28. September 2024

Eugen Onegin – Vitali Alekseenok. Opernhaus Düsseldorf.

19:30 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 5, Platz 154



Unbeschriebene Blätter gibt es mannigfaltige – den Newcomer, den etablierten Geheimtipp, den Rampenlicht-Verweigerer. Vitali Alekseenok ist frisch gebackener Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein. Dass ich zuvor noch nie etwas von ihm gehört habe, ist nicht sein Problem. Dass sich mein Verlangen, mehr von ihm zuhören, nach heute definitiv in Grenzen hält, führe ich allerdings weniger auf weiße Blätter, denn seinen Umgang mit Tschaikowskys sicher nicht spärlich befüllter Partitur zurück.

So wird das nichts mit der Kober-Nachfolge. Zu Buche steht ein weitgehend konturloses Dirigat, besonders deutlich spätestens beim Beginn des dritten Aktes – kein Knack, kein Feuer. Man kann Alekseenok einzig zugutehalten, dass er es sich traut, das Orchester auch mal richtig leise spielen zu lassen. Stichwort „Lyrische Szenen“, aber auch hier nichts Epochales. Das Orchester insgesamt nicht mit dem besten Tag – Solohorn, Solocello etc. Abstimmung mit Chor ausbaufähig. Zu den Sängern: Tatjana lyrisch gut aber insgesamt etwas matronenhaft. Olga etwas steif, hätte ich mir stimmlich wie darstellerisch quirliger gewünscht. Der Tenor relativ spröde, nicht viel Schmelz, zudem legt er die Rolle schon sehr weinerlich/waschlappig aus. Onegin mit gutem Organ aber vom Ausdruck her ausbaufähig. König noch der Beste, gerade bei dem vergleichsweise leisen Orchester.

Hauptschwachpunkt des Abends ist aber wohl die Regie. Herr Thalheimer und ich werden keine Freunde mehr. Klötzchenwand ohne viel Ideen. Was in der (sehr guten) Einführung vollmundig als modulares Bühnenbild angekündigt wurde entpuppt sich als Treppe, Podest und (immer wieder!) Mauer zum Wegschieben. Personenregie unsinnig verspielt (der Gehörnte auf dem Ball wird Onegins Adjutant) bis nicht vorhanden (dritter Akt „Tanz um den einsamen Stuhl“). Generell: warum diese Form von Aktualisierung, wenn sie so mutlos erfolgt? So wirkt beispielsweise Onegins Partyflirt mit Olga völlig harmlos und seine Brisanz – wie Lenskis wutschäumende Reaktion darauf – komplett aus der Zeit gefallen. Ebenso die französische Einlage auf dem Fest. Wer spricht dann so – Lehrer Lempel? Man kratzt sich, wie bereits im Parsifal (Link) des öfteren am Kopf. Welchen Kommentar genau soll uns die szenische Umdeutung der fröhlich singenden Bauern ins aufrührerische Proletariat hinterlassen? Kritik an einer verklärten Darstellung der Landbevölkerung im Libretto? Geschenkt. Warum legt man eine flotte Gummisohle aufs Parkett, einzig für die putzige Szenerie der roten Stiefel? Bauerntrampelballett?

Schlimmer noch als die musikalischen und szenischen Fragezeichen wiegt der Umstand, dass sich mir heute ernsthaft Gedanken über den Gehalt des Werkes als solches aufdrängten. Ketzerische Gedanken, wie jener, was die Handlung von einer Pilcher-Schmonzette unterscheidet, oder die Verwunderung, dass das musikalische Material heute so gar nicht bei mir zünden will. Dabei verlief meine erste Begegnung mit den „Lyrischen Szenen“ vor Jahren in Riga (Link) ungleich intensiver, und das auf jeder Ebene. Ich glaube, dass mir unabhängig von der Tagesform eine Pique Dame schon generell näher liegt als der Onegin, nichts desto trotz ist dieses Werk sicher nicht so derart auf die leichte, schlimmer noch zuckende Schulter zu nehmen, wie es sich heute an der Heinrich-Heine-Allee anfühlte.

PS: Die Vorstellung war erschreckend schlecht besucht – für einen Samstag geradezu ein Armutszeugnis.


Eugen Onegin
Lyrische Szenen in drei Akten
Musik – Peter Iljitsch Tschaikowsky
Libretto von Peter Iljitsch Tschaikowsky und Konstantin S. Schilowsky
nach dem Versroman von Alexander Puschkin

Musikalische Leitung – Vitali Alekseenok
Inszenierung – Michael Thalheimer
Bühne – Henrik Ahr
Kostüme – Michaela Barth
Licht – Stefan Bolliger
Chorleitung – Gerhard Michalski
Dramaturgie – Anna Grundmeier/Anna Melcher
Konzeptionelle Vorbereitung – Bettina Auer

Larina – Katarzyna Kuncio
Tatjana – Liana Aleksanyan/Luiza Fatyol
Olga – Anna Harvey/Maria Polańska/Ramona Zaharia
Eugen Onegin – Bogdan Baciu/Mikołaj Trąbka/Richard Šveda
Lenski – David Fischer/Ovidiu Purcel/Jussi Myllys
Fürst Gremin – Hans-Peter König/Luke Stoker/Bogdan Taloș
Filipjewna – Rita Kapfhammer
Triquet – Sergej Khomov/Riccardo Romeo
Saretzkij – Jacob Harrison/Valentin Ruckebier
Ein Hauptmann – Junho Jung/Volker Philippi
Vorsänger – Dong Hoon Kim/Mamuka Manjgaladze

Chor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker