7. Oktober 2025

London Symphony Orchestra. Sir Antonio Pappano. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 1, Platz 13



Benjamin Britten – Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 15
Zugabe: Johann Sebastian Bach – Sarabande,
aus: Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004

(Pause)

Aaron Copland – Sinfonie Nr. 3
Zugabe: Jean Sibelius – Valse triste op. 44 Nr. 1

London Symphony Orchestra
Janine Jansen – Violine
Dirigent– Sir Antonio Pappano



Heute zur Abwechslung mal kein Abotermin, sondern eines der mittlerweile rar gewählten Einzelkonzerte. Ich habe mich gefühlt seit Verkündung des Saisonprogramms darauf gefreut und mir umgehend bei Verkaufsstart ein Ticket in bester Lage gesichert – trotz des happigen Goette-Tarifs. Mir ist in solchen Fällen natürlich bewusst, dass Premium-Preise keine Garantie für Premium-Erlebnisse bedeuten, aber wann erhält man schon mal die Gelegenheit, gleich zwei absolute Lieblingswerke in der Traumakustik der Elphi dargeboten zu bekommen, die nur äußerst selten den Weg auf die Spielpläne finden, und dann auch noch in potenzieller Topbesetzung – die Kombination LSO/Pappano wusste erst im Juni mit einem referenzgültigen Berlioz zu überzeugen (Link), Frau Jansen habe ich zwar lange nicht gehört (muss noch prä Elphi-Zeit gewesen sein), ist aber in bester Erinnerung abgespeichert. Darüber hinaus hatte ich dieses Konzert dazu erkoren, meine kürzlich immer wieder aufgekommenen Zweifel daran final auf den Prüfstand zu stellen, ob mir Etage 13, Bereich E immer noch als akustische Lieblingsecke taugt. Zusammenfassend also höchste Erwartungen an diesen Abend. Das kann erfahrungsgemäß eigentlich nur zu Enttäuschungen führen.

Umso trauriger, dass es wohl einer dieser unwahrscheinlichen Einhorn-Abende geworden wäre, an denen alles passt – Werkwahl, Interpretation und Ausführung, Atmosphäre im Saal – wenn, ja wenn letztere nicht in den monumentalen Steigerungen des ersten Satzes von Coplands Sinfonie durch ein besonders fehlgeleitetes oder krankes Exemplar der Spezies Störenfried in Tumult zerstoben wäre: es war akustisch nicht zu entschlüsseln, welches Problem der Herr unter dem Dach hatte, der da laut skandierend das Konzert fast zum Erliegen brachte und die Verletzlichkeit des Liveerlebnisses ebenso wie die Hilflosigkeit der Ordner auf das Schmerzlichste offenbarte, aber in diesem Moment habe ich mir gewünscht, das Pappano einfach den Taktstock sinken lässt und mal fragt, ob man die Pfanne heiß hätte.

Segen und Fluch der Professionalität – Pappano ließ nicht sinken und fragte nicht, sondern zog nach einem irritierten Blick nach oben durch. Und natürlich war dann selbst, nachdem der Gummizellenanwärter den Saal schließlich verlassen hatte (hat überhaupt jemand vom Personal eingegriffen?), die Konzentration beim Gros des Publikums inklusive mir im Allerwertesten. So rauschte der wunderbar beschwingt rhythmische zweite Satz an mir vorbei, während ich wieder um Fassung und Fokus rang. Bitter war das so oder so, zum Mäusemelken machte es der Umstand, mit jedem ausgeführten Takt aus Ahnung Gewissheit zu erlangen, dass ich diese von mir hochverehrte, ja heißgeliebte, herbeigesehnte Dritte, so schnell nicht wieder in solch vollendeter Gestalt, man muss es sagen, Perfektion, erleben werde. Dumm gelaufen.

Es fällt schwer, sich nach diesem Tiefschlag mit dem Positiven zu beschäftigen, aber die außergewöhnliche Qualität des Vortrags hat es nicht verdient, vom flüchtigen Schatten eines irrlichternden Spinners verdeckt zu werden. Also noch einmal von vorn. Brittens Werk thront in meinem privaten Violinkonzert-Pantheon auf gleicher Stufe neben den Schöpfungen von Beethoven, Brahms oder auch Sibelius. Gegenüber seinen ungleich bekannteren Geschwistern hat es bei der Allgemeinheit einen naturgemäß schwereren Stand, eben weil es recht selten auf dem Programm steht. Die Einspielung mit Britten selbst am Pult und Mark Lubotsky als Solist habe ich als großer Fan des Komponisten verinnerlicht, von daher war ich sehr gespannt, wie Herr Pappano und Frau Jansen es angehen würden.

Das London Symphony Orchestra unter Pappano ist schlichtweg ein Traum. Abgesehen davon, dass das Ensemble technisch wie klanglich keine Schwachstellen besitzt, stachen für mich das Blech und die Violinen nochmal besonders hervor: kommt es in der Elphi-Akustik bisweilen vor, dass die Streicher, vor allem die Violinen, bei erhöhter Tutti-Lautstärke tendenziell zu schwach wirken, war heute von diesem Effekt nichts zu spüren. Gerade die Geigen hatten heute eine Präsenz, die ihresgleichen sucht – von durchdringender Schärfe bis zum zartesten Tupfer. Da hat Pappano offenbar genau die richtige Balance zwischen den Instrumentengruppen gefunden. Das Blech wiederum hat generell einfach ein Timbre zum Niederknien, speziell wenn es mal richtig zur Sache geht.

Pappanos Interpretation fördert die Kontraste und verschiedenen Aggregatzustände innerhalb der Sätze wie satzübergreifend mustergültig zu Tage, aber natürlich spielt hier auch Frau Jansens Beitrag eine entscheidende Rolle. Hatte ich anfangs einen kurzen Irritationsmoment bezüglich ihrer Intonation (?), zog sie mich schnell mit einer zupackenden, elektrisierenden Lesart in den Bann. Ob bei den zarten, lyrisch-gesanglichen Passagen im Kopf- und Finalsatz, dem aggressiven Wirbel des scherzoartigen zweiten mit seiner wahnwitzigen Kadenz oder einfach im Ausloten einzelner, überirdisch schöner klanglicher Fingerzeige, bot Frau Jansen alles auf, was dieses vermeintlich sperrige Konzert so faszinierend und berührend macht. Das Leitbild ihrer Mitmusiker aufgreifend – Technik und Ausdruck in Perfektion, durch ihr solistisches Ausnahmetalent noch in andere Sphären transformiert. Verblüffender Zufall oder Zugabentradition – Die Bach-Sarabande hatte Frau Jansen auch „damals“ gespielt. Was dem Stück und ihrer Darbietung natürlich nichts an Intensität nahmen.

Coplands Dritte habe ich durch die Einspielung Leonard Bernsteins mit dem NY Philharmonic kennen und lieben gelernt. Vielleicht war die Sinfonie sogar das erste Hauptwerk des Komponisten und nicht das obligatorische (wunderschöne) Appalachian Spring, mit dem ich in Berührung kam. Nach der Beschäftigung mit dem Gesamtwerk des Amerikaners gab es – ganz ähnlich wie bei seinem englischen Kollegen – kein Werk aus seiner Feder, das ich nicht in mein Herz aufgenommen hätte. Auch wenn ich dabei neben Coplands oftmals reich besetzten Orchesterwerken und Balletten seine intimeren Arbeiten für die Kammermusik gleichermaßen schätze, nimmt die dritte Sinfonie doch einen besonderen Platz bei mir ein.

Jeder ihrer vier Sätze ist für sich ein Erlebnis, im narrativen Zusammenspiel der Gesamtanlage ergibt sich eine Offenbarung, die sich in gewisser Weise aus einer geistigen und emotionalen Verwandtschaft mit meinem Sinfoniker-Abgott Mahler speist. Und dabei meine ich weniger die Parallelen, die sich aus der riesenhaften Besetzung mit ausgeprägtem Blech-Schwerpunkt und mannigfaltigem Schlagwerk hier wie dort ergeben (Das LSO bot heute gar 5 Trompeten und 4 Posaunen plus Tuba statt der notierten 4/3/1 auf, was schon einen starken Mahler-6-Vibe mit sich brachte). Ähnlich wie bei Mahler breitet Copland mit seiner längsten, dabei, auf die reine Aufführungsdauer bezogen, vergleichsweise noch übersichtlichen Schöpfung für großes Orchester, mit allen verfügbaren klanglichen Mitteln eine Erzählung ohne Worte vor unseren Ohren aus, die in ihrer unmittelbaren Sprache und emotionalen Tiefe auch ganz ohne Programm im Sinne einer sinfonischen Dichtung ein berührendes, mitunter erschütterndes Tableau entwirft.

Pappano und sein Orchester nehmen uns mit auf diese hochemotionale Reise in einer Darbietung, die in punkto Technik wie Interpretation gleichermaßen unüberbietbar nachhallt. Es erübrigt sich in die Details zu gehen, da sich hier jeder der vier Sätze, ähnlich wie bei Bernsteins Referenzeinspielung, einfach so anfühlt, wie er Copland aus dem Herzen geflossen sein muss:

Der erste Satz mit seinem ruhigen, Wärme und Güte vermittelnden Beginn, fast schon an Mahlers „Wie ein Naturlaut“ aus der ersten gemahnend, bis sich der Konflikt in Form des aufsteigenden Blechmotivs mit Wucht ankündigt – in seinen Eingangsintervallen die erlösende Fanfare aus dem Finale in einer grimmigen Spielart vorwegnehmend. Die überbordende, ja ins Heroische gipfelnde Rhythmik des zweiten, welche die lyrische Episode des Trios einrahmt. Die eindringliche Wiederkehr des Konflikt-Themas im dritten Satz in den klagenden geteilten Streichern, die darauf folgende resignative, an Seufzer erinnernde Linie des Fagotts, begleitet von der Oboe, welche in das Flehen der Streicher übergeht, jäh in sich zusammenfallend.

Eine Ambivalenz aus Ohnmacht und Erwartung durchzieht dieses Andantino, für mich der ergreifendste der Sätze, etwa wenn dann die Flöte wie eine gütig gereichte Hand den Versuch unternimmt, durch die bleierne Schwere einen warmen Lichtstrahl zu senden, aufgegriffen von Oboe, Klarinette und Streichern – ein Moment der Hoffnung. In der Folge wechseln sich Zweifel und zarte Aufbruchstimmung ab. Die einsetzende Steigerung der durchgehend optimistischen, tänzerischen Passage wird wiederum von den Klagemotiven abgewürgt, welche den Satz in Ungewissheit, wie mit einem großen Fragezeichen, verebben lassen.

Die Antwort darauf setzt überirdisch schön die Zuversicht des aufsteigenden Fanfarenthemas, zuerst unwirklich zart von den Flöten und Klarinetten präsentiert, bis es vom strahlenden Blech zu triumphaler Pracht erhoben wird. Kämpferische und ungetrübt freudenvolle, überbordend tänzerische Elemente schrauben sich in ungeahnte Höhen, ehe die Entwicklung durch den Einfall harscher Dissonanzen ihr vorläufiges Ende findet. Die Zweifel sind zurückgekehrt, der Satz kommt fast zum Stillstand. Es obliegt wiederum den Flöten und übrigen Holzbläsern, den Keim für die endgültige Auflösung aller Konflikte und Fragezeichen zu pflanzen. Ein irisierender Klangzauber hält Einzug, begleitet von den Harfen und der Celesta, der Beginn der Sinfonie wird aufgegriffen, ein Funkeln und Schweben, Assoziationen an einen Flug über glitzernde Wellen stellen sich bei mir ein, bis dieses großartige Werk schließlich mit den finalen Steigerungsformen der Fanfare seinen krönenden Abschluss findet. Dankbarkeit.

Ach ja, da war noch was: Der angekündigte akustische Härtetest für E 13 geriet angesichts dieser epochalen Darbietung fast in den Hintergrund. Ob es hier wirklich einen Unterschied zwischen der ersten (heute) und dritten Reihe (mein Aboplatz) gibt, lässt sich anhand einer solchen Ausnahmeleistung wohl nur schwer sagen, ich bilde mir allerdings ein, dass dem tatsächlich so ist. Der Klang war diesmal jedenfalls, über die schon seit jeher geschätzte bestmögliche Transparenz hinaus, unfassbar präsent. Mal sehen, vielleicht versuche ich mein Abo tatsächlich in die erste Reihe umzutopfen. So oder so hat sich heute gezeigt, dass akustische Erfüllung auf E13 zweifellos möglich ist.

2. Oktober 2025

Orgel pur – Iveta Apkalna. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Arvo Pärt – Annum per annum
Pari intervallo (Fassung für Orgel)
Johann Sebastian Bach - Passacaglia c-Moll BWV 582
Arvo Pärt – Spiegel im Spiegel

(Pause)

Johann Sebastian Bach – Toccata und Fuge d-Moll BWV 565
Arvo Pärt – Trivium
Pēteris Vasks – Viatore (Wanderer) / Hommage à Arvo Pärt (Fassung für Orgel)

Zugabe: Lūcija Garūta – Meditation

Iveta Apkalna – Orgel



Spiegel im Spiegel, lese ich im Programmheft. Welches der Stücke Pärts war das nochmal, müsste ich doch kennen, denke ich so bei mir. Ach DAS, zuckt es mit einem Schmunzler durch meinen Sinn, als ich das erste Mal die Dreier-Tonfolge vernehme. Und dem ersten Mal sollten einige, nicht wenige Male folgen. Das Programm ist dem 90. Geburtstages des Komponisten gewidmet, fraglos einer der berühmtesten lebenden Tonschöpfer im Klassikbereich. Ohne die Lebensleistung des Esten in Frage stellen zu wollen, zeigt sich heute wieder, dass ich mit seinem Oeuvre einfach wenig anfangen kann (mit einer Ausnahme: Fratres).

Weder das wohlbekannte Spiegel im Spiegel, bei welchem ich immer an eine Verwendung als sentimentale Filmmusik denken muss (und das von jemandem, der originale Filmmusik ebenso wie Klassik liebt), noch die mir unbekannten Stücke waren heute in der Lage, mein Bild von seinen Kompositionen zu relativieren, das ich mit „einlullende Unterforderung“ zusammenfassen möchte. Wie gesagt, ohne mich wirklich vollumfänglich in Pärts Werkkatalog auszukennen.

Der Effekt bei „annum per annum“, der Orgel buchstäblich per Knopfdruck den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist nicht uninteressant – das in sich Zusammensacken der Klangkulisse hat eine unwirkliche, ja beinahe elektronische Qualität. Aber mehr als diesen Aha-Moment erlebe ich mit den ersten beiden Pärt-Stücken nicht.

Der Kontrast zu der von mir heiß geliebten Bach-Passacaglia könnte akustisch wie emotional kaum größer sein. Das in stetiger Variation majestätisch dahinmäandernde Werk zieht mich live immer wieder ebenso in seinen Bann wie in der Abgeschiedenheit des heimischen Musikrefugiums. Frau Apkalnas Interpretation weicht hier und da von dem mir achso Vertrauten ab, arbeitet andere Nuancen zu Tage, verfehlt ihre soghafte Wirkung aber keinesfalls.

Mir persönlich liegt die Passacaglia viel näher als der nach der Pause gespielte Superstar unter den Orgelwerken – nimmt man seine Bekanntheit und den Einsatz in allen möglichen und unmöglichen (pop-)kulturellen Zusammenhängen als Maßstab für solch eine törichte Kiesung. Klar, der Auftakt ist ein unkaputtbares Ausrufezeichen, der weitere Verlauf ein überaus abwechslungsreicher, energetischer Ritt. Dennoch ziehe ich die Gravitas und dichte Konsequenz der Passacaglia vor – wenn man überhaupt vor die Wahl gestellt werden möchte/sollte. Auf jeden Fall entfachte DIE Toccata und Fuge die meiste Begeisterung beim Publikum. Warum auch nicht – schön, das Stück wieder einmal mustergültig dargeboten bekommen zu haben.

Die anschließenden Werke von Pärt und Vasks konnten den Spannungsbogen dann nicht mehr halten. An das Pärt Stück habe ich bereits keine Erinnerung mehr, Vasks Wanderer hatte Potenzial, hätte für meinen Geschmack aber ruhig die ein oder andere Abkürzung nehmen sollen – es zog sich. Die Zugabe aus der Feder einer Landsfrau Apkalnas brachte noch einmal für ein paar Minuten in harmonisch reichem, spät-spätromantisch anmutenden Gewand frischen Wind in den Saal.

Abschließend noch ein Gedanke zu „Spiegel im Spiegel“: Vielleicht ist das Stück nicht unbedingt ideal für die Darbietung auf der Orgel? Die ursprüngliche Kombination von Klavier und Violine bietet in dem repetitiven, schlichten Gerüst ein ungleich intimeres Zusammenspiel, als es eine riesenhafte Orgel mit noch so viel Registerzauber vermag. Den Ausspruch Pärts aus dem Programmheft, „Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird“, möchte ich durchaus unterschreiben, wobei aus der Idee bei diesem Komponisten für mich leider nur in seltenen Fällen eine Umsetzung erwächst, die mich interessiert, geschweige denn berührt. Schade.

22. September 2025

Orchestra of the Royal Opera House – Jakub Hrůša. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Béla Bartók – Suite aus »Der wunderbare Mandarin« op. 19 Sz 73

(Pause)

Antonín Dvořák – Die Geisterbraut / Kantate für Soli, Chor 
und Orchester op. 69
In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Orchestra of the Royal Opera House
Royal Opera Chorus
William Spaulding – Chorleitung
Kateřina Kněžíková – Sopran
Nicky Spence – Tenor
Pavol Kubáň – Bariton
Dirigent – Jakub Hrůša



Einführung sehr informativ. Handlung/Struktur zum Mandarin anhand von Klangbeispielen für mich verständlich gemacht (Solo-Klarinette als Lockmusik der Dame/Tänze als Einführung der Herren/Blechglissando als Entree des Mandarin). Hörspielcharakter der Geisterbraut sehr griffiges Bild für die Kantate. Gemeinsamkeiten über die offensichtlichen Unterschiede der beiden Stücke hinweg hervorgehoben – in beiden wird eine Geschichte musikalisch erzählt, es geht es (auch) um Sehnsucht und Tod.

Bartok: ich mag das Stück sehr, steh halt auf Fratzengeballer. Interpretation völlig in Ordnung, Orchester insg. etwas zu brav/weich. Streicher schön, aber sehr mild, gehen schon anfangs etwas unter und geraten im rythmischen Finale dann vollends unter die Räder von Percussion und Bläsern.

Dvorak: Anfangs leichte Holländer Vibes. Dachte das Stück ist mir insg. zu brav (stimmt in gewisser Weise auch. vgl. z.B. eben den Holländer oder Berlioz’ Hexensabbat), aber es besitzt sehr wohl seinen Reiz. Abwechslungsreiche, eingängige Komposition. Arien schön, nach dem ersten Höreindruck aber nicht kolossal innovativ/herausstechend. Interessanteste Phase zweiter Auftritt Chor und Erzähler auf der „Reise“ (schaurige Atmo, Irrlichter, Frösche …). Klassische Strukturen (drei Teile der Reise/drei Gegenstände/dreimal wird der Tote vom Bräutigam erweckt …), Schlussarie der Braut durchaus berührend, innig, danach Anbruch des Tages mit Schmackes im Chor, Finale eher wohlig-mild als überwältigend. Passt aber von der Stimmung her. 

Insgesamt eher der subtile Grusel als Krassheiten und Schockmomente, harmonisch auch gemäßigt. Hat sich auf jeden Fall gelohnt, das mal gehört zu haben. Solisten gut, Tenor und Bariton hätten z.T. etwas mehr Durchschlagskraft vertragen können. Tenor aber schön wandlungsfähig von ambivalent/unnahbar bis offen verdorben. Viele Omas mit Frühstart oder Saalflucht beim Applaus. Für die Darbietung hätte der Jubel etwas größer ausfallen können. Übertitel waren sehr hilfreich, die Konzentration hielt komplett die 80 unbekannten Minuten durch. Warum nicht immer so?

29. Juni 2025

Symphoniker Hamburg – Sylvain Cambreling.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett Rechts, Reihe 6, Platz 15


Olivier Messiaen – Des canyons aux étoiles ... 
für Klavier, Horn, Xylorimba, Glockenspiel und Orchester

Nach dem Konzert: Martha Argerich, Adrian Iliescu, 
Clara-Jumi Kang, Timothy Ridout, Jing Zhao: 
Robert Schumann – Klavierquintett Es-Dur op. 44


Symphoniker Hamburg
Lucie Krysatis – Horn
Matthias Kessler – Glockenspiel
Alexander Radziewski – Xylorimba
Joonas Ahonen – Klavier
Dirigent – Sylvain Cambreling



Es ist wirklich nicht zu unterschätzen, wie sehr der Kenntnisstand über ein Werk dessen Aufnahme beim Liveerlebnis beeinflusst. Klingt nach Binsenweisheit, wurde mir heute aber bei Messiaens auf den ersten Blick alles andere als eingängigem Lobpreis der Natur nur allzu deutlich bewusst, das ich von den Symphonikern Hamburg unter ihrem Chefdirigenten erstmalig im Konzertsaal präsentiert bekam. Spätestens nachdem ich vor etwa einem Jahr der unvergesslichen Aufführung seiner Oper „Saint François d’Assise“ in der Elphi (Link) beiwohnen durfte, ist der Drang erwachsen, sich mit dem Gesamtwerk des frommen Vogelkundlers über „Turangalîla“ und „Quatuor pour la fin du temps“ hinaus zu beschäftigen. Wo ich bei vielen seiner Orgelwerke sehr schnell einen Zugang gefunden habe, war der erste Kontakt mit seinem umfangreichsten Orchesterwerk „Des Canyons aux étoiles ...“ eher ernüchternd. Begeistert die Turangalîla-Sinfonie vom Start weg mit einem Feuerwerk aus Rhythmik, Groove und Klangzauber, erschien mir die transzendentale Wanderung durch die nordamerikanische Wildnis anfangs unzugänglich, ja spröde und karg. Doch nach wochenlanger, konsequent wiederholter Beschäftigung mit der Komposition auf YouTube grinse ich auf dem Heimweg in mich hinein, weil Ohrwürmer vom Konzert nachhallen.

Ganz gleich ob mehrstündige Oper, große Sinfonie oder Liederzyklus, ob Barock, Spätromantik oder Moderne, in der Musik ist es wie mit eigentlich allen Leidenschaften – je mehr man „investiert“, desto mehr bekommt man auch zurück. In diesem Falle eben eine Komposition, die ich nach flüchtiger Betrachtung wohl als sperrig hinten angestellt hätte, durch die Saisonplanung der Symphoniker Hamburg nun nicht mehr missen möchte. Es ist faszinierend, wie sich das Ohr an komplexe Strukturen und ein Material jenseits eingängiger Melodien gewöhnen kann, wenn man ihm Zeit lässt. Und das nicht mit dem Ergebnis einer nüchternen Betrachtung oder Analyse, sondern direkter emotionaler Ansprache. „Des Canyons aux étoiles ...“ ist ein Werk voller Klangschönheiten bis hin zu unmittelbaren Naturillustrationen (Windmaschine, Donnerblech), seine in vielerlei Gestalt wiederkehrenden Themen erzeugen Staunen und berühren. Der immer wieder choralartig eingesetzte Bläsersatz hat es mir genauso angetan wie beispielsweise die lange Solohornpassage, eine ausdrucksstarke Klage mit wirklich allen Mitteln, die dem Instrument gegeben sind. Der Einsatz des Soloklaviers, vor allem in der Verarbeitung des thematischen Materials und (Neu-)Kombination, unter anderem mit den bei Messiaen fast schon obligatorischen Vogelstimmen, ist eine einzigartige Reise für sich, die den Fluss des großen Ganzen durchwebt.

Ich bin Sylvain Cambreling und seinem Orchester sehr dankbar, diesen aus Messiaens tiefem Glauben gespeisten Hymnus an die Schöpfung in solch vollendeter Weise zum ersten Mal live erlebt haben zu dürfen. Dass diese Aufnahme keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist, konnte man an den nicht wenigen schmerzlich beobachten, welche die „Gelegenheit“ zwischen den Sätzen nutzen, die Flucht zu ergreifen – womit wir wieder beim Anfang wären: von nichts kommt nichts, im Leben wie in der Musik. Ich jedenfalls war nach dieser Live-Premiere derart beseelt, dass ich auf das anschließende Schumann- Quintett mit Frau Argerich verzichtet habe. Wahrscheinlich als „Belohnung“ für all jene gedacht, die den Messiaen „durchgehalten“ haben, hat diese Zugabe für mich in der Stimmung einfach nicht gepasst. Trotzdem eine tolle Idee der Symphoniker, auch auf diese Art (Klang-)Welten zu verbinden.

26. Juni 2025

Orchestre Métropolitain de Montréal – Yannick Nézet-Séguin. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Maurice Ravel – La valse / Poème chorégraphique für Orchester
Barbara Assiginaak – Eko-Bmijwang (Aussi longtemps que la rivière coule)
Camille Saint-Saëns – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 22

Zugabe:
Isoldes Liebestod »Mild und leise wie er lächelt« /
aus der Oper »Tristan und Isolde« WWV 90
(Bearbeitung für Klavier von Zoltan Kocsis)

(Pause)

Piotr I. Tschaikowsky – Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 »Pathétique«


Orchestre Métropolitain de Montréal
Alexandre Kantorow – Klavier
Dirigent – Yannick Nézet-Séguin



Vor der Zugabe dachte ich noch: Kannste ja mal zur Abwechslung den Text zur ersten Halbzeit flink in der Pause tippen – Spitzenkonzert, dies und jenes Detail hervorheben, Kantorow für seine Technik in den Himmel loben, fertig. Und dann haut der gute Mann als Zugabe (wieder! (Link)) den Liebestod raus, so dass ich jetzt erst mal meine Murmeln sortieren muss.

Also hübsch der Reihe nach: La Valse ist vielleicht mein Lieblingsstück von Ravel und ich freue mich jedesmal wie ein kleines Kind, wenn diese elegante Monstrosität auf dem Programm steht. Nézet-Séguin erarbeitet mit seinen Landsleuten eine absolut schlüssige, fließend-transparente, kontrastreiche Interpretation mit Verve und Wumms, ohne es dabei vollends in Sachen Schärfe ausarten zu lassen. Ich kann damit wunderbar leben, auch wenn ich das Stück gern mal ein paar Schritte dichter zum Rande der Auflösung präsentiert bekomme. Es stellte sich heute wieder – wie schon bei meinen letzten Konzerten auf diesem Platz – ein bisschen die Frage, ob die Position immer noch mein bevorzugter Fleck in der Elphi ist, oder ob ich selbst bei solch groß besetzten Werken lieber näher am Geschehen wäre. Das Pendel schlägt wohl wie beim Mahler unter Mäkelä (Link) und van Zweden (Link) Richtung Letzteres aus. Aber wie bereits oft konstatiert, ein sehr transparenter, ausgewogener Klang dort, gerade bei leisen Stellen.

Das zweite Stück des Abends von Frau Assiginaak ruft leichte Appalachian Spring Vibes hervor. Indigenes Colorit, zum Teil ungewöhnliche Klangeffekte (mit Papier rascheln), generell viel Perkussion, insgesamt ein eher tonal gehaltenes, sehr zugängliches Werk.

Das zweite Klavierkonzert von Saint-Saëns ist mir recht gut bekannt, vollends warm werde ich wohl nie damit: Den ersten und dritten Satz empfinde ich als wunderbar, aber das kumpelig-schunkelige Thema des zweiten geht leider gar nicht. Das hat eine "Qualität", die Eumel zum Mitsummen einlädt … da bin ich komplett raus. Kantorow wie beim letzten Mal phänomenal, an manchen Stellen scheint es, als widersprächen seine Handbewegungen den Gesetzen der Physik – quasi ein glitch in der Matrix – eine im wahrsten Sinne für Ohr und vor allem Auge unfassbare Geschwindigkeit. Und dann halt die Zugabe. Der vielleicht beste Liebestod am Klavier, obwohl er die finale Steigerung superschnell nimmt, was eigentlich so gar nicht meinem Geschmack entspricht. Schwere Gedanken umwölken meine Sinne. Wir werden alle sterben, haben liebe Menschen verloren und werden weitere verlieren, aber auch das ist das Leben. Und es ist es wert.

Zum Abschluss Tschaikowsky – vielleicht die beste Sechste ever. Hatte nicht so richtig Bock drauf, Nézet-Séguin belehrt mich eines Besseren. Richtig Oooomph, lehnt/hängt sich wortwörtlich und im übertragenen Sinne rein. Artikulation sehr pointiert, dabei nie hart, immer organisch, trotzdem starke Kontraste in Dynamik (erster Satz ersterbende Holzbläser und dann Schlag auf die Omme), ppp zum Lufanhalten, oder Tempo (Mordsantritt dritter Satz,) treibt die Streicher zum Expressivsten, aber nicht kitschig, ehrlich tiefe Emotionen, Sehnsucht, Verzweiflung. Wenn das Hauptthema des Kopfsatzes erklingt, zerfließt man wie Butter. Dritter Satz Hammer!mässig. Mehr Trotz geht nicht. Den Finalsatz hatte ich nicht so stark in Erinnerung. Nicht nur Wehmut, sondern auch Kampf und Dampf. Choralstelle mit Posaunen und Tuba unanfechtbar. Solohorn topp! Zweiter Satz strotzt vor Eleganz, aber von der Komposition her nicht so meins. Standing ovations. Im nicht enden wollenden Jubel besucht Nézet-Séguin noch mal alle Stimmführer einzeln und geht vor ihnen auf die Knie. Klingt theatralisch, kam aber spürbar von Herzen: der Mann aus Montreal und seine Mitmusiker aus Montreal – eine magische Verbindung.