12. April 2013

Maskerade – Alexander Steinitz.
Theater Mönchengladbach.

20:00 Uhr, Parkett links, Reihe 5, Platz 1



Hygge in Rheydt: Die Regie entwirft ein dänisches Idyll zwischen Dünengras und Saunagang, das die Handlung vom 18. Jahrhundert in ein gemütlich maritimes Hier und Jetzt verlegt. Schnuckelige kleine Häuschen am Meer, wie von Kinderhand mit Kreide gezeichnet, geben einen ersten Hinweis darauf, daß wir heute trotz aller dramaturgisch notwendigen Irrungen und Wirrungen einem harm-, jedoch ganz und gar nicht reizlosen Vergnügen beiwohnen werden.

Das erste Kompliment verdient sich die ganze musikalische Ausgestaltung. Ein schwungvolles, dabei durchaus differenziertes Dirigat, das eine gute Orchesterleistung abruft, ist gleich ab der Ouvertüre der Ausgangspunkt für einen inspirierten Abend. Die gesamte Besetzung, weitgehend mit Mitgliedern des Hauses realisiert, erweist sich als überaus homogenes, stimmlich wie darstellerisch hervorragendes Ensemble, das vor Spielfreude nur so sprüht. Es bereitet einfach einen Riesenspaß, von dieser Riege durch die Geschehnisse geleitet zu werden – nicht unbedingt das schlechteste Zeichen in einer Komödie. Mit dem Wunsch nach einer „typgerechten“ Besetzung ist es zwar generell so eine Sache – was ist das schon, bzw. wodurch definiert sie sich – aber heute war wieder einer dieser Fälle, bei denen man konstatiert: Als wären die Rollen den Darstellern auf Leib und Kehle geschneidert.

Ein paar Worte zu den einzelnen Sängern: Michael Siemon als Leander überzeugt neben seinem sympathisch-verschmitzten Auftreten mit klarer, wunderbar lyrischer Stimme, die Schmelz und Ausdruck als weitere Vorzüge bereithält. Seine Herzensdame, verkörpert durch Debra Hays, steht dem in nichts nach und weiß ein ums andere mal mit ihrem zart leuchtenden Sopran zu verzaubern. Das zweite Paar, Henrik und Pernille bzw. Tobias Scharfenberger und Susanne Seefing, komplettiert den starken Eindruck seinerseits mit stimmlicher und darstellerischer Finesse. Insbesondere Herr Scharfenberger scheint komplett in seiner Rolle als gewiefter Freund Leanders aufzugehen und trägt viel zum komödiantischen Erfolg des Abends bei.

Aber auch die weiteren Kollegen lassen in dieser Beziehung nichts an Identifikation vermissen. Hayk Dèinyan als herrlich grummeliger Patriarch mit Autorität verströmendem Bass, Satik Tumyan als dessen „frivole“ Gattin, der unterbelichtete Diener Arv (Markus Heinrich), der zauselige Magister des Andrew Nolen oder der brillant gestelzte Walter Planté (vorbildliche Diktion!) als Freund des Hauses auf Freiersfüßen – sie alle treten den Beweis an, daß auch vermeintlich leichte Kost auf großer Bühne ein beseeltes und anregendes Ergebnis zur Folge haben kann. Nicht unterschlagen werden soll in diesem Zusammenhang vor allem die Leistung des „Zeremonienmeisters“ Matthias Wippich, der in gleich drei Rollen mit seinem volltönend balsamigen Bass zu beeindrucken wußte und als Schalk im Hummerkostüm den ein oder anderen Schmunzler entlockte.

Womit wir bei der köstlichen Inszenierung wären. Das Geschehen vom 18. Jahrhundert ins Heute zu verlegen, dabei aber durch viele Details in Ausstattung und Durchführung ein Moment des Zauberischen, Traumhaften heraufzubeschwören, läßt die auf scheinbar überkommenen Rollenmustern und Gesellschaftskonventionen fußende Handlung frisch vor dem Auge des Zuschauers entstehen und unterstreicht die rauschhafte Wirkung der Maskerade durch surrealen Überschwang. Wird zuerst das Musterbeispiel dänischer Gemütlichkeit im Hause Jeronimus gezeichnet, inklusive Strandatmosphäre, zelebriertem „Wellness“ und gediegenem Frühstück auf Designstühlen, lassen bei der Maskerade die phantasievollen Kostüme, spritzige Balletteinlagen und ein allgemeines drunter und drüber ein gänzlich anderes Bild der nördlichen Nachbarn entstehen.

Dabei ist dem Kostümfest bewußt eine Aura des Surrealen mitgegeben – die Feierlichkeiten finden unter dem Meer statt, als Einstiegsschleuse fungiert eine Telefonzelle, ein Hummerballett sorgt für Hochseeanmut. Als die Szene beherrschendes Requisit fällt sogleich ein riesiges Bett auf, das zum Tummelplatz für das Treiben jenseits der kleinbürgerlichen Konvention wird. Besonders schön auch das vorausgehende Bild, in dem sich die Bewohner aus ihren winzigen, stilisierten Häusern auf den Weg zum Ball machen, allesamt im Einheitsdress — gepunktetes Nachthemd und Clogs. Nur dem Sittenwächter Jeronimus und seinem Diener wird in diesem Aufzug der Zugang verwehrt, bis sie schließlich in voller Kostümierung passieren dürfen. Scheinbar hat die Eignung zu Alltagsabkehr und Ausgelassenheit wohl doch mehr mit innerer Einstellung denn mit äußerlichen Masken zu tun.

Herrlich dann die überbordende Vielfalt und Detailliebe der verschiedenen Kostüme. Paarungen jeglicher Couleur sind mit von der Partie – unter anderem Adam und Eva, Popeye und Olivia, Biene und Blume, Märchenprinz und Andersens Meerjungfrau, Guttenberg und seine Doktorarbeit, ein spanisches Paar (womöglich gar Carmen und Escamillo?). Und gepaart wird sich dann auch in vielerlei Hinsicht, selbst im Tanz von Mars und Venus und dem Eifersuchts-Ballett der Strandjugend dreht sich letzten Endes alles um das Eine.

Am Schluß sind der alte Griesgram bekehrt, die füreinander bestimmten Paare vereint und das Publikum zu Recht begeistert angesichts dieser Fülle an freudigem Augen- und Ohrenschmaus. Ein strahlender Premierenerfolg, der hoffentlich auch einiges zur weiteren Verbreitung der Musik des großartigen Komponisten-„Geheimtipps“ beitragen wird. Mange Tak!


Carl Nielsen – Maskerade
Musikalische Leitung – Alexander Steinitz
Inszenierung – Aron Stiehl
Bühne – Jürgen Kirner
Kostüme – Dietlind Konold
Choreografie – Robert North
Choreinstudierung – Maria Benyumova
Dramaturgie – Ulrike Aistleitner

Jeronimus, Bürger zu Kopenhagen – Hayk Dèinyan
Magdelone, seine Frau – Satik Tumyan
Leander, sein Sohn – Michael Siemon
Henrik, Leanders Diener – Tobias Scharfenberger
Arv, Knecht – Markus Heinrich
Leonard aus Slagelse – Walter Planté
Leonora, seine Tochter – Debra Hays
Pernille, Leonoras Zofe – Susanne Seefing
Nachtwächter / Festordner / Korporal Mors – Matthias Wippich
Magister – Andrew Nolen
Wachtmeister – Yasuyuki Toki
Rosenverkäuferin – Marianne Thijssens
Junge Mädchen – Sabine Sanz, Margriet Schlössels, Ariane Gdanitz, Christina Heuten, Lisa Kaltenmeier

Tanzensemble – Victoria Hay, Yasuko Mogi, Camila Matteucci, Fabio Toraldo, Raphael Peter, Takashi Kondo

Chor des Theater Krefeld und Mönchengladbach
Niederrheinische Sinfoniker