch in Wagners Musik bloßzustellen. Was ist das für eine Musik? Tumbe Musik? Naive Musik? Musik für die Massen? Musik für den Reichsparteitag? Ich bin mir sehr unsicher. Heute war da nicht viel, das mich für Wagner hätte in die Bresche springen lassen – aber in Bremen war der Eindruck ein gänzlich Anderer. Daß diese Inszenierung das Werk nimmt, und es inhaltlich umdeutet, steht außer Frage. Rienzi begnadigt seine Attentäter, weil er den Frieden um jeden Preis will – in der Dramaturgie dieses Abends ist seine Geste nur ein Propagandaschachzug, die Begnadigten werden abseits des Geschehens doch hingerichtet.
Der Rienzi dieser Inszenierung vollzieht keine wirkliche Entwicklung, er startet als Schläger und endet als Schlächter. Seine hoffnungsvollen, friedensstiftenden Worte sind von Anfang an nur Mittel zum Zweck. Wie sieht es mit dem Rienzi Wagners aus? Sicher, die schlimmsten Dinge wurden schon in bester Absicht begangen, aber wie steht es um die tatsächliche Motivation? Besteht hierin nicht gerade der Zündstoff des Werkes, daß jemand als Friedensstifter aus tiefstem Herzen beginnt und schließlich als Tyrann endet? Ich glaube, am Ende des Tages liegt darin doch mehr Potential, als Reihen blankgeputzter Schaftstiefel und putzige Hitler-Klone auf die Bühne zu bringen. Aber vielleicht überschätze ich auch einfach nur das Werk.
Richard Wagner – Rienzi, der letzte der Tribunen
Musikalische Leitung – Sebastian Lang-Lessing
Inszenierung – Philipp Stölzl
Co-Regie – Mara Kurotschka
Bühne – Ulrike Siegrist, Philipp Stölzl
Kostüme – Kathi Maurer, Ursula Kudrna
Video – Fettfilm (Momme Hinrichs und Torge Møller)
Chöre – William Spaulding
Rienzi – Andreas Schager (Gesang), Torsten Kerl (Szenische Darstellung)
Irene – Manuela Uhl
Steffano Colonna – Ante Jerkunica
Adriano – Daniela Sindram
Paolo Orsini – Krzysztof Szumanski
Kardinal Orvieto – Lenus Carlson
Baroncelli – Clemens Bieber
Cecco del Vecchio – Stephen Bronk
Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin