27. April 2013

Lucrezia Borgia – Andriy Yurkevych.
Deutsche Oper Berlin.

18:45 Uhr Einführung, 19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 6, Platz 26



Ab nach Berlin zur Gruberova-Show. Zumindest hatte ich mir das so vorgestellt, aber der Abend hielt dann doch noch andere Überraschungen bereit. Ein exzellentes Ensemble beispielsweise, das meine Befürchtung einer einseitigen Fokussierung auf die Koloratur-Diva grundlegend widerlegte. Und damit meine ich nicht nur die weiteren Hauptrollen, die wahrlich Weltklassequalität bewiesen, sondern jeden einzelnen, der sich heute befrackt vor dem Orchester ans Publikum wandte.

Auch ohne Kostüm und Kulisse übertrug sich da Vieles an Atmosphäre und Zwischentönen der Handlung, nehmen wir einmal die etwas kleinere Rolle des Rustighello, in der Alvaro Zambrano List und Tücke ausstrahlte, oder aber Alex Esposito als alles beherrschender Herzog – wenn Blicke töten könnten! Aber es ist ja nicht mit der Mine, dem Auftreten getan, in diesem Fall komplettieren jene eine stimmliche Präsenz, die geradezu Ehrfurcht gebietend ist. Allein um diesen Künstler zu hören, hätte sich die Reise schon gelohnt. Aber gemach – die Liste der musikalischen Schönheiten ist lang heute.

Pavol Breslik scheint mir den Idealtypus für solche Tenorpartien zu sein, eine Stimme voll Herzblut und Strahlkraft, gleichermaßen klangschön wie energisch, dazu deutete er bereits mit wenigen Gesten an, daß er auch darstellerisch über erhebliches Charisma verfügt. Ähnliches läßt sich über Jana Kurucová sagen, die in der Hosenrolle des Maffio glänzte (das beileibe nicht nur durch den Glitzerblazer im zweiten Akt) und die Herrenriege mit ihrem klaren, flexiblen Mezzo bereicherte. Und auch wenn er quantitativ nur eine Randfigur des Abends darstellte, hinterließ der volltönende, wunderbare Bass des Tobias Kehrer umso deutlicher einen bleibenden Eindruck. Chor und Orchester folgten dem knackigen Dirigat, das immer wieder für intensive Momente sorgte, beispielsweise in der mitreißenden Tempoverschärfung zum Ende des ersten Aktes – das knallt ordentlich!

Und natürlich, es gab da ja noch diese gewisse Dame, deren Gestaltung der Titelpartie schon das ein oder andere Wort verdient hat. Um nur eines zu verwenden: phänomenal! Frau Gruberova bildet ohne Frage das Zentrum der Aufführung, bei jedem Auftritt scheint das Publikum wie elektrisiert zu sein. Neben der schier erschlagenden Elastizität ihrer feinen Stimme hat mich deren Kraft und Tragfähigkeit verblüfft. Wirklich unglaublich wird es dann, wenn der Begriff Nuance neu verhandelt wird – an einer Stelle hielt die Sängerin einen Hauch von Ton über eine gefühlte Ewigkeit, trotz der um sie herum stattfindenden, lauteren musikalischen Ereignisse absolut präsent, um diesen dann plötzlich in dynamische Höhen zu schrauben, die ihrer Rolle in dieser Situation unmißverständlichen Respekt einflößten. Frau Gruberova geht voll und ganz in dieser Partie auf. Sie umgarnt und verflucht, schmachtet und kämpft, triumphiert und leidet. Und auch wenn es vielleicht widersinnig klingen mag, ergibt sich gerade aus dieser größtmöglichen Verinnerlichung mein einziger Kritikpunkt: Ich kann mir nicht helfen, am Ende ist es mir doch etwas zu dicke mit dem Geschluchze, Geseufze und Geweine. Wahrscheinlich wird jetzt jeder Freund der italienischen Oper vor Empörung ob dieser frevelhaften Ketzerei auf- und der Dame zur Seite springen, aber so empfinde ich es nun mal – eine Spur zu viel.

Eine Spur zu wenig hingegen – um mich wenn schon, dann richtig in die Nesseln zu setzen – liefert mir das Werk an sich. Die Musik plätschert hübsch langweilig dahin, zwischendurch wird mal angezogen, aber gerade auf die Dauer ist die Oper mehr als eintönig. Zu mokieren, es passiere ja nicht viel und es würde eh nur rumgelabert, könnte natürlich auch jeden Parsifal-Verächter auf den Plan rufen, aber gut, die Geschmäcker sind eben verschieden. Mir persönlich wollen insbesondere Trink- und Schunkelepisoden der Weinseligkeit anfangs des zweiten Aktes einfach nicht munden. Auch diese ewigen „Überraschungsmomente“ wer jetzt wieder wen ver- oder entgiftet hat, entziehen sich meiner Vorstellung von Spannungsbögen.

Egal, genug geunkt, am Ende des Abends ändern auch musikalische Geschmacksvorlieben nichts an der Tatsache, daß mit dieser konzertanten Aufführung eine Qualität abgeliefert wurde, wie sie luxuriöser kaum denkbar ist. Ein orkanhafter, nach diversen Vorhängen kaum abflauender Beifall setzte diese Erkenntnis auch akustisch gebührend um.


Gaetano Donizetti – Lucrezia Borgia
Musikalische Leitung – Andriy Yurkevych
Chöre – William Spaulding

Don Alfonso d’Este – Alex Esposito
Lucrezia Borgia – Edita Gruberova
Gennaro – Pavol Breslik
Maffio Orsini – Jana Kurucová
Jeppo Livoretto – Paul Kaufmann
Apostolo Gazella – Andrew Harris
Ascanio Petrucci – Seth Carico
Oloferno Vitellozzo – Jörg Schörner
Rustighello – Alvaro Zambrano
Gubetta – Simon Pauly
Astolfo – Tobias Kehrer
Eine Stimme aus der Ferne – Tobias Kehrer

Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin