5. Juni 2017

Eröffnungskonzert des Vilnius-Festivals –
Elīna Garanča. Litauisches Nationaltheater Vilnius

19:00 Uhr, Stehplatz


Pjotr Iljitsch Tschaikowsky – Walzer aus der Suite „Schwanensee“
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky – Johannas Arie aus „Die Jungfrau von Orleans“
Emīls Dārzinš – Melancholischer Walzer
Camille Saint-Saëns – Dalilas Arie „Mon coeur s’ouvre à ta voix“ 
aus „Samson et Dalila“
Giuseppe Verdi – Ouvertüre zu „Die sizilianische Vesper“
Giuseppe Verdi — Arie der Eboli „O don fatale“ aus „Don Carlos“

(Pause)

Francesco Cilea – Adriana Lecouvreurs Arie 
„Ecco, respiro appena, lo son l’umile ancella“ aus „Adriana Lecouvreur“
Gaetano Donizetti – Vorspiel zum ersten Akt „La Favorite“
Pietro Mascagni – Santuzzas Arie „Voi lo sapete, o mamma“ 
aus „Cavalleria rusticana“
Amilcare Ponchielli – „Danze delle ore“ aus „La Gioconda“

Drei Napoleanische Lieder:
Stanislao Gastaldon – „Musica proibita“ (arrangiert von K.M. Chichon)
Paolo Tosti – „Non t’amo più“ (arrangiert von K.M. Chichon)
Paolo Tosti – „Marechiare“

Zugaben:
Ruperto Chapí y Lorente – „Carceleras“ aus der Zarzuela „Las Hijas del Zebedeo“
Augustín Lara – „Granada“

(Elīna Garanča – Mezzospran, Litauisches Nationales Symphonieorchester / Karel Mark Chichon)


Christophorus meint es auf meiner Tour durch das Baltikum offenbar gut mit mir – welch netter Zufall, dass ich just in der Stadt, die den Schutzpatron der Reisenden im Wappen trägt, in den Genuss eines unerwarteten, zusätzlichen Konzertvergnügens kam. Elīna Garančas erster Auftritt in Vilnius – da muss ich nicht zweimal überlegen. Erst recht, wenn Stehplatzkarten für den schmalen Reisegeldbeutel locken. 

Das Galakonzert markiert die Eröffnung des Vilnius Festivals, welches bis zum 22. Juni diverse ambitionierte Programme von Sinfonik bis Oper offeriert. Heute bot das Nationaltheater den festlichen Rahmen für den weltberühmten Stargast, die, gemeinsam mit dem Hausorchester unter der Stabführung ihres Gatten, eine bunte Mischung aus Arien, Liedern und Orchesterstücken aus Opern präsentierte. Ausverkauftes Haus, kurze, salbungsvolle Rede zur Einstimmung, gespannte Erwartung. Und Vilnius sollte nicht enttäuscht werden.

Hatte ich Frau Garanča erst einmal live in der Semperoper als Octavian erlebt, muss ich also bis nach Litauen kommen, um zum ersten Mal zur Gänze die Vorzüge dieser außergewöhnlichen Stimme zu erfahren. Ihr Mezzo ist sinnlich und samtig, vermittelt selbst bei voller Lautstärke und Spitzentönen nie auch nur den Hauch von Schärfe. Viel wichtiger noch als die reine stimmliche Qualität ist allerdings das enorme Einfühlungsvermögen, mit dem Garanča aus Gesangslinien mittels feinst abgestufter Phrasierungstechnik und Legatokultur dramatische Miniaturen formt. Empfindung und Ausdruck – Gesang als Mittler von Emotionen in Vollendung. Darüber hinaus besticht ihre Stimme nicht nur durch charakterliche, sondern auch technische Vielseitigkeit – von den langen, gebundenen Linien der Wehmut, die Johannas Abschied von der Heimat bestimmen bis hin zu den virtuos vorgetragenen Wendungen der feurigen Zugaben. Brava! – So schallt es zurecht durch den Saal, während es das Publikum nicht mehr auf seinen Sitzen hält.

Aber das Verdienst des Abends gebührt nicht allein der Ausnahme-Sängerin – Karel Mark Chichon erweist sich als idealer Begleiter, stimmt Lautstärke und Tempogestaltung perfekt auf die Solistin ab – ein ritenuto hier oder da, um eine besonders schöne Phrase auszukosten – deckt sie im Forte nicht zu, lässt ihr Timbre glühen und bereitet das hauchzarte Fundament für ihr berührendes Pianissimo. Umso erfreulicher, das Chichon hier in Vilnius mit dem Litauischen Nationalen Symphonieorchester einen Klangkörper von entsprechendem Format für derlei Nuancen vorfindet. So stellen dann ihrerseits die rein orchestralen Stücke mitnichten Lückenfüller dar, sondern halten das hohe Niveau des Abends.

Zum einen, weil Chichon spannende Lesarten präsentiert, bei denen er die richtige Balance zwischen Feinem (beispielsweise dynamische Abstufungen bis zum kaum wahrnehmbaren Pianissimo im Walzer von Dārzinš) und Zupackendem (Z.B. Kontraste „Sizilianische Versper“ / Tempoverschärfung letzte Takte „Danze delle ore“) wahrt, und eben weil das Orchester im wahrsten Sinne dabei mitspielt. Aus solistischer Sicht besonders hervorzuheben: der Klarinettist, der die entsprechenden Passagen in besagtem „Melancholischen Walzer“ äußerst sensibel ausführte.

Fazit: Weltklasse in Vilnius – eine Festivaleröffnung, die sich auch international nicht zu verstecken braucht.