14. April 2013

Rienzi – Mihkel Kütson. Theater Krefeld.

19:30 Uhr, Parkett links, Reihe 4, Platz 125



Manchmal ist es das Beste, einfach nur die Geschichte zu erzählen. Autor und Werk zu vertrauen, ohne dem Ganzen noch einen drauf setzen zu wollen. Diese Ahnung beschlich mich seinerzeit bei Stölzls Rienzi in Berlin (Link), der trotz beeindruckender ästhetischer Geschlossenheit die Anlage der Oper einem Chaplin meets „Der Untergang“ opferte. Hier in Krefeld zeigte sich – wie schon bei meinem Erst-Rienzi in Bremen – daß der fünfaktige Aufbau mit seinen klaren Finalzäsuren der Struktur des Werkes und dem Ablauf des Abends ungemein gut tut. Steigerungen und Kontrastwirkungen der einzelnen Akte kommen viel besser zur Geltung, alles gestaltet sich weit weniger zäh, sondern im Gegenteil mitreißend und sich stetig steigernd. Auch in dieser Produktion nahm man diverse Striche vor, diese Kürzungen lassen den Fluss der Handlung jedoch nicht stocken, wie die zusammengepferchte Berliner Version.

Doch es liegt nicht allein an diesem formalen Unterschied, daß der Krefelder Rienzi sein Gegenstück an der Deutschen Oper letzten Endes aussticht, es ist das Gesamtpaket, das überzeugt. Matthias Oldag und sein Team haben einen großen Anteil daran. Das Geschehen ins Heute zu verlagern, ist dabei kein Akt der Willkür, sondern markiert in der Szenenfolge sehr klar und fasslich die verschiedenen Aggregatzustände der übergeordneten wie individuellen Entwicklung. Die einzelnen Bilder zeichnen den Aufstieg und Fall des Tribuns dabei sehr deutlich als politische Fieberkurve nach und könnten auch mit einzelnen Kapitelüberschriften versehen sein: Zeit des Aufruhrs; Der Hoffnungsträger; Der Medienwahlkampf; Wahlsieg, Staatsbankett und Attentatsversuch; Der Krieg gegen innere und äußere Feinde; Der Hoffnungsträger wird zum Despoten; Auflehnung und Revolution.

Die vielfältigen aktuellen Bezüge bannen ebenso geschickt wie unaufgesetzt eine mögliche Historienschinkengefahr und lassen das Werk vielmehr als überzeitliche Parabel über Machtstrukturen und Machtmißbrauch wirken, die uns auch heute etwas zu sagen in der Lage ist. Dabei wird durch die Wahl der verwendeten Videoausschnitte eine allzu einseitige Sicht und Wertung von vornherein vermieden. Verschiedene Facetten der Inszenierung von Macht und Mächtigen kommentieren die Geschehnisse auf der Bühne. Der ebenfalls als Heilsbringer bejubelte Obama im Sternenbanner-Meer oder Putins dominantes Auftreten, diese Bilder schaffen eine Atmosphäre der Ambivalenz, vor allem unter dem Gesichtspunkt der auch auf die Bühnenhandlung übertragenen Rolle der Medien. Die Kameras begleiten Rienzis fulminanten Aufstieg, bieten ihm ein Forum für sein Sendungsbewußtsein.

Eine besonders gelungene Aktualisierung stellt die Szene des Staatsbanketts nach dem Wahlsieg dar. Wie hier beispielsweise die naive Huldigung durch das Ständchen oder die verlogen heuchlerische Integration der Nobili in Szene gesetzt wird, die schließlich das Attentat zur Folge hat, schlägt ebenso sinnhaft wie eindrucksvoll die Brücke von spätmittelalterlichen zu heutigen Gepflogenheiten. Die Zusammenkunft der Verschwörer schließlich vor fallenden Aktienkursen stattfinden zu lassen, könnte durchaus auch als ironischer Kommentar auf die Motivation der selbstlosen Staatsretter zu verstehen sein.

Und auch das Persönliche, Menschliche hat in dieser Regiearbeit eindringliche Momente, namentlich im hin und her gerissenen Adriano und natürlich im geistigen Niedergang Rienzis. Schon am Ende des zweiten Aktes, nachdem das Attentat gescheitert ist und er seine Feinde begnadigt hat, bleibt Rienzi allein vor dem Vorhang zurück – ein erstes Anzeichen für seine zunehmende Isolation schon in diesem Moment des (scheinbaren) Triumphes. Verstörend dann sein Auftritt zu Beginn des letzten Aktes, als er, bloß mit einem Hemd bekleidet, die trügerische (Papp-)Krone auf seinem Haupt, inmitten der verstreuten Buchstaben-Insignien seiner Macht, selbige noch einmal bei höchster Instanz zu beschwören sucht.

Jon Ketilsson besitzt vielleicht kein Riesenorgan, jedoch durchaus die stimmlichen und darstellerischen Qualitäten, diesen Abend zu tragen. Dabei steht er einem sehr ausgewogenen Ensemble vor, das durch die Bank zu überzeugen weiß. Es gibt ein Wiedersehen mit einigen Mitwirkenden der starken Gladbacher Maskerade-Premiere (Link), die Stimmen wirken auf dieser großen Bühne teilweise etwas weniger präsent, der positive Gesamteindruck bestätigt sich jedoch ohne Abstriche. Herr Nolen ist wirklich ein Darsteller, der vor Spielfreude – und als Orsini vor Arroganz und Verschlagenheit – regelrecht zu platzen scheint. Der profunde Bass des Herrn Wittich sticht auch auf dieser Bühne eindrucksvoll heraus, alle weiteren Sänger machen ihre Sache ebenfalls sehr gut. Die stimmliche Einspringerin für Frau Günschmann integriert sich ohne Probleme. Die Orchesterleistung fällt ebenso mitreißend wie nuanciert aus, die Chöre wissen zu überzeugen, die Interpretation durch den GMD arbeitet die Kontraste der Partitur wunderbar heraus, kurz: Auch musikalisch ward der Rienzi in Krefeld ein Ereignis und Genuß.

An dieser Stelle noch mal ein kleines Beispiel für das glückliche Zusammenwirken von Musikalischem und Szenischem: Die vorbildliche Durchhörbarkeit und gleichzeitige akustische Präsenz beim Finale des zweiten Aktes wurde maßgeblich durch die günstige Staffelung von Chor (Mitte) und Nobili (Orsini Proszenium rechts, Colonna links) erzielt, die zudem auch inhaltlich die Zerrissenheit der Beteiligten Gruppen zum Ausdruck brachte – so einfach kann es gehen.

Womit der Bogen zur Eingangsbeobachtung geschlagen wäre. Einfach mal ein Stück nehmen, auf seine musikalische Qualität bauen und seine narratorische Wirkung – wirken lassen. Daß diese Herangehensweise mit Konservatismus oder gar Ideenlosigkeit nichts zu tun haben muß, davon kann sich ein jeder beim Niederrheinischen Rienzi überzeugen.


Richard Wagner – Rienzi
Musikalische Leitung – Mihkel Kütson
Inszenierung – Matthias Oldag
Bühne – Thomas Gruber
Kostüme – Henrike Bromber
Choreinstudierung – Maria Benyumova
Dramaturgie – Andreas Wendholz

Rienzi – Jon Ketilsson
Irene, seine Schwester – Anne Preuß
Steffano Colonna, Haupt der Familie Colonna – Hayk Dèinyan
Adriano, sein Sohn – Eva Maria Günschmann (szenisch), Alla Perchikova (Gesang)
Paolo Orsini, Haupt der Familie Orsini – Andrew Nolen
Kardinal Orvieto – Matthias Wippich
Baroncelli – Walter Planté
Cecco del Vecchio – Rafael Bruck

Chor und Extrachor des Theater Krefeld Mönchengladbach
Statisterie des Theater Krefeld Mönchengladbach Niederrheinische Sinfoniker