Die bereits dritte Zusammenarbeit auf der Bühne zwischen Malkovich, Sturminger und Haselböck hat das bislang zugänglichste, massentauglichste Programm hervorgebracht. Die Entwicklung von der monologischen One-Man-Show der „Infernal Comedy“ über das Ensemblestück der „Giacomo Variations“ (Link) geht hier in eine relativ klassische Richtung – ein „vollwertiges“ Theaterstück, ein Kammerspiel mit Musikbegleitung, ist das Ergebnis. Natürlich dient auch „Just Call Me God“ in erster Linie dazu, dem berühmten Schauspieler eine Bühne, in diesem Fall gar ein Podium, für die Entfaltung seiner selbst als darstellerische Naturgewalt zu bieten. Nach „Serienmörder“ und „Casanova“ stellt der Themenkomplex „Diktator“ die nächste Variation des ich-fixierten Dominators dar, die Malkovich auch gemäß der mit seiner Person (oberflächlich) verbundenen Rollentradition weidlich nutzt, um nach Herzenslust wahlweise zu sinnieren und zu schäumen.
Dass die Erschaffung einer Art personifizierten Diktatorenkaleidoskops gleichzeitig die Möglichkeit der eher archetypischen, überzeitlichen Behandlung des Charakters bietet, andererseits das Spiel mit Klischees und aus dokumentarischer wie filmischer Aufbereitung allseits bekannten Standardsituationen die Gefahr einer gewissen Vorhersehbarkeit in sich trägt, ist gleichermaßen Segen und Fluch für das Stück selbst. Dieses trägt letztlich nur bedingt als dramatische Handlung, dafür sind Aufbau und Wendungen zu sehr Versatzstücke aus Quellen, die man so oder so ähnlich an anderer Stelle bewusst oder unbewusst bereits aufgenommen und verinnerlicht hat. Aber wahrscheinlich ging es Sturminger auch weniger darum, das originellste Theaterstück aller Zeiten abzuliefern, als vielmehr den Déjà-vu-Charakter des despotischen Wahnes und seiner Folgen zu unterstreichen.
Sicher, das Stück bietet gute Unterhaltung, sogar eine Menge mehr Humor, als ich je bei dieser Thematik erwartet hätte (was im Nachhinein betrachtet absolut sinnvoll ist, um nicht den Tod der Betroffenheitsmonotonie zu sterben), aber „Just Call Me God“ ist da am stärksten, erschütterndsten, wo Sturminger Malkovich Grundsätzliches in den Mund legt, das in seiner Dichte und Schonungslosigkeit essentielle Fragen aufwirft. Wer oder was ist „das Böse“? Ab wann wird aus einem „guten“, dienlichen Machthaber ein „böser“? Welchen Anteil haben Politik und Medien an der Etablierung klarer Feindbilder – in Autokratien, aber auch in Demokratien? Es steckt schon etwas mehr in dem Libretto, als eine bloße Stichwortsammlung, nach der Malkovich publikumswirksam austicken kann.
Zur musikalischen Seite bleibt festzuhalten, dass sich die Orgel sehr wohl als akkompagnierendes „Machtinstrument“ eignet – welches noch dazu in diesem Saal herrlich klingt. Auch hier hat es mir, wie schon im Konzertbetrieb, der Bassbereich angetan. Sehr eindrucksvoll. Auf die elektronische Verfremdung von Instrument und Stimme zum Ende hin hätte ich verzichten können, obwohl diese Form der Steigerung ins Überlebensgroße dramaturgisch natürlich durchaus nachvollziehbar ist.
Fazit: Meine Idealvorstellung des heutigen Abends hätte wohl etwas anders ausgesehen – Malkovich am Pult, dazu die Orgel, sonst nichts. Keine Interaktion, keine Mätzchen, ein gestalteter Monolog statt Theater. Ob das abendfüllend funktioniert, kann ich nicht sagen. Der Versuch hätte zumindest vor gleichsam ausverkauftem Hause stattgefunden, soviel ist sicher.
Just Call Me God: A Dictator’s Final Speech
Buch, Regie und Produktion – Michael Sturminger
Orgel, Musikalisches Konzept und Produktion – Martin Haselböck
Bühne und Konzeption – Renate Martin, Andreas Donhauser
John Malkovich – Diktator Satur Diman Cha
Sophie von Kessel – Caroline Thomas
Martin Haselböck – Reverend Lee Dunklewood
Errol T. Harewood – Lt. Alexander Vronsky
Felix Dennhardt – Vincent Schluszman
Josef Rabitsch – Joseph Sokol
Valentin Ledebur – Neil Forrester
Franz Danksagmüller – Live-Elektronik und Sound-Design
Mit Auszügen aus:
Johann Sebastian Bach – Toccata und Fuge d-Moll BWV 565
Richard Wagner – Der Ritt der Walküren
Johann Sebastian Bach – Alle Menschen müssen sterben BWV 643
Johann Sebastian Bach, Franz Liszt – Variationen über „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ S 180
Martin Haselböck – A whiter Air (Bach); The Grand Anthem (Charles Ives – Variations on America)
Errol T. Harewood – Lt. Alexander Vronsky
Felix Dennhardt – Vincent Schluszman
Josef Rabitsch – Joseph Sokol
Valentin Ledebur – Neil Forrester
Franz Danksagmüller – Live-Elektronik und Sound-Design
Mit Auszügen aus:
Johann Sebastian Bach – Toccata und Fuge d-Moll BWV 565
Richard Wagner – Der Ritt der Walküren
Johann Sebastian Bach – Alle Menschen müssen sterben BWV 643
Johann Sebastian Bach, Franz Liszt – Variationen über „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ S 180
Martin Haselböck – A whiter Air (Bach); The Grand Anthem (Charles Ives – Variations on America)
Martin Haselböck, Franz Danksagmüller – Sound Collage; Grand Organ Macabre Harmonica; Bigger Than Life! / Grand Organ Improvisation / Psychocratic Barground Improvisation; Grand Organ Cacophonia; The Final Waltz (César Franck – Prélude op. 18/1 & Franz Schubert – Klaviersonate D 959/2)