Jörg Widmann – „Con brio“ Konzertouvertüre für Orchester
Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 8 F-Dur, op. 93
(Pause)
Wolfgang Amadeus Mozart – „Haffner Serenade“ D-Dur KV 250
für Kammerorchester und Solovioline (Gustav Frielinghaus)
„Wenn die Engel für Gott spielen, spielen sie Bach. Wenn sie für sich spielen, spielen sie Mozart.“ Ich hoffe inständig, daß sich die Engel bezüglich etwaiger öffentlicher Konzerte im Himmel – sofern ich bei der Abovergabe Berücksichtigung finden werde – nicht von ihrem persönlichen Geschmack leiten lassen.
Doch wer hätte gedacht, daß ich den Mozart’schen Beitrag innerhalb eines Konzertes einmal als den interessantesten küren würde. Wobei diese Wahl ehrlicherweise nicht in dem Werk selbst begründet, sondern aus seiner Behandlung durch den Dirigenten abzuleiten ist. Oder, gemein gesprochen, aus der mäßigen Behandlung Beethovens durch eben diesen. Herr Gaudenz scheint ein großer Mozartfreund zu sein – davon zeugt allein schon die Vielzahl der von ihm eingestreuten Anekdoten und Lobhudeleien, mit denen er das Wolferl zwecks „Auflockerung“ der Serenadenfolge zwischen den Sätzen bedachte – und diese Freundschaft findet in einer differenzierten (ich möchte fast das Wort „spannend“ in den Mund nehmen, so fremd es mir im Zusammenhang mit Mozart auch erscheinen mag), soweit es das Material hergibt, zupackenden Lesart Widerhall.
Gleich der erste Satz der Serenade wird energisch angegangen, der Staub dieser biederen Kaffeeklatschmusik zumindest ein wenig aufgewirbelt. Auch im weiteren Verlauf widmet sich Gaudenz umsichtig und detailversessen der lebendigen Gestaltung des Werkes. Dynamische Kontraste werden (soweit vorhanden) akzentuiert, Gesangliches fein ausgesungen, in spritzigen Passagen oder Läufen das Orchester schön knackig zum Abschnurren gebracht. Allein, mir bringt das wenig, löst eine Mozart-Serenade nun mal ein ähnliches Prickeln bei mir aus, wie die Lektüre des Telefonbuchs von Salzburg. Daran ändert weder das eingebaute Violinkonzert (dessen Rondo-Finale mich trotz seiner Kürze mit seinen ewigen Wiederholungen mehr in meiner Geduld strapazierte, als es ein kompletter Parsifal in halbem Tempo gespielt vermöchte), noch andere Spielereien wie die Melodie von „Im Märzen der Bauer“ in Moll oder solistisch eingesetzte Trompete (Wer hätte das gedacht!). Ein Wort noch zum Solisten des Abends: Herr Frielinghaus erfüllt seinen Part unfallfrei, offenbart in Technik und Timbre jedoch auch, warum man für solche Aufgaben gewöhnlich auf spezialisierte Kräfte zurückgreift.
Beim Stichwort Spezialisierung wären wir dann wieder bei meiner Kritik an Herrn Gaudenz angelangt. So sehr ihm Mozart (am Herzen) liegen mag, so wenig gibt mir sein Beethoven und ließ das nicht allein abfolgetechnisch erhoffte Zentralstück des Abends zur müden Belanglosigkeit verkommen. Mag der Beginn, namentlich Teile des ersten Satzes, noch Anzeichen dieses später bei Mozart goutierten, leicht eckigen und damit straffen Stils offenbart haben, verflachte die Sinfonie unter Gaudenz Händen zusehends. Kein Vergleich zur bissigen, Ironie-durchsetzten Version, die ich vor Jahren an gleicher Stelle mit Lothar Zagrosek und der Jungen Deutschen Philharmonie erleben konnte. Gerade weil die Achte so ein anderes Antlitz als ihre titanisch-grüblerischen Schwestern besitzt, bedarf sie einer besonders feinen, mehr noch, feinsinnigen Zuwendung, um jenes nicht als harmloses Grinsen hervortreten zu lassen. Was gibt es da nicht alles zu entdecken! Gewitzte Echowirkungen, ein unglaublich spannungsgeladenes Spiel mit Pausen und deren Wirkung auf das Gefüge, karikierte Zopfigkeit – unterm Strich in jedem Fall viel eher Musik über Musik als Widmanns Con Brio Geschnetzeltes (wobei jener sicher ein kluger Kopf und herzenswarmer Mensch ist – man führe sich diesbezüglich einmal beispielhaft seine Rede zur Semestereröffnung 2014 der Hochschule für Musik Karlsruhe zu Gemüte).
Die Hamburger Camerata treiben existenzielle Sorgen um, die Zukunft scheint vorerst gesichert, Gewissheit gibt es offenbar nicht. Das Orchester bringt – trotz technischen Optimierungsbedarfs hier und da – alles mit, um ein Publikum zu begeistern. Einsatz, Leidenschaft, Qualität. Herr Gaudenz zeigt mit seinem Mozart Ansätze, wie diese Eigenschaften abzurufen sind, dennoch wird es mehr als ein paar warme Worte und Binsenweisheiten aus der Mottenkiste der Musikgeschichte brauchen, um das eigene musikalische Profil zu schärfen und den Platz einer eigenständigen Alternative im Hamburger Konzertleben dauerhaft zu besetzen. Die neue Saison wird es zeigen.