19:00 Uhr, Etage 15, Bereich L, Reihe 1, Platz 1
Wojciech Kilar – Krzesany / Symphonische Dichtung
Igor Strawinsky – Le sacre du printemps
Eine gute und eine schlechte Nachricht. Auch auf Ebene 15 ist die Akustik der Elbphilharmonie eine Wucht, allerdings wuchtet es im dynamischen Sinne doch merklich weniger als auf den bislang probierten Plätzen. Oder man hat heute beim Sacre nicht alles rausgehauen – was ich mir nicht denken kann. An einem Mangel an Personal auf der Bühne wird es auch kaum gelegen haben, dass das letzte Quäntchen Dampf auf dem Trommelfell gefehlt hat. Der Wucht-Faktor erschöpfte sich so an der immer noch in Staunen versetzenden Transparenz. Wobei das ernüchternder klingt, als es tatsächlich war. Man ist nach den letzten Klangeindrücken eben verwöhnt.
Der auf satten Bassbereichen fußende Klang erlaubt auch von dieser Warte aus beeindruckende akustische Einsichten in das Zusammenspiel der einzelnen Stimmgruppen und das Orchestergefüge als Ganzes, nur doch eine ganze Ecke weniger präsent als in tiefer gelegenen Regionen des Saaltrichters. Was nicht weiter tragisch ist, zumal nicht nur die Physik etwas gegen Klang-Kommunismus hat, sondern es für jeden Musikfreund eine Selbstverständlichkeit sein sollte, den Sitzplatz je nach Konzertart, Besetzung sowie persönlichem Geschmack zu variieren. Wer auch immer den dummen Spruch „Man hört auf allen Plätzen GLEICH gut“ in die Welt gesetzt haben mag – ich bezweifle, dass es ein Mensch aus dem Konzerthausumfeld, geschweige denn Herr Toyota war.
Was unterscheidet also die Business Class von der First Class unter uns? Der Eindruck, dass die Streicher, insbesondere die Violinen, im Wettstreit mit den Bläsern latent den Kürzeren ziehen und ab einer gewissen Gesamtlautstärke teilweise im Tutti unterzugehen drohen, verstärkt sich offenbar mit zunehmender Entfernung von der Bühne. Die Wiener haben spätestens im Schostakowitsch klargestellt, dass sich die Streicher durchaus gegenüber ihren Kollegen vom Holz und Blech Gehör zu verschaffen in der Lage sind, wobei eine Vergleichbarkeit schon allein aufgrund diverser Meter Hörhöhenunterschied nicht gegeben ist. Konkret bewirkte dieser Effekt heute, dass beim Stravinsky im Fortissimo der oft fast schon rein perkussive Einsatz des Streicherapparetes im Gegensatz zu den Stößen und Hieben von Bläsern und Schlagwerk weniger dominant als gewohnt ausfiel.
Abgehen davon war es ein mehr als ordentliches Konzert: Das Orchester klang wunderbar (selbst die Posaunen überzeugten mit ungewohnter Schwärze), die Interpretation hatte durchaus Biss, einzig die Kombination zweier „Kraftstücke“ hat sich mir nicht so ganz erschlossen. Nichts gegen Kilar, schon allein weil ich sonst nicht in den Genuss meiner unverhofften Erstbeorgelung an dieser Stätte gekommen wäre, aber nach dem wahrlich erdbebenartig anschwellenden Schlussakkord war irgendwie das Pulver verschossen. Es hätte schon geholfen, wenn Urbański, wie es Hengelbrock an gleicher Stelle praktizierte, durch ein paar auflockernde Worte die mangelnde Pause kaschiert und der Zielgruppe nicht gleich sofort die nächste rhythmische Druckbetankung verpasst hätte. Die allgemeine Konzentration während des Sacre lies jedenfalls zu wünschen übrig – der Chor der Huster wuchs mit fortlaufender Dauer merklich an.
Insgesamt mutete dieses Konzert für Hamburg offizieller, etwas steifer an als das von mir im Januar besuchte: Die Musiker im Frack statt krawattenfreiem Schwarz, keine Anekdoten, keine Zugabe – vielleicht auch alles ein wenig den anwesenden Fernsehkameras geschuldet. Außerdem darf nicht vergessen werden, welchen Marathon sich der NDR mit dieser Konzertreihe aufgebürdet hat – allein dieses Konzert wird in unterschiedlicher Konstellation fünfmal an drei aufeinander folgenden Tagen gegeben. Nun denn, am Ende (ja bereits zur Opfer-Halbzeit war die Freude groß) wurde nicht minder applaudiert und gejubelt. Die Elphi begeistert eben doch auf allen Ebenen.