12. Februar 2016

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks –
Mariss Jansons. Gasteig München.

20:00 Uhr, Block H, Reihe 6, Platz 27/28



Überraschungsstück: Bohuslav Martinu – Mahnmal für Lidice
Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 „Leningrader“


Mein zweiter Ausflug in den oft gescholtenen Gasteig, diesmal auf ordentlichen Plätzen. Als Traumsaal geht dieser Riesentrichter sicher nicht durch, aber miserabel ist der Klang auf keinen Fall. Ich sehe eher Parallelen zur „objektiven“ Akustik der Berliner Philharmonie, bei der ebenfalls einiges an Energie auf der Bühne aufgewendet werden muss, um als Zuhörer angefasst zu werden.

Der erste Eindruck in Block H ist etwas dumpf, im weiteren Verlauf haben es die Streicher mitunter schwer, sich gegen den Rest zu behaupten, was sicher nicht an der Qualität von Material und Ausführenden liegt. Die Ortbarkeit ist ein Pluspunkt, eine differenzierte Wahrnehmung ist problemlos möglich, der Gesamteindruck ist homogen – vom Streicherproblem einmal abgesehen. Natürlich bleibt ein Höreindruck immer subjektiv und dem eigenen Geschmack verhaftet, ich persönlich würde jetzt nicht unbedingt für ein besonders interessantes Orchestergastspiel diesen Saal wählen, sondern lieber den Weg nach Köln antreten.

Die Reise nach München war in diesem Fall jedoch jeden Bahnkilometer wert. Mag ich auch noch so gespannt auf die Elbphilharmonie und ihre hoffentlich überragende Akustik sein, angesichts der hier erlebten unanzweifelbaren Weltklasse des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks fällt der Vergleich mit den nördlichen Rundfunkkollegen für die designierten Residenzler mehr als nüchtern aus. Da kann man noch so viele Marketingkniffe und Etikettenwechsel bei den Hanseaten bemühen, das bayrische Pendant spielt einfach in einer anderen Liga, das wurde heute wieder mehr als deutlich. Ich gönne den Münchnern jedenfalls von ganzem Herzen die Entscheidung für einen neuen Saal und hoffe auf viele Gastspiele an der Elbe.

Das Konzept des Überraschungsstückes ist mir als fester Bestandteil eines Abokonzert auch noch nicht begegnet, eher bei einer Gala oder anderen festlichen Anlässen und natürlich als Zugabe. Hier allerdings wird die musikalische Wundertüte mit Beginn des Konzerts geöffnet und von Maestro Jansons auch erst benannt, nachdem das Werk verklungen ist. Keine schlechte Sache, so blieben etwa zehn Minuten Spieldauer, um ein mir unbekanntes Werk kennenzulernen und gleichzeitig über seinen möglichen Urheber zu rätseln.

Ich muss gestehen, dass ich nicht darauf gekommen bin – ich habe das beeindruckende, tonale, aber immer wieder mit dynamischen Ausbrüchen und Dissonanzen versetzte Stück irgendwo bei Charles Ives oder einem Zeitgenossen einsortiert, obwohl mir Bohuslav Martinu durchaus ein Begriff ist. Wieder was gelernt. Schönes Detail: Nach dem Konzert erhält man beim Verlassen des Saales eine einzelne Seite mit Informationen zum Überraschungsstück, die wie ein großer Sticker an die entsprechende Stelle ins Programmheft geklebt werden kann. Auch in diesem Punkt zeigt München Substanz.

Die Schostakowitsch-Sinfonie nutzten Dirigent und Orchester gleichermaßen zur Einlösung der Definition von Weltniveau. Insbesondere die Präzision im Zusammenspiel innerhalb der einzelnen Stimmen und untereinander ist überwältigend. Hinzu kommen technische Perfektion und Klangfarben, die sowohl die in sich gekehrten, sehnsüchtigen Passagen, als auch die gewaltigen, teilweise brutalen Steigerungen idealtypisch abbilden und die Zerrissenheit dieser Musik auf das erschütterndste einfangen. Auch wenn es sich dabei nur um ein winziges Detail handelt, hätte ich beispielsweise kaum für möglich gehalten, wie zart das Piccolo-Solo klingen kann. In der Gesamtwirkung lässt sich kein Orchesterteil guten Gewissens hervorheben – die Vollkommenheit erstreckte sich über den kompletten Klangkörper.

Wie Mariss Jansons schließlich mit seinen außergewöhnlichen Musikern dieses Seelendrama in der legitimen Nachfolge Mahlers Gestalt werden lässt, erfüllt mich als Schostakowitsch-Liebhaber mit tiefer Dankbarkeit. Transparenz und Verdichtung, Zartheit und Unerbittlichkeit, Wehmut und Trotz – Jansons belässt es nicht bei oberflächlichen Kontrasten, sondern entlockt dem Notentext das innere Ringen, das Streben nach Menschlichkeit in einer unmenschlichen Welt. Eine Klage gegen Unterdrückung, die weit über die Geschehnisse der Entstehungszeit und vermeintlich einfache Deutungen hinausgeht (Das vorzügliche Programmheft hält dazu einiges Wissenswerte bereit), der eben jene Tiefe und Universalität innewohnt, die wahrhaft bedeutende Musik auszeichnet.