24. Mai 2017

Liederabend – Jonas Kaufmann.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12 Bereich A, Podiumsplatz
(freie Platzwahl – Reihe 2, Platz 5)



Franz Schubert – Die Bürgschaft D 246

Henri Duparc – Fünf Lieder
L'invitation au voyage
Phidylé
Le manoir de Rosemonde
Chanson triste
La vie antérieure

(Pause)

Franz Liszt – Tre Sonetti di Petrarca S 270/1 / Erste Fassung

Richard Strauss – Sieben Lieder
Heimliche Aufforderung op. 27/3
Wozu noch, Mädchen, soll es frommen op. 19/1
Breit' über mein Haupt dein schwarzes Haar op. 19/2
Ich liebe dich op.37/2
Befreit op. 39/4
Freundliche Vision op. 48/1
Cäcilie op. 27/2

Zugaben:
Richard Strauss:
Ich trage meine Minne op. 32/1
Zueignung op.10/1
Morgen! op. 27/4



So sieht man also von der Bühne aus. Die Aussicht in den Saal ist von hier noch eine Spur imposanter – ich habe auf einem Stuhl der vier zusätzlich auf dem Podium aufgestellten, halbrunden Sitzreihen Platz genommen und beobachte, wie sich die verschachtelt aufsteigenden Ränge bis zur Decke langsam füllen. Ein Liederabend im Rücken des Sängers – ob das so eine gute Idee ist? Das Fazit vorweg: Nicht wirklich. Ich sitze so, dass ich Herrn Deutsch über die linke Schulter schaue, die Sicht auf die Klaviatur ist allerdings durch die Dame verdeckt, die ihm beim Umblättern der Noten behilflich ist. Herr Kaufmann entzieht sich nach der Begrüßung durch die Tatsache, dass ihn der Schalldeckel des Flügels verdeckt, mehr oder weniger komplett meinen Blicken. Sei´s drum, was wirklich zählt, ist schließlich der Klang. Der erste Eindruck daraufhin: oh, schade. Die Charakteristika dieser bekanntermaßen überwältigend schönen Stimme sind zwar zu vernehmen, aber eben rein indirekt. Zudem wird der Gesang doch sehr von der Begleitung dominiert, welche umso präsenter die wenigen Meter zu den Podiumsplätzen überbrückt. Ein Klavierabend mit dezenter Tenorbegleitung, könnte man festhalten. Bezogen auf die Wirkung des Klaviers hat das durchaus etwas – die Eingeweide eines Steinway auf den Seziertisch. Der Kasten klingt bombig, zumal Helmut Deutsch ein begnadeter Pianist mit traumhaft differenzierter Anschlagskultur ist – einen "echten" Klavierabend aus dieser Position kann ich mir durchaus vorstellen.

Aber heute ging es ja eigentlich um eine der betörendsten Stimmen unserer Tage. Die dramatische Szene Schuberts rauschte mehr oder weniger an mir vorbei. Die ganze Charakterarbeit, das Deklamatorische, bis hin zum Flüsterton, versang sich hinter der Steinway-Wand ins Unbestimmte des Saales. Etwas besser verhielt es sich dann mit den Liedern Duparcs, welche eine komplett andere gesangliche Herangehensweise erfordern. Legato, Schmelz, Sinnlichkeit. Darüber hinaus scheint die Begleitung hier etwas zurückgenommen. Allerdings machen die wenigen Momente, in denen Kaufmann sich leicht dem Pianisten zuwendet, schmerzlich deutlich, welch himmelweiter Unterschied zum Eindruck bestehen muss, den die Zuhörer auf der gegenüberliegenden Seite genießen dürfen. Duparcs Lieder haben es mir sofort angetan – gleich das erste transportiert den Hörer in eine ganz eigene, verwunschende Klangwelt. Umso frustrierender, dieser Kombination aus Ohrenspitzer-Programm und vollendeter Darbietung nur als Abglanz teilhaft zu werden. Dabei hatte ich fast vergessen, dass ich genau diese Lieder bereits 2012 in der Laeiszhalle mit Herrn Kaufmann erleben durfte (Link). Seinerzeit stand, beste Hörposition inklusive, ebenfalls Liszt auf dem Programm, allerdings erklangen mir die drei wunderbaren italienischen Sonette tatsächlich heute zum ersten Mal. Der Rest des Abends gehörte dann Strauss – insgesamt zehn Lieder inklusive Zugaben.

Über die alternativlose Qualität des Vortrages braucht es eigentlich keine weiteren Worte. Auch hier: Die Nuancen, die göttliche Phrasierung, das unnachahmliche Timbre, das den ganzen Saal füllende Strahlen – all das ist von meinem Platz leider nur ein matter Schatten. Bei der zweiten Zugabe, passenderweise der "Zueigung", macht Kaufmann singend eine Runde um den Flügel und beschert so auch den "Rückenplätzen" ihren Moment erhoffter Labsal. Ob Herr Lieben-Seutter dem Tenor wohl einen Tipp gegeben hat, als er nach der ersten Zugabe eilig den Weg Richtung Bühnenkatakomben antrat? Andererseits kann es nicht Aufgabe eines Sängers sein, seinen von Konzentration und Symbiose mit dem Begleiter geprägten Auftritt durch stetige Brummkreiseleinlagen derart anzupassen, um alle Zuhörer gleichermaßen zu "bedienen". Das größere Problem als der "statische" Kaufmann war heute meiner Ansicht nach eher die unvorteilhafte Einteilung der Preiskategorien. Der Podiumsplatz ermöglichte einen nicht uninteressanten Einblick, insbesondere durch die enge Tuchfühlung zum Pianisten – aber sollten diese Spezialplätze in der zweiten Kategorie angesiedelt sein? Sicher nicht. Wie gesagt, bei einem reinen Klavierabend mag das zutreffen, für die heute erlebte akustische Güte waren die Karten deutlich zu teuer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in der letzten Reihe auf Ebene 16, wohlgemerkt vor der Bühne, den Sänger schlechter vernommen hat als hier. Hätte man sich denken können, aber immer noch besser ein Kaufmann, der einem die kalte Schulter zeigt, als gar kein Kaufmann.