10. November 2024

Alexandre Kantorow. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Johannes Brahms – Rhapsodie h-Moll op. 79/1

Franz Liszt – Étude b-Moll »Chasse neige« /
aus: Études d’exécution transcendante S 139
Vallée d’Obermann /
aus: Années de pèlerinage, première année, Suisse S 160

Béla Bartók – Rhapsodie op. 1

(Pause)

Sergej Rachmaninow – Sonate Nr. 1 d-Moll op. 28

Johann Sebastian Bach / Johannes Brahms – Chaconne für die linke Hand /
aus: Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004

Zugabe:
Richard Wagner / Franz Liszt – Isoldes Liebestod aus »Tristan und Isolde« /
Bearbeitung für Klavier S 447'


Alexandre Kantorow – Klavier



Einer der intensivsten Klavierabende, die ich je erleben durfte. Gerade beim Liszt und Rachmaninow, aber auch bei der Bartok-Rhapsodie, die ich vom bloßen Hören nie diesem Komponisten zugeeignet hätte, entfaltet Kantorow einen regelrechten Rausch, zieht den Hörer Woge um Woge in ein Zauberreich der Klänge. Ich weiß nicht wie oft ich an diesem Abend mit einer Mischung aus Verblüffung und Verzückung gedacht habe "Ja, so in etwa muss sich das Publikum seinerzeit bei einer Darbietung Liszts gefühlt haben" – welche Grenzen sind diesem Instrument in solcher Behandlung überhaupt gesetzt? Ich habe selten derart angespannt einem Klavierspiel gelauscht, und das meine ich uneingeschränkt positiv. Gleichermaßen ist es mir selten so leicht gelungen, die Konzentration auf solch komplexe, mir bis auf den Brahms weitgehend unbekannte Musik zu halten, eben weil Kantorow die Intensität nicht einen Takt abflauen lässt.

Welch eine Seelenwanderung in Tönen! Beginnend mit der wunderbaren, bald düster aufwühlenden, bald zart berührenden Brahms-Rhapsodie bis hin zur Bach-Chaconne in der Bearbeitung eben desselben, in der die bewusst gewählte Limitation auf eine Hand zum Ereignis auswächst, gibt es in diesem Recital nicht einen Moment, der nicht die Erkenntnis des Außergewöhnlichen atmet. Als Kantorow seinen Vortrag dann auch noch mit dem Liebestod beschließt, ist es vollends um mich geschehen. Die Motivation, einen Klavierabend zu besuchen, ist sicher bei den geneigten Besuchern verschieden geartet, ich persönlich habe mich heute sehr gern mit dem Gefühl auf den Heimweg gemacht, mich erst einmal erholen zu müssen.

19. Oktober 2024

Lucerne Festival Orchestra – Riccardo Chailly.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Jean Sibelius – Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47

Zugabe:
Jonny Mercer – Freie Improvisation nach »Les Feuilles mortes« /
»Autumn Leaves«

(Pause)

Sergej Rachmaninow – Sinfonische Tänze op. 45

Zugabe:
Sergej Rachmaninow – Scherzo für Orchester in d-Moll


Lucerne Festival Orchestra
Daniel Lozakovich – Violine
Dirigent – 
Riccardo Chailly


Wahrscheinlich ist Sibelius´ op. 47 mein liebstes Violinkonzert überhaupt, von daher kann man da natürlich für mich viel falsch machen. Riccardo Chaillys Einspielungen sind ein vertrauter Bestandteil meines CD-Regals und gern gesehener Gast im Konzertsaal, heute war der Vortrag einfach nicht ganz auf meiner Wellenlänge, weder vom Timing des Solisten noch vom Dirigat her, ohne dass ich im Detail die Gründe dafür aufzeigen könnte. Nur dass es dabei eben wirklich um Details ging. Orchester klingt prima, Solist auf der Höhe, trotzdem halt nicht das, was ich erhofft hatte. Kann passieren. 

Umso spannender wurde es dann nach der Pause beim Rachmaninow: Orchester und Dirigent zeigen sich auf vortreffliche Art als Anwälte eines Werkes, das ich leider viel zu selten im Konzertbetrieb gehört habe. Finesse, Klangfarbenspiel, Transparenz und Fülle, Drang und Sehnen (allein die von Oboe und Klarinette initiierte, vom Saxophonthema geprägte Holzbläserpassage im ersten Satz!) und natürlich nicht zuletzt das titelgebend Tänzerische – Chailly bringt mit dem Lucerne Festival Orchestra alle Aspekte der Partitur vollendet zur Geltung. 

Ich glaube, der erste Satz ist mir auch der Liebste, mit seiner Mischung aus Wuchtigem und Wehmütigem, gefolgt vom ähnlich kontrastreichen dritten. Das Walzer-Andante hat selbstredend auch etwas, ich empfinde es allerdings tatsächlich mehr als schattenhaftes Bindeglied zwischen fulminantem Auftat und furiosem Finale und weniger als einen dieser ruhigen Sätze, die das emotionale Zentrum einer Komposition einnehmen – für die ich bekanntermaßen eine ausgeprägte Schwäche habe. Schwaches gab es an diesem Abend jedenfalls in keinem Takt zu beklagen, auch nicht in der Präsentation der Zugabe, eines Scherzo im Stile Mendelssohns aus der Feder des 14-jährigen Rachmaninow. Schön, auch mal solche Raritäten als Rausschmeißer kredenzt zu bekommen.

28. September 2024

Eugen Onegin – Vitali Alekseenok. Opernhaus Düsseldorf.

19:30 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 5, Platz 154



Unbeschriebene Blätter gibt es mannigfaltige – den Newcomer, den etablierten Geheimtipp, den Rampenlicht-Verweigerer. Vitali Alekseenok ist frisch gebackener Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein. Dass ich zuvor noch nie etwas von ihm gehört habe, ist nicht sein Problem. Dass sich mein Verlangen, mehr von ihm zuhören, nach heute definitiv in Grenzen hält, führe ich allerdings weniger auf weiße Blätter, denn seinen Umgang mit Tschaikowskys sicher nicht spärlich befüllter Partitur zurück.

So wird das nichts mit der Kober-Nachfolge. Zu Buche steht ein weitgehend konturloses Dirigat, besonders deutlich spätestens beim Beginn des dritten Aktes – kein Knack, kein Feuer. Man kann Alekseenok einzig zugutehalten, dass er es sich traut, das Orchester auch mal richtig leise spielen zu lassen. Stichwort „Lyrische Szenen“, aber auch hier nichts Epochales. Das Orchester insgesamt nicht mit dem besten Tag – Solohorn, Solocello etc. Abstimmung mit Chor ausbaufähig. Zu den Sängern: Tatjana lyrisch gut aber insgesamt etwas matronenhaft. Olga etwas steif, hätte ich mir stimmlich wie darstellerisch quirliger gewünscht. Der Tenor relativ spröde, nicht viel Schmelz, zudem legt er die Rolle schon sehr weinerlich/waschlappig aus. Onegin mit gutem Organ aber vom Ausdruck her ausbaufähig. König noch der Beste, gerade bei dem vergleichsweise leisen Orchester.

Hauptschwachpunkt des Abends ist aber wohl die Regie. Herr Thalheimer und ich werden keine Freunde mehr. Klötzchenwand ohne viel Ideen. Was in der (sehr guten) Einführung vollmundig als modulares Bühnenbild angekündigt wurde entpuppt sich als Treppe, Podest und (immer wieder!) Mauer zum Wegschieben. Personenregie unsinnig verspielt (der Gehörnte auf dem Ball wird Onegins Adjutant) bis nicht vorhanden (dritter Akt „Tanz um den einsamen Stuhl“). Generell: warum diese Form von Aktualisierung, wenn sie so mutlos erfolgt? So wirkt beispielsweise Onegins Partyflirt mit Olga völlig harmlos und seine Brisanz – wie Lenskis wutschäumende Reaktion darauf – komplett aus der Zeit gefallen. Ebenso die französische Einlage auf dem Fest. Wer spricht dann so – Lehrer Lempel? Man kratzt sich, wie bereits im Parsifal (Link) des öfteren am Kopf. Welchen Kommentar genau soll uns die szenische Umdeutung der fröhlich singenden Bauern ins aufrührerische Proletariat hinterlassen? Kritik an einer verklärten Darstellung der Landbevölkerung im Libretto? Geschenkt. Warum legt man eine flotte Gummisohle aufs Parkett, einzig für die putzige Szenerie der roten Stiefel? Bauerntrampelballett?

Schlimmer noch als die musikalischen und szenischen Fragezeichen wiegt der Umstand, dass sich mir heute ernsthaft Gedanken über den Gehalt des Werkes als solches aufdrängten. Ketzerische Gedanken, wie jener, was die Handlung von einer Pilcher-Schmonzette unterscheidet, oder die Verwunderung, dass das musikalische Material heute so gar nicht bei mir zünden will. Dabei verlief meine erste Begegnung mit den „Lyrischen Szenen“ vor Jahren in Riga (Link) ungleich intensiver, und das auf jeder Ebene. Ich glaube, dass mir unabhängig von der Tagesform eine Pique Dame schon generell näher liegt als der Onegin, nichts desto trotz ist dieses Werk sicher nicht so derart auf die leichte, schlimmer noch zuckende Schulter zu nehmen, wie es sich heute an der Heinrich-Heine-Allee anfühlte.

PS: Die Vorstellung war erschreckend schlecht besucht – für einen Samstag geradezu ein Armutszeugnis.


Eugen Onegin
Lyrische Szenen in drei Akten
Musik – Peter Iljitsch Tschaikowsky
Libretto von Peter Iljitsch Tschaikowsky und Konstantin S. Schilowsky
nach dem Versroman von Alexander Puschkin

Musikalische Leitung – Vitali Alekseenok
Inszenierung – Michael Thalheimer
Bühne – Henrik Ahr
Kostüme – Michaela Barth
Licht – Stefan Bolliger
Chorleitung – Gerhard Michalski
Dramaturgie – Anna Grundmeier/Anna Melcher
Konzeptionelle Vorbereitung – Bettina Auer

Larina – Katarzyna Kuncio
Tatjana – Liana Aleksanyan/Luiza Fatyol
Olga – Anna Harvey/Maria Polańska/Ramona Zaharia
Eugen Onegin – Bogdan Baciu/Mikołaj Trąbka/Richard Šveda
Lenski – David Fischer/Ovidiu Purcel/Jussi Myllys
Fürst Gremin – Hans-Peter König/Luke Stoker/Bogdan Taloș
Filipjewna – Rita Kapfhammer
Triquet – Sergej Khomov/Riccardo Romeo
Saretzkij – Jacob Harrison/Valentin Ruckebier
Ein Hauptmann – Junho Jung/Volker Philippi
Vorsänger – Dong Hoon Kim/Mamuka Manjgaladze

Chor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

16. Juni 2024

SWR Symphonieorchester – Teodor Currentzis.
Elbphilharmonie Hamburg

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich A, Reihe 10, Platz 1



Benjamin Britten – War Requiem op. 66

SWR Symphonieorchester
London Symphony Chorus
SWR Vokalensemble
Knabenchor Hannover
Irina Lungu – Sopran
Allan Clayton – Tenor
Matthias Goerne – Bariton
Dirigent – Teodor Currentzis



Das Verblüffendste des Abends war die Erkenntnis, dass Currentzis hier mal keine Interpretation liefert, die extrem von der auf Tonträger belegten Lesart des Komponisten abweichen würde. Meine Wahrnehmung des Werkes ist aber ohnehin derart mit Brittens eigener Einspielung verknüpft, dass jedes Abweichen davon in seltensten Fällen für mich funktioniert. Leider trifft das gleichermaßen auf die beteiligten Sänger zu. Irina Lungu und Allan Clayton erfüllen ihre Aufgaben mit Können und Hingabe, nur ist es für sie – wie für wohl jeden anderen Sänger – in meinen Ohren ein Ding der Unmöglichkeit, die akustischen Fußstapfen einer Wischnewskaja und eines Pears zu füllen. Am ehesten gelingt dies dem überaus geschätzten Matthias Goerne, der den Vergleich zu Fischer-Dieskau, gerade auch in Bezug auf den darstellerischen Gehalt in der Stimme, nicht zu scheuen braucht. Das War Requiem lässt mich nie unberührt, so auch diesmal nicht. Ein Werk, dem ich mich nur selten aussetzen darf, gerade weil es so schmerzlich-schön, gewaltig und zerbrechlich ist und bis heute leider nichts von der Relevanz seiner Botschaft verloren hat. 

28. Mai 2024

Chamber Orchestra of Europe – Andras Schiff.
Laeiszhalle Hamburg.

20:00 Uhr, 1. Rang Links, Loge 5, Reihe 1, Platz 3



Johannes Brahms – Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56a

Joseph Haydn – Sinfonia concertante B-Dur Hob. I:105

(Pause)

Johannes Brahms – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15


Chamber Orchestra of Europe
Olivier Stankiewicz – Oboe
Rie Koyama – Fagott
Lorenza Borrani – Violine
Richard Lester – Violoncello
Sir András Schiff – Klavier und Leitung



Brahms-Variationen: Der erste Klangeindruck nach einer Ewigkeit Elphi-Prägung ist eher gemischt – im wahrsten Sinne. Der Saal ist einfach viel gutmütiger, alles vermengt sich ein bisschen. Wie gut die Einzelteile der Summe sind, lässt sich so schwer(er) feststellen. Aber auch die Huster und Raschler werden stark relativiert. Eine Elphi voll mit Sandsäcken, das wärs eben. Klang an sich nicht schlecht, aber der seitliche Rangplatz bietet objektiv eher maximal Mono-Wonnen, selbst wenn man das Haupt extrem zur Bühne verdreht. Hatte ich wirklich verdrängt, bzw. wenn man da oft sitzt, merkt man es wohl nicht mehr.

Das Stück selbst ist ein Knaller. Hatte ich so nicht wirklich auf dem Zettel, aber jede Variation ist ein Gedicht, sowohl von der „Idee“ als auch der Umsetzung, Instrumentation, Feinheiten usw.. Der wiegende, ruhige Satz ist (wie soll es auch anders sein) mein Lieblingsstück. Bittersüß brahmsisch schneidende Harmonien. Schmacht. Interpretation vielleicht nicht „all in“, aber sehr schlüssig und berührend.

Haydn: Der arme Oboist und sein Blättchen … Aber egal, es bleibt dabei, dass ich Haydn Mozart vorziehe. Gerade auch wegen der interessanten Harmonik, z.B. im Finale kurz vor Ende. Pianissimo-Effekte interessant – kämen in der Elphi natürlich ungleich intensiver …

Die eigentliche Überraschung des Abends: Die Pausenbrezel ist warm!

Leider wärmt der Brahms nach der Pause weder Magen noch Herz. Erster Satz schleppend, kontur- und emotionslos. Orchester nicht immer zusammen, schwimmt? Schiff lässt völlig kalt, hölzern, nichts Besonderes im Anschlag. Erschreckend. Zweiter Satz eher tranig als innig, auch hier: wo ist das Perlende, das Zauberische eines Sokolov oder Levit? Einige wenige wohlige Momente. Dritter Satz noch am besten – hier und da Drive im Orchester, Schiff weiter blass, höchstens bei schnellen Läufen blitzt Brillanz auf. Und der ein oder andere wirklich zarte Ton im Pianissimo. Kann er, aber will nicht? Unterm Strich mehr als enttäuschend – der Saal ist begeistert. Zugabe Brahms? Warum so gehetzt? Selten ein innig verehrtes Stück so „hingerichtet“ gehört. Uff, schnell raus hier.

Liebe Laeiszhalle, wir hatten früher eine schöne Zeit, aber was war ist gewesen und kommt wohl nicht wieder. Zumindest ganz sicher nicht mit Abenden wie diesem.

17. April 2024

Münchner Philharmoniker – Daniel Harding.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Thierry Escaich – Konzert für Violine und Orchester
»Au-delà du rêve« / Kompositionsauftrag von Münchner Philharmoniker, Philharmonie de Paris und Elbphilharmonie Hamburg

(Pause)

Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 4 Es-Dur »Romantische«


Münchner Philharmoniker
Renaud Capuçon – Violine
Dirigent – Daniel Harding



Auch hier habe ich nichts notiert und muss mir nun über ein Jahr später eingestehen, dass allein mit Luft und Liebe kein Blog zu befüllen ist. Zumindest nicht substantiell. Sei’s drum. Es war in jedem Fall ein wunderbares Konzert, so viel – oder eben wenig – erinnere ich noch. Beim Escaich konnte ich glücklicherweise etwas mogeln: es gibt einen Mitschnitt der Beteiligten aus dem Musikverein auf YouTube, der mir die faszinierend-verwunschene Faktur des Violinkonzertes und den atemberaubenden Vortrag Capuçons wieder vor Ohren führte. Wer meint, zeitgenössische Klassik sei verkopft oder sperrig, möge sich dieses Werk einmal zu Gemüte führen – einer meiner absoluten Favoriten der letzten Jahre eines Zeitgenossen. Mit Bruckners 4. rundet Harding das Münchner Doublefeature nach dem Mahler gestern ähnlich kolossal ab. Vielen Dank!

16. April 2024

Münchner Philharmoniker – Daniel Harding.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich A, Reihe 9, Platz 2



Jean Sibelius – Tapiola / Tondichtung für großes Orchester op. 112

(Pause)

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 5 cis-Moll


Münchner Philharmoniker
Dirigent – Daniel Harding



Endlich mal Tapiola live! So sehr ich Sibelius im Allgemeinen und seine späten Sinfonien im Besonderen verehre, so gilt meine Liebe zu seinem letzten großen Orchesterwerk gleichermaßen. Umso schöner, wenn das ersehnte Live-Wiederhören dann auch in allen Belangen zu überzeugen, besser noch zu bewegen weiß. Daniel Harding und die Münchner Philharmoniker haben mir heute diesen Wunsch auf berührende Weise erfüllt. Ob sich einem dabei die Unendlichkeit der nordischen Wälder oder menschlicher Sehnsüchte vor dem geistigen Ohr manifestiert, ist unerheblich. Tiefe Musik, tief empfunden dargeboten.

Dass ich mir zur Fünften keine Notizen gemacht habe, ist in der Regel ein gutes Zeichen. Die Vorzüge solch eines Leib- und Magenstücks zum x-ten Mal hervorzuheben, erübrigt sich, wenn man Harding und seinen Kollegen schlicht und ergreifend attestieren kann: alles richtig gemacht. Zupackend, kontrastreich, kein schleppendes Adagietto, ein Finale, bei dem man mir das Grinsen in sich stetig steigernder Erwartung der Schlussapotheose auch nicht mit dem Hammer aus der Sechsten vom Gesicht hätte schlagen können, das Ganze technisch wie klanglich perfekt umgesetzt. Bitte wiederkommen – ach ja, ist ja schon morgen der Fall.

29. März 2024

Parsifal – Axel Kober. Opernhaus Düsseldorf.

17:00 Uhr, Orchestersessel links, Reihe 5, Platz 156



Klingt schön, wenn im Programmheft von „Bewegender Schlichtheit“ die Rede ist. Mag sein, dass Herr Thalheimer ebendiese mit seiner Regiearbeit angestrebt hat, für mein Empfinden schlug das Pendel heute allerdings gewaltig Richtung Schlichtheit und kaum messbar in bewegende Gefilde aus: Ein reduziertes, von Kreuzsymbolik geprägtes Bühnenbild gepaart mit weitgehender Abwesenheit von Personenregie. Wenn es szenische Anweisungen gibt, sind diese entweder affektiert/übertrieben (Amfortas agiert wie in einem schlechten Stummfilm, Klingsor als Meat Loaf Verschnitt), platt (Klingsors Dödelspeer-Geste), unverständlich/verkopft (Kundry mit Pistole) oder schlichtweg störend (Kundrys Schreibschmieraktion torpediert den Dialog Gurnemanz/Parsifal – und ihre eigentlichen szenischen Einsätze nimmt sie nicht wahr – Parsifals Fußwaschung und -Salbung; ihre eigene Taufe). Oft scheinen die Akteure nicht wirklich zu wissen, was sie mit all der reduzierten Leere anfangen sollen. Man schmiegt sich an die Wände, man geht langsam rückwärts vom aktuellen Protagonisten weg. Warum ist Parsifal am Ende als Clown geschminkt? Der Regisseur schreibt im Programmheft, der Namensgeber sei am Ende überfordert – warum? Und weshalb geht Gurnemanz an Krücken – muss man sich um Herrn König Sorgen machen? Fragen über (brotlose) Fragen.

Musikalisch war es ein guter Abend, aber gut reicht in diesem Falle natürlich nicht. Das Orchester sehr schön, aber Kober insgesamt zu statisch, wenig Fluss, geschweige denn der Sog, welcher mich sonst etwa spätestens beim Aufbruch zur Burg, allemal beim Ritus in Hypnose versetzt – wo bleiben Trance und Ekstase? Auch die Sänger tragen ihren Teil zum ordentlichen Eindruck bei, wo das musikalische Herz das Außerordentliche ersehnt. Es ist nicht leicht. Doch auch wenn dieser Abend, der für mich der letzte mit Axel Kober als GMD in Düsseldorf gewesen sein wird, nicht der erhoffte krönende Abschluss wurde, dominiert Dankbarkeit über Jahre des Wirkens, die die Deutsche Oper am Rhein zu einer meiner liebsten Adressen werden ließen. Sein Nachfolger (und dereinst der Nachfolgebau) werden sich an vielen wohligen Erinnerungen messen lassen müssen.


Parsifal – Richard Wagner 
Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text vom Komponisten

Musikalische Leitung – Axel Kober
Inszenierung – Michael Thalheimer
Bühne – Henrik Ahr
Kostüme – Michaela Barth
Licht – Stefan Bolliger
Chor – Gerhard Michalski
Dramaturgie – Bettina Auer, Anna Grundmeier

Parsifal – Nikolai Schukoff
Gurnemanz – Hans-Peter König
Kundry – Sarah Ferede
Amfortas – Bogdan Baciu
Klingsor – Joachim Goltz
Titurel –Luke Stoker
Erster Gralsritter – Andrés Sulbarán
Zweiter Gralsritter – Žilvinas Miškinis
1. Knappe – Bogdana Bevziuk
2. Knappe – Verena Kronbichler
3. Knappe – Jakob Kleinschrot
4. Knappe – Johannes Preißinger
Blumenmädchen 1/1 – Elena Sancho Pereg
Blumenmädchen 1/2 – Mara Guseynova
Blumenmädchen 1/3 – Alexandra Yangel
Blumenmädchen 2/1 – Alexandra Steiner
Blumenmädchen 2/2 – Anke Krabbe
Blumenmädchen 2/3 – Katarzyna Wlodarczyk
Stimme aus der Höhe – Katarzyna Wlodarczyk

Chor und Herren-Extrachor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker