16. September 2023

Pelléas et Mélisande. Budapest Festival Orchestra –
Iván Fischer. Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Auch wenn Debussy insgesamt betrachtet nicht wirklich zu meinen ausgemachten Lieblingen zählt, genauer gesagt in die Kategorie "zweifellos erste Liga aber nicht mein Spielsystem" fällt, hat mich seine einzige vollendete Oper schon seit dem ersten Kennenlernen gleichermaßen angesprochen wie fasziniert. Als unachtsamer Abonnent war ich davon ausgegangen, das Werk nach ein paar Produktionen an Opernhäusern diesmal wohl konzertant in der Elbphilharmonie zu erleben. So weit, so falsch, wie spätestens bei Saaleinlass der Blick auf die Bühne verriet: Allerlei knorriges Gehölz überwucherte weite Teile des Orchesterraums und die Plätze der Musiker gleich mit. Durchgehender Waldboden, ganz vorn ein Brunnen, im Hintergrund angedeutete höfische Architektur, zur Illumination ein paar Neonröhren. 

Später gesellten sich die Sänger in einfachen, "traditionellen" Kostümen hinzu sowie die Orchestermusiker nebst Dirigent in langen "Waldgewändern". Die Inszenierung, wohl von Iván Fischer selbst und einem Herrn Gandini erdacht, lieferte jetzt nicht unbedingt eine tiefenpsychologische Auslotung, wie sie dem Gehalt des Werks angemessen wäre, sondern sorgt dafür, dass die beteiligten Sängerdarsteller gemäß der Handlung ein bisschen was zu tun haben, schafft Orte, an denen sie rumstehen können, so dass der Abend für den Debussy-Unkundigen sicher deutlich verdaulicher geriet. Simpel aber dienlich, könnte man zusammenfassen. Die deutschen Übertitel taten das Ihrige dafür – die Atmosphäre im leider mit Lücken besetzten Saal war insgesamt in Ordnung. 

Die per Hebebühne emporsteigenden Schloss-Elemente hatten zudem den Vorteil, dass die Sänger ihre Beiträge oft von hinten über das Orchester hinweg liefern konnten, was bekanntlich die ratsame Konstellation in der Elphi darstellt. Die Stimmen wurden aber ohnehin nie verdeckt, Kraft der allgemein sehr transparenten Partitur und Fischers umsichtigen Dirigates. Gesanglich bot die Besetzung keine Schwachstellen, die Akustik bietet eh ein Fest für Zartheiten – an denen es im Werk nicht mangelt und die allen voran von Frau Petibon entsprechend zauberisch gestaltet wurden, nicht allein im entrückt-bedrückenden Finale. 

Es gibt unzählige Gründe, nicht zuletzt Noten, warum ich diese Oper sehr gerne mag. Melisandres Arie vor dem Treffen mit Pelleas zum Beispiel und die darauf folgende Szene zu zweit: das Haar, die Liebe – ein Leuchten nach langem Darben in bedrückendem Zwielicht. Womit nicht nur das Paar, sondern auch der Hörer gemeint sind. Erst das weitgehende Verharren in musikalischem Halbdunkel bis zu diesem Moment lässt ihn selbst so strahlen. Oder die charakterlichen Finessen der Partitur: wie sich etwa der Stimmungswandel des Golaud auch durch stimmlichen Wandel manifestiert, wie seine (scheinbare?) Güte in Härte umschlägt, nicht nur gegenüber Melissande, sondern vor allem in den Szenen mit Ynoild. Es hilft natürlich, wie genial diese Ambivalenz schon im Text angelegt ist, wenn er beispielsweise noch in vermeintlich liebevollem Ton zu Mellisande sagt: "Deine Hände, die ich wie Blumen zerdrücken könnte ...".

Was kann ich noch als Debussy-Laie sagen? "La Mer" klingt des Öfteren an. Wenig Wagner, einmal Waldweben, teilweise Parsifal, aber insgesamt klar das eigene, zarte Gespinst Debussys – mustergültig dargeboten von allen Beteiligten, aber nicht unbedingt einfach für die Konzentration – Kontraste im Kleinen, wenig Tempoverschärfungen und eben der bereits angesprochene düster-nebulöse Grundton, der sich wie ein schweres Tuch über weite Teile der Oper legt. Kurz: Genau mein Ding.


Pelléas et Mélisande – Claude Debussy
Oper in fünf Akten

Bernard Richter – Pelléas
Patricia Petibon – Mélisande
Nicolas Testé – Arkel
Yvonne Naef – Geneviève
Tassis Christoyannis – Golaud
Oliver Michel – Ynoild, Sohn von Golaud
Peter Harvey – ein Arzt/ein Schäfer

Anna Biagiotti – Kostüme
Andrea Tocchio – Bühnenbild
Tamás Bányai – Licht
Róbert Zentai – Technischer Direktor
Wendy Griffin-Reid – Bühnenmanager
Heide Stock – Regieassiszenz
Iván Fischer und Marco Gandini – Regie
Musikalische Leitung – Iván Fischer
Budapest Festival Orchestra


10. September 2023

Bayerisches Staatsorchester – Vladimir Jurowski. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Richard Wagner – Vorspiel zu »Tristan und Isolde« WWV 90
Alban Berg – Konzert für Violine und Orchester »Dem Andenken eines Engels« (Vilde Frang – Violine)

(Pause)

Richard Strauss – Eine Alpensinfonie op. 64
Zugabe:
Richard Wagner – Vorspiel zum 3. Akt zu »Die Meistersinger von Nürnberg« WWV 96



Tristan: erster Eindruck sehr langsam, in der weiteren Entwicklung aber absolut zwingend, ja soghaft. Volltreffer, auch aufgrund des abgeänderten Schlusses – eine Art Mini-Liebestod für den Konzertgebrauch?

Berg: Frang gewohnt sensibel und zart, Eindruck insgesamt stark, am besten im intimen Schluss.

Strauss: Licht und Schatten im Gebirge. Dynamikprobleme? Fortissimo entfaltet nicht so recht Druck? Interpretation evtl. nicht flexibel genug, zu strikt/steif? Unterm Strich aber dennoch (wie immer) ein Erlebnis.

Zugabe: Meistersinger Vorspiel 3. Akt – Wahnmonolog instrumental als Statement gegen den Krieg ohne Worte. Sehr innig und warmherzig vorgetragen.






28. März 2023

City of Birmingham Symphony Orchestra – Mirga Gražinytė-Tyla. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Edward Elgar – Konzert für Violine und Orchester h-Moll op. 61
(Vilde Frang)

(Pause)

Sergej Prokofjew – Romeo und Julia / Ballett op. 64,
Auszüge zusammengestellt von Mirga Gražinytė-Tyla



Elgar: Muss erst noch mit dem Stück warm werden, aber der dritte Satz hat mich doch überzeugt – endlich mal kein rein virtuoser Bravur-Rausschmeisser, sondern facettenreich und tiefgründig wie der Rest. Das Finale will nicht überwältigen, sondern erzählt die Geschichte konsequent zu Ende. Frang mit phänomenaler Leistung, leider durch bildungsferne Laberspacken hier und da arg gestört. Birmingham wie eh und je – schön, aber nicht top. Blech z.B. kein Vergleich zu San Francisco, weniger technisch als von der Farbe. Mir zu normal, zu leicht. Dirigentin macht nen guten Job, insbesondere bei den zarten Stellen – an denen Elgar keinesfalls gespart hat.

Prokofjew: Die wohlbekannte Stücke aus den Suiten bringen die abschließende Erkenntnis über die Kombination Birmingham/Gražinytė-Tyla: gewogen und für zu leicht befunden. Alles ganz in Ordnung, sowohl in Bezug auf Klang, Technik und Interpretation, aber eben auch keine Darbietung, die aufhorchen lässt. Vor allem die Stellen mit Schmackes zu brav, das ist mir unterm Strich zu gepflegt. Ein akustisches Kuriosum sei noch erwähnt: Die Verwendung der Militärtrommel ergab jedesmal ein äußerst unschönes Echo von der linken Seite (Blickrichtung Bühne) – ob es an der Position des Solisten lag? Hatte ich in der Penetranz noch nicht erlebt. Im Rückblick ein Konzert der Kategorie „Kann man machen“ mit dem Highlight Vilde Frang.


15. März 2023

San Francisco Symphony – Esa-Pekka Salonen. Elbphilharmonie Hamburg.

19:00 Uhr Einführung mit Ivana Rajic,
20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Steven Stucky – Radical Light
Samuel Barber – Konzert für Violine und Orchester op. 14 (Johan Dalene)
Zugabe: Eugène Ysaÿe – Sonate e-Moll op. 27/4 für Violine solo

(Pause)

Esa-Pekka Salonen – Nyx für Orchester
Béla Bartók – Suite aus »Der wunderbare Mandarin« Sz 73
Zugaben:
Jean Sibelius – Valse triste / aus der Schauspielmusik zu »Kuolema« op. 44
Richard Wagner – Vorspiel zum 3. Aufzug aus »Lohengrin« WWV 75



Die Einführung brachte außer einer kurzen Vorstellung der Werke und der Erkenntnis, dass die Saalakustik bei der Beschallung durch die Deckenlautsprecher leider kein Selbstläufer ist, ein kurzweiliges Interview mit dem Soloposaunisten des Orchesters, das einige Einsichten ins Orchesterleben und die Arbeit mit Salonen bot.

Dummerweise hab ich mir wieder keine Notizen gemacht, aber ich weiß noch, dass mir das Konzert und gerade auch die Kombination der (eher "modernen") Werke sehr gefallen hatte. Sowohl das Stück von Stucky als auch Salonens Eigenkomposition ließen nicht allein die Qualität des Orchesters zu Tage treten, sondern wussten schon beim ersten Hören durch ihr Material in den Bann zu ziehen. Mit dem Barber hingegen bin ich überraschenderweise nicht direkt warm geworden, womit ich so nicht gerechnet hätte. An der Interpretation Salonens oder dem Vortrag des vorzüglichen Solisten wird es definitiv nicht gelegen haben. 

Im "Wunderbaren Mandarin" glänzte Salonen wieder einmal mit ordentlich Schmackes und trieb die Recken aus San Francisco in ekstatische Regionen. Die beiden Zugaben hat er häufiger im Gepäck – zunächst den zwischen Melancholie und Wirbel changierenden Walzer, dann als glänzenden Abschluss die strahlenden Blechsalven des Wagnerschen Jubelvorspiels. Die Elphi bebt, die Elphi dankt.


23. Januar 2023

Netherlands Philharmonic Orchestra – Lorenzo Viotti. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Richard Wagner – Siegfried-Idyll E-Dur WWV 103
Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester B-Dur
KV 595 
(Maria João Pires)

Zugabe:
Wolfgang Amadeus Mozart – Adagio / aus: Sonate für Klavier F-Dur
KV 300k

(Pause)

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Zugaben:
Wolfgang Amadeus Mozart – Ave verum corpus / Motette KV 618
Johannes Brahms – Ungarischer Tanz Nr. 5 g-Moll


Wagner: Orchester sehr schön, vielleicht nicht in jeder Beziehung überragend – Streicher toll, Bläser gut. Viotti mit sehr breitem Tempo, aber vor allem sehr, sehr zartem Ansatz. Beginn traumhaft hingehaucht, ebenso den Schluß ins Nichts verschwindend. Zwischendurch auch nicht lahm, hatte alles schon seinen Sinn. Was für ein Stück. Martha-Momente.

Mozart: es tut mir Leid, es hat keinen Zweck, es ist eine einzige Quälerei. Die Melodik lässt mich im besten Falle gleichgültig, oftmals aber eher abgestoßen zurück, die Harmonik hart unterfordernd bis einlullend – bin wieder mehrfach weggeknackt. Das schafft nur Mozart – auch ne Leistung. Dabei gibt es schon Abwechslung, aber keine interessante. Und diese zermürbenden Wiederholungen von Dingen, die meine Geduld schon beim ersten Hören strapazierten. Pires mit schön zartem Anschlag, doch was bringt es bei dem Material. Drei Sätze Zeit schinden. Kolossal unbefriedigend.

Brahms: Die Zweite entschädigt für das snoozefest vor der Pause, obgleich ich sie schon berührender erlebt habe. Aber was soll man erwarten, wenn selbst der Dirigent auf die üblichen Programmheft-Gemeinplätze verweist und die Sinfonie in seiner kleinen Anmoderation (machte er vor allen Stücken) als durchweg „heiter“ einstuft. Ist mir ein Rätsel, wie die Ambivalenz, das teilweise bittersüß Wehmütige, Zweifelnde, angesichts eines meinetwegen insgesamt als gelöst zu bezeichnenden Grundtones am Ohr vorbeigehen kann. Egal, bei Mahlers 4. ist der Fall ja ähnlich gelagert.

In der ersten Zugabe überrascht das Orchester mit seinen Chor-Qualitäten, ein ungarischer Tanz fungiert wieder mal als Rausschmeisser. Nett wars.