20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4
Robert Schumann – Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 »Frühlingssinfonie«
(Pause)
Hector Berlioz – Symphonie fantastique /
Episode de la vie d'un artiste op. 14
Schockmoment gleich zu Beginn: Mariss Jansons müht sich sichtbar angestrengt mit unsicheren Tippelschritten zum Pult, wo eine Sitzgelegenheit auf ihn wartet. Von dieser macht er im Laufe des Abends zwar nur hin und wieder Gebrauch, doch den Maestro derart zerbrechlich zu sehen, ruft – auch angesichts seiner früheren gesundheitlichen Schicksalsschläge – wohl nicht nur bei mir tiefe Besorgnis hervor (Einige Tage später kam dann die wenig überraschende Meldung, dass er aufgrund einer ärztlich empfohlenen Regenerierungsphase alle Konzerte bis Ende August absagen müsse). Es bleibt mir nur, Herrn Jansons eine baldige Genesung und alles Gute für die Zukunft zu wünschen.
Wie sehr die Klassikwelt diesen Ausnahmedirigenten braucht, stellte er heute wieder eindrucksvoll unter Beweis. Zum Schumann kann ich zwar nicht viel sagen, da fehlen mir die Vergleichsmöglichkeiten, obwohl mir unter Umständen als jemand, der dieser Musik eher reserviert gegenübersteht, vielleicht mit einer etwas weniger kontrollierten, edlen Lesart mehr gedient wäre. Während die technische wie klangliche Meisterschaft der Wiener bereits hier ihre Wirkung entfaltete, schlug mit der heiß geliebten Symphonie Fantastique die Genialität der Konzeption Jansons’ voll durch.
Dabei war es besonders spannend zu erleben, dass aufgrund eingehender vorangegangener Rezeption angesammelte Lehren über Wirkungsweisen und Präferenzen bestimmter Parameter im Einzelnen und Ausführungen in der Gesamtheit jederzeit durch eine selbst beinahe gegenteilige Präsentation zumindest für die Dauer einer Aufführung egalisiert werden können – sofern diese Aufführung derart zwingend gestaltet ist, wie ich sie heute bestaunen durfte. Ein durchgehend langsames Grundtempo gehört in der Regel nicht zu den Faktoren, mir „meine“ Symphonie Fantastique entstehen zu lassen. Bei Jansons fügt sich dieses ungewohnte Tempo jedoch als eines von vielen Steinchen bei der Herstellung eines Mosaiks ein, dessen Detailtiefe und Dramatik kaum steigerungsfähig erscheinen.
Allein wie zart die Coda des ersten Satzes unter Jansons Führung verklingt, oder welch geradezu plastisch sprechende Wirkung die wehmütige Szene auf dem Lande erzielt – die Feinheiten der Partitur hat man live selten so minutiös ausgelotet erlebt. Der Gang zum Schafott wiederum bärbeißig, ohne zu eilen, desgleichen das ganze Hexensabbat-Finale, in dem es Jansons gelingt, eine immense Wucht zu entfesseln, ohne dabei, wie gesagt, besonders auf die Tube zu drücken. Gewaltig-gewaltsam Eruptives statt gnadenlose Hetze, wie ich sie beispielsweise an einem Solti schätze. Es gehört einfach zum Größten, gerade auf solche durch und durch wohlvertrauten Werke durch Ausnahmekönner wie Jansons und das Klangwunder aus Wien einen ganz neuen Blick beschert zu bekommen – einen Blick, der die Größe des Werkes und die Meisterschaft seines Urhebers frisch wie bei der ersten Begegnung unterstreicht. Meinen tiefsten Dank dafür.