20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 16
Anton Webern – Sechs Stücke für Orchester op. 6
Richard Wagner – Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“ (Iréne Theorin – Sopran)
(Pause)
Bernd Alois Zimmermann – Photoptosis (Prélude für großes Orchester)
Alexander Skrjabin – Le Poème de l'extase
Alexander Skrjabin sollte in meinen Augen als größter Bluffer der Musikgeschichte in eben selbige Eingang und Wertung finden. So sehr ich die Klavierwerke auch schätze, so maßlos wie sein damit verbundener Anspruch ödet mich seine Sinfonik an. Meine Güte, all die Chromatisiererei für das bißchen – zugegebenermaßen lautes – C-Dur am Ende, da schläft mir doch auf dem Weg dahin das synästhesieinteressierte Gemüt ein. Kein Wunder, daß der Mann auf der Suche nach einer neuen kombinierten Ansprache der Sinne war, fühlt sich doch das Gehör allein, mit derart langweiligen Schinken konfrontiert, alles andere als stimuliert. Und trotzdem hat es Skrjabin verblüffenderweise erreicht, daß sich bis in die Gegenwart die Experimentierfreudigen seiner Musik erbarmen, heutzutage in Gestalt berufener Multimediafraggles, die den Theorien des Dünnbrettsinfonikers Anregungen für ihre eigenen Ergüsse abtrotzen.
Leider brach sich der multimediale Eifer heute nur recht schmale Bahn, ein paar funzelige TV-Schirme rechts und links der Bühne waren bei Weitem zu dezent, um die ersehnte Aufmerksamkeitsausweichmöglichkeit abzugeben. Das Ganze hatte in etwa den Effekt, als hätte man die Dirigenten-Kontrollbildschirme in der Oper in Richtung Publikum gedreht, um anstatt auf der Bühne dort allein die Geschehnisse dem Saalpublikum zu präsentieren. Besonders fesselnd sicher auch für die Zuschauer der hinteren Reihen. Was auch immer das „Konzept“ dabei gewesen sein mag, es blieb mir verborgen, vor allem weil ich wenig Lust verspürte, meinen Hals permanent in Richtung Mäusekino zu verrenken. Ich vermute mal, daß irgendein Bezug zu Gedicht und/oder Farbenlehre bestand.
Um die Verwirrung komplett zu machen, wurden in der Pause Kopfhörer ausgegeben (entweder ich hab da geschlafen oder die Bekanntmachung dieses „Service“ lief unter Ausschluß der Öffentlichkeit), mittels derer man dem zugrunde liegenden Gedicht oder einer anderen musikalischen Darbietung lauschen konnte, die zeitgleich unter dem Dach abgehalten wurde (?!). Nun fand das Konzert ja in der Reihe „Orchester 3.0“ statt – keine Ahnung, was so eine pseudohippe Titulierung ausdrücken soll. Das ist sicher alles gut gemeint und ambitioniert, unter dem Strich jedoch nur mehr unausgegoren.
Daß es auch anders UND sinnvoll geht, zeigte die ungewöhnliche Einführung durch Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Hamburg. Einzelne Schüler referierten dabei jeweils kurz über Komponisten und Werke des Konzerts, wobei sie gemeinsam in Kammerbesetzung viele erhellende Klangbeispiele gaben – vom Tristanakkord nebst Beispielen für seine mögliche Auflösung bis hin zu den Zitaten im Zimmermann, die ich ohne diese Herausstellung sonst im Konzert vermutlich überhört hätte.
Der Zimmermann hat es mir dann auch sehr angetan. Eine flirrende Äthermusik, unglaublich dicht, kompakt und massiv in ihrer Klangwirkung. Organisierte Spannung sprichwörtlich zum Greifen. Hier und im Webern gefiel mir Afkham ausgesprochen gut, eben als Aufrechterhalter und Regulator dieser Spannungszustände. Das Gustav Mahler Jugendorchester ist zudem ein Spitzenklangkörper, dessen Abteilungen ausnahmslos zu glänzen verstehen. Frau Theorin traf da leider weniger meinen Geschmack. Wie brüchig, ja fast schon stimmlos die ersten Worte ihres „Mild und leise“, um sich dann stufenlos zur akustischen Einebnung der Laeiszhalle aufzuschwingen – das ist sie also auch nicht – „meine“ Isolde. Wieder was gelernt. Das Tristan-Vorspiel hingegen löste manches von dem ein, was ich vor zwei Wochen in Berlin vergeblich ersehnt hatte.
Nachtritt zu Skrjabin: Ich höre immer von Wagner und Debussy als Vorbilder für den sympathischen Größenwahnler. Das mag schon sein, viel ohrenfälliger mutet mir aber seine Vorwegnahme des Feuervogels an – ohne dabei selbst auch nur eine Eierschale voll vergleichbarer Ekstase aufzuweisen. Musik ist und bleibt doch ein Geheimnis.