16:00 Uhr, Parkett links, Reihe 13, Platz 523
Nun war es also soweit. Für meine Tristan-live-Premiere hatte ich die Bayerische Staatsoper auserkoren. Nach jahrelangem Zaudern erschien mir mit dieser Besetzung eine Konstellation gegeben, mit der ich es wagen konnte. Ben Heppner als Tristan, Nina Stemme als Isolde, zudem Rene Pape als Marke, zumindest theoretisch wunderbare sängerische Voraussetzungen. Einzig das Dirigat unter Nagano, mir nicht gerade als Einpeitscher kochender Leidenschaften in Erinnerung, ließ einen Rest Zweifel bestehen.
Mein bislang dritter Besuch im Nationaltheater. Was für eine Schickeria-Quote! Das kenne ich in dieser Form nur in München. Man brezelt sich auf, man zeigt, was man hat, und wenn es nur eine ganz und gar unangemessene Kriegsbemalung oder ein blasierter Blick ist. Aber natürlich ist das nur ein Teilaspekt, der bei der Besucherbeschau auffällt. Neben stolz präsentiertem Lokalkolorit überwiegt ein stark internationaler Eindruck. Wo auch sonst wird auf den Namensschildchen der freundlichen Mitarbeiter per Flaggensymbolen gleich auch auf multilinguale Plaudermöglichkeiten hingewiesen.
Alles ist ein wenig elitärer, atmet den Hauch von selbstinstallierter Wichtigkeit. Das mag natürlich auch dem Festspielcharakter des Abends geschuldet sein, der durchaus als eine Art Bayreuth-Alternative aufgefasst werden kann. Ob es nun an dem besonderen Abend oder allgemeingültigen Münchner Gepflogenheiten liegt, die Atmosphäre im Saal, die Konzentrations- und Begeisterungsfähigkeit des Publikums ist aller Ehren wert. Wenig Rumgehuste, nur ein wahrgenommener Bonbonpapier-Fauxpas, oder anders gesagt, optimale Voraussetzungen für Konzentrationswillige.
So schön die Sitze sind, auf die Dauer erhebt mein Gesäß Einspruch. Andere machen es sich da einfacher: Es wird abwechselnd links und rechts neben mir ein Nickerchen gehalten. Insbesondere der Herr rechts scheint eine Menge Schlaf nachzuholen zu haben. Die mangelnde Anteilnahme tut seiner Begeisterung nach den Aktschlüssen jedoch keinerlei Abbruch.
Nagano geht das Vorspiel zum ersten Akt sehr breit an, insgesamt in Ordnung, der Höhepunkt verfehlt seine Wirkung nicht. Für Nagano-Verhältnisse ist das Dirigat durchweg regelrecht leidenschaftlich, am Ende des Tages ist und bleibt er aber nicht „mein“ Dirigent. Das zeigt sich im Ganzen wie in kleinen Details. So ist es schließlich nur nachvollziehbar, daß die Aufführung trotz allumfassend hoher bis höchster musikalischer Qualität bei mir nicht den emotionalen „Effekt“ erzielte, der drin gewesen wäre.
Das Orchester ist ein Traum. Vollendeter Klang in allen Abteilungen, insbesondere die Streicher in allen Schattierungen und das Blech in seiner ganzen Wucht liegen mir sehr. Da lohnt es schlichtweg nicht, ins Detail zu gehen. Weltklasse ist Weltklasse. Und man kann Nagano keinesfalls absprechen, daß er mit diesem edlen Instrument nicht sensibel umzugehen wüßte. Darüber hinaus ist er durchaus ein Freund der Dynamikausreizung, was die Sänger allesamt zu spüren bekommen.
Das Ensemble ist durchweg stark besetzt. Der Seemann ist ok, der erste Eindruck von Stemme und Gubanova sehr gut. Auch Kurwenal macht seine Sache überzeugend. Dem von mir freudig erwarteten Heppner mangelt es im ersten Akt etwas an Durchschlagskraft, wobei sich die Qualität der Stimme dennoch gerade in den durchdringenden Spitzentönen zeigt.
Die Inszenierung erscheint mir vom Start weg absolut plausibel, passend, sinnhaft, bis in die Details hinein. Die Rasierszene als mangelnder Respekt gegenüber Isolde ist treffend, das Rasiermesser als Schwert dann folgerichtig eingesetzt. Beide sind schon vor dem Ausleeren der Cocktails einander verfallen. Die dunkelblaue Nachtwelt der Liebenden erscheint dann unmittelbar nach dem Trank. Am Schluß ringen beide um Fassung, das grelle Gegenlicht der Marke-Welt blendet sie.
Der 2. Akt rauscht leider ohne die erhoffte „Wirkung“ an mir vorüber. Dennoch handelt es sich zweifelsohne um eine Aufführung auf Weltklasse-Niveau, rein objektiv gesehen. Aber mein subjektives Empfinden macht mir einen Strich durch die „Nacht der Liebe“. Stemme und Heppner entsprechen da – zumindest am heutigen Abend – nicht ganz meiner inneren Wunschbesetzung. Im Zweifel kann ich eh alles auf Nagano schieben. Dabei macht er seine Sache absolut auf Top-Niveau. Differenziert, transparent, dosiert. Vielleicht eben zu dosiert, um mich in Wallung zu bringen.
Lautstärke ist an den entsprechenden Stellen vorhanden, daran liegt es sicher nicht. Aber der wagnerische Funke will bei mir nicht recht zünden. Trotzdem bin ich froh, eine solch exquisite Aufführung für meinen ersten Tristan gewählt zu haben. Gubanova auch hier sehr schön. Und dann erfolgt der Auftritt des Rene Pape. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Welt derzeit einen besseren, intensiveren Marke kennt. Der absolute Wahnsinn. Stimmgewalt und -Schönheit in Vollendung. Für mich geriet sein Monolog zum absoluten Zentrum des Aktes. Allein dafür hätte sich die Anreise mehr als gelohnt.
Die Inszenierung schafft im 2. Akt eine intime Atmosphäre. Über das Blümchensofa und andere Details (Englischhorn als Schlüsselinstrument auf der Bühne; Tristans Fall in Markes Schoß auf das Sofa) läßt sich vielleicht streiten, insgesamt nimmt sich Konwitschny aber erfreulicherweise zurück, um dem Paar die Szene zu überlassen. Bei der Ertappung durch Melot/Marke wird die Saalbeleuchtung bemüht. Kann man machen.
Wäre nach dem 2. Akt Schluß gewesen, bliebe der Eindruck einer rundum erstklassigen Aufführung; was folgt, verdient ohne Zweifel den Begriff Weltklasse. Ben Heppner als sterbender Tristan ist ein Naturereignis. Dabei scheint der Arme an diesem Abend nicht in Bestform zu sein, wovon einige arge Aussetzer Zeugnis ablegen, dies gerät jedoch angesichts seiner Gesamtleitung zur Randnotiz. Die Inszenierung erfährt in diesem dritten Akt noch mal eine Steigerung, die den Boden für eine an Intensität kaum überbietbare Wirkung bereitet. Der sieche Tristan, wie er im Sessel Dia- Projektionen voll Sehnsucht und Melancholie betrachtet, gehört zu den erschütterndsten Bildern, die ich je auf einer Opernbühne gesehen habe.
Musikalisch lebt der Akt von Heppners scheinbar unbegrenzten Kraftreserven, die ihn von Ausbruch zu Ausbruch tragen, mit jedem neuen Aufbäumen den Rausch der Selbstvernichtung schüren. Daß zu guter Letzt Nagano nicht ganz zu überzeugen weiß und den erhofften Höhepunkt des Liebestodes nur passabel absolviert, fällt kaum mehr ins Gewicht. So sehr auch Stemme ihren Teil Lob verdient hat, werde ich diesen Abend doch als Heppner-Tristan im Gedächtnis behalten. Der Schluß, in dem das titelgebende Paar den Vorhang vor Marke und den anderen „Diesseitigen“ schließt, um ganz für sich zu sein, ist einfach nur wunderschön. Was für ein Abend.
Richard Wagner – Tristan und Isolde
Musikalische Leitung – Kent Nagano
Inszenierung – Peter Konwitschny
Bühne und Kostüme – Johannes Leiacker
Licht – Michael Bauer
Dramaturgie – Werner Hintze
Chöre – Sören Eckhoff
Tristan – Ben Heppner
König Marke – René Pape
Isolde – Nina Stemme
Kurwenal – Alan Held
Melot – Francesco Petrozzi
Brangäne – Ekaterina Gubanova
Ein Hirt – Kevin Conners
Ein Steuermann – Christian Rieger
Ein junger Seemann – Ulrich Reß
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper