
Arnold Schönberg – Verklärte Nacht op. 4
(Fassung für Streichorchester)
(Pause)
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur
Royal Concertgebouw Orchestra
Dirigent – Klaus Mäkelä
Das Zwischenfazit bis zur Pause: Klaus Mäkelä verteilt gern große Schellen und ich halte liebend gern beide Wagen hin. Nach dem aufpeitschenden Sacre (Link) mit Paris nun zuerst mal eine Verklärte Nacht, die zum Anschauungsunterricht für im besten Sinne effekt- weil ebenso wirkungsvoll gesetzte Akzente diente. Eine bis ins Detail ausgefeilte Artikulation, Kontraste im Ausdruck, lassen – viel mehr als schroffe Tempowechsel – den Gedankenfaden, die soghafte Überführung von einem Spannungsbogen in den nächsten aufs Vollkommenste gelingen.
Dabei kommt das Werk in dieser Lesart verblüffend zugänglich daher, da sie eher das gesanglich Spätromantische als das Dissonante betont, ohne dabei die sich darin zweifellos türmenden, stauenden, schließlich lösenden Reibungen glattzubügeln. Das Beste aus zwei Welten, könnte man sagen. Der dumme Spruch von der verwischten Tristanpartitur als Errungenschaft entlarvt – Wagner 2.0 ohne Abziehbildcharakter in einer Konsequenz, wie ich sie bei sonst bei kaum einem Stück kenne. Schade, dass Kollege Schönberg dann einen anderen Weg eingeschlagen hat. Sicher, musste wahrscheinlich alles so sein, damit ich nicht um meinen Hindemith oder Britten gebracht wurde.
Die Streicher aus Amsterdam klingen wie erhofft/gewohnt makellos seidig, etwa bei dem flirrenden, etwas an das Siegfried-Idyll erinnernden Intro zur darauf folgenden Passage im letzten Drittel ohne Schwere und Zweifel, oder auch bei dem ein oder anderen Zauberpianissimo gegen Ende. Zupackend geht aber selbstredend ebenfalls. Oder um den Bogen zum vorweg genommenen Zwischenfazit zu schlagen: bei Mäkelä folgen auf starke Gesten starke musikalische Momente. Leider bewegten sich Teile des Publikums nicht auf diesem Niveau – viele dumme Huster an sensiblen Stellen. Diesem Umstand war auch nach der Pause keine Besserung beschieden, im Gegenteil.
Ich Frage mich, wie groß der Anteil dieser Störfaktoren daran war, dass aus einem zur Pause schon sicher geglaubten Gesamt- nur ein Zwischenfazit wurde. Ich habe die Erste jetzt eine ganze Weile live nicht mehr gehört, aber sie ist mir wie all ihre Schwestern lieb und teuer, war sie doch (neben der Fünften) mein Einstieg in den Mahlerkosmos – Kubelik sei Dank. Diverse Gesamteinspielungen und Einzelaufnahmen sowie natürlich Liveerlebnisse später, hat sich mehr oder weniger herausgestellt, wie „mein“ Mahler sein muss, damit sich die himmlischen Freuden manifestieren. Wohlgemerkt führen dabei für mich durchaus mehrere Wege nach Wien (oder Iglau), von Soltis Starkstrom bis Maazels Wonnenmäander, oder, um beim Livevergleich zu bleiben, die Angebote von so verschiedenen Dirigenten wie Gergiev (Link), Honeck (Link) oder Salonen (Link) – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Umso schwieriger fällt es mir dennoch herauszuarbeiten, warum es Herrn Mäkelä heute nur in Maßen gelungen ist, mein Mahler-Herz zum Glühen zu bringen, obwohl eigentlich alle Vorzeichen (Schostakowitsch (Link), Strawinsky und jetzt der Schönberg) dafür sprachen. Und nein, eine überhöhte Erwartungshaltung möchte ich diesmal definitiv ausschließen – dafür sind die Passagen dieser Sinfonie, die mich mit dem richtigen Ansatz jedes Mal „kriegen“, einfach zu wirksam. Ich hatte den Eindruck, dass eben jene Züge, die mich ansonsten bei Mäkelä verzückt hatten, in seinem Mahler nur bedingt zünden. Auch hier nehme ich eine ungemein ausgeklügelte Konzeption in der Ausgestaltung der Artikulation wahr: was wird wann wie betont, geschärft oder gemildert. Und das alles ergibt auch vollkommen Sinn – nur eben keine Gänsehaut bei mir, geschweige denn mehr.
Es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte Mäkelä alles eine Spur zu sehr unter Kontrolle, dabei befeuert er seine Orchesterkollegen stetig mit neuen Impulsen. In meinen Ohren stet Mahler ein „Ohne Rücksicht auf Verluste“ gut zu Gesicht, sich immer wieder (fast) zu verlieren, um sich neu sammeln zu können, ein Ringen, Quälen, Schnaufen und Fiebern, aus dem einen Oasen der Wehmut, Sehnsucht oder Kontemplation kalt und heiß erwischen. Geschichten ohne Worte, allgemeingültige Seelenaggregatszustände, eben eine ganze Welt in Tönen, wie sie Mahler besingen wollte. Heute habe ich leider in jedem der vier Sätze mehr Musik als Welt vernommen. Das ist nicht schlecht, handelt es sich bei Mahlers Stimme doch um eine, die für mich durch kaum eine andere übertroffen wird. Umso schmerzlicher wiegt da das, was hätte sein können.
Was hätte mir mehr zugesagt? Mehr Rubato? Tempokontraste? Eine Prise Chaos? Unsauberkeit? – der Effekt der in den „Trauermarsch“ reingrätschenden Kapelle im 3. Satz geriet für meine Begriffe einfach zu brav, zu kontrolliert, um nur ein kleines Beispiel zu nennen. Und inmitten aller Wucht und niederschmetternder Vehemenz des Finalsatzes muss das zarte, liebliche Thema diese Schwere und Verzweiflung durchbrechen wie ein Gedanke aus kaum erreichbar geglaubter Sphäre an die liebste Person, die man auf Erden kennt. Klingt zu kitschig, nach zu viel Pathos? Vielleicht ist es auch das – mein Sehnen nach Pathos (und Verausgabung).
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mäkeläs Interpretation ist nie langweilig, in jedem Takt stimmig und definitiv „objektiv“ gesehen auch mitreißend. Spätestens im Finale, wenn er das Gewölbe des Schlusschorals in all seiner gleißenden Pracht und unmissverständlichen Wucht vor unser aller Ohren auftürmt, mit einem Schlussantritt, der seinesgleichen sucht, hat er auch den letzten im Saal von der triumphalen Schönheit dieser Musik überzeugt. So hält es unmittelbar an den Nachhall der Weltumarmungsexplosion kaum jemand auf den Sitzen, einen solch heftigen Standing-Ovation-Drang habe ich in der Elphi selten erlebt. Am Ende also doch wohl mein „Problem“, denn nur mit Mäkeläs sicher für die Kernzielgruppe vorteilhaften Erscheinung eines Traumschwiegersohns ist ein solcher Reaktionsausbruch nicht zu erklären.
Zum Concertgebouw lässt sich wenig Neues sagen. Ein Orchester, wie ich es mir erträume. Wahnsinn, wie sich hier die Qualität des produzierten Klanges mit der Gnade der akustischen Transparenz des Saales paart – was gibt es da nicht alles zu entdecken und erlauschen. Auch eine Solotrompete, die für meinen Geschmack eine Spur zu spröde agierte, aber das war es dann schon an „Misstönen“. Wie gesagt, ich hätte mir hier und da sogar eher mehr Mut zur Hässlichkeit gewünscht, namentlich bei den Einwürfen der Holzbläser an der ein oder anderen exponierten Stelle. Aber es bringt herzlich wenig, auf mikrostruktureller Ebene zu forschen, warum ich heute nicht mitgenommen wurde. Die Verbindung der Amsterdamer Edeltruppe mit ihrem neuen Chef verheißt in jedem Fall Großes für die Zukunft, so fühlt es mein heute unbewegtes Herz umso stärker.